Experten klagen: "Die Prävention liegt brach"

12.2.2021, 17:11 Uhr
Experten klagen:

© Foto: Volker Hartmann (dpa)

Theoretisch können die Senioren auch an Online-Kursen teilnehmen, wie es derzeit die halbe Republik tut. In der Praxis scheitert das oft an der technischen Ausrüstung oder an der mangelnden Bereitschaft, sich überhaupt in die virtuelle Welt zu begeben. Noch schwerer haben es die bisherigen Mitglieder von Herzsportgruppen: Für sie dürfen gar keine Online-Trainings angeboten werden, denn es muss immer ein Arzt dabei sein, um die Werte zu überprüfen und notfalls eingreifen zu können.

Dass diese Kurse jetzt allesamt ausfallen, bedauert Elisabeth Schuster, die Leiterin der Ambulanten Koronargruppe an der Klinik Fränkische Schweiz in Ebermannstadt. "Die Mitglieder wissen ja, dass sie sich bewegen und fit halten müssen, um ihre Gesundheit zu erhalten, aber gemeinsam und mit einem festen Termin ist es schon leichter, den inneren Schweinehund zu überwinden."

"Fitte Gruppe"

Ihre Gruppe in Ebermannstadt sei "relativ fit", Elisabeth Schuster ist zuversichtlich, dass die Mitglieder ganz gut über die Corona-Zeit kommen. Schwieriger sei das für neue Herzpatienten, die ihre Diagnose erst vor kurzem bekommen haben und jetzt nach einer Operation ihre Reha-Maßnahmen abgeschlossen haben. "Da muss man hoffen, dass sie in der Reha-Klinik gut bei ihren Übungen aufgepasst haben und diese daheim auch weiter machen."

Bis diese dann in eine der Herzsportgruppen in ihrer Nähe (leicht zu finden unter www.herzgruppen-lag-bayern.de) eintreten können, wird nach Meinung der Übungsleiterin noch einige Zeit vergehen: "Ich glaube nicht, dass im Frühjahr noch etwas geht. Meine Hoffnung richtet sich auf den Sommer."

Gerade für chronisch Herzkranke ist regelmäßiger Sport wichtig – aber eben unter Kontrolle. Ein zu hartes Koronartraining ohne Pulsmessung kann schlimme Folgen haben, aber auch eine übermäßige Schonung führt zur Verschlechterung des Gesundheitszustands.

"Das tut mir im Herzen weh"

Ähnliches gilt auch für fast alle anderen altersbedingten Leiden, wie Manfred Jänisch, Vorsitzender des Rehabilitations- und Gesundheitssportvereins Forchheim, zu berichten weiß. "Der ganze Präventionssektor liegt brach, das tut mir im Herzen weh."

Weder der Reha-Sport in der Martin-Schule, noch die Wassergymnastik im Königsbad oder die Stuhlgymnastik im Pfarrsaal von Don Bosco könnten stattfinden. Das bedeutet zwangsläufig, dass viele Senioren während des Lockdowns an Fitness verlieren, die besonders im Alter schwer wieder zurück erlangt werden kann.

"Viele Mitglieder berichten mir aber auch, dass sie fleißig weiter trainieren", erzählt Jänisch. Das treffe aber nicht auf alle zu, der Mitgliederstand sei vom Höchststand von 227 auf gerade noch knapp über 200 gesunken. Online ist der Verein mit einem Durchschnitsalter von 70 Jahren nicht aktiv, "diese Altersgruppe ist dafür nicht geeignet, obwohl unsere Übungsleiter da sehr aufgeschlossen wären", so Jänisch.

Verlust der sozialen Kontakte

Ohnehin würden wichtige Faktoren beim virtuellen Training wegfallen: Die Kontrolle der Übungen durch den Trainer, die in normalen Zeiten ja auch alternative Übungen für Teilnehmer mit speziellen Beschwerden vormachen und anbieten. Aber noch viel schlimmer sei der Verlust der sozialen Kontakte, wie Jänisch berichtet: "In der Gruppe ist die Motivation viel höher, unsere langjährigen Mitglieder haben nicht nur Fahrgemeinschaften gebildet, sondern auch viele Freundschaften entwickelt. Das ist jetzt für alle keine schöne Situation."

Aber aktuell müsse man eben abwägen. Und da für den Verein prinzipiell die Gesundheit im Vordergrund stehe, habe man die Risiken abwägen müssen und entschieden, dass es wichtiger sei, die Pandemie zu überleben.

Wer stärkere Beschwerden am Bewegungsapparat verspüre, solle unbedingt zum Arzt und dann zur Physiotherapie gehen. Allerdings, so räumt Jänisch ein, hätten viele Senioren auch Angst, wegen der zusätzlichen Kontakte diese Möglichkeiten in Anspruch zu nehmen: "Das ist für die Betroffenen schon eine Zwickmühle."

Viele Teilnehmer sind online nicht dabei

Dafür, dass es erst gar nicht so weit kommt, wollen Matthias Gallmetzer und sein Team von der Praxis für Gesundheitssport und Sporttherapie in Muggendorf sorgen. Aber auch der Experte für Rehasport musste feststellen, dass nicht alle seiner älteren Patienten am Online-Angebot teilnehmen wollen oder können: "Vor dem Lockdown hatten wir 20 Sportgruppen, jetzt sind es gerade mal noch vier."

Aber die Teilnehmer seien mit Feuereifer dabei, selbst wenn einige, die am Telefon wissen wollten, wann es denn endlich weitergehe, erst überredet und in die technischen Details eingeweiht werden mussten.

Auch für die Trainer seien die virtuellen Übungsstunden schwierig. Man müsse sich selbst ständig im Auge behalten und habe wenig Gelegenheit, individuell auf die auf dem Bildschirm klein angezeigten Teilnehmer einzugehen. Diese hätten daheim zudem nicht immer genügend Platz und die richtige Ausrüstung. Auch die Rückmeldung, ob es ihnen gefallen habe, bekomme er erst nach der Stunde.

Es gebe jedoch auch Vorteile: Bei dieser Wetterlage müsse etwa keiner die gefährliche Anreise zur Übungsstunde antreten.

Re-Start im Freien

Die Rückkehr zur Normalität werde auf jeden Fall noch etwas dauern. Einen Plan dafür hat Matthias Gallmetzer schon in der Tasche: "Wir werden zuerst im Freien wieder anfangen. Das haben wir schon in der Lockerungsphase im Sommer 2020 praktiziert und es hat sich bewährt. Das Infektionsrisiko ist gering, zusätzlich ist die frische Luft sehr gut für das Immunsystem."

Seine Kollegin Silke Ruffershöfer vom Heilzentrum Eggolsheim ist froh, dass sie die Physiotherapie als festes Standbeim hat: "Da hatte ich selbst im ersten Lockdown nur einen Monat lang meine Mitarbeiter in Kurzarbeit, seither läuft das ganz normal." Ihr Kursprogramm, die Salzgrotte (mit wenigen Ausnahmen für Patienten, die das ärztlich verschrieben bekommen), Vorträge und Seminare – alles das fällt seit Monaten flach.

"Viele meiner Patienten jammern inzwischen schon arg", berichtet sie. Das gemeinsame Training und damit der Ausgleich fehle ihnen, einige "trifft" sie dann in der Physiotherapie wieder, weil Beschwerden wieder auftauchen oder sich deutlich verschlechtert haben. "Gerade im Home Office hätten viele Leute beispielsweise Wirbelsäulengymnastik dringender nötig als je zuvor, weil da die Bewegung oft zu kurz kommt", sagt Silke Ruffershöfer.

Daheim müsse man sich mehr überwinden, mache dann oft weniger als in der Gruppe – und die Übungen nicht immer richtig. Andere seien so ängstlich, dass sie ganz aufs Training verzichteten aus Furcht, etwas falsch zu machen. Und ebenso vermissen die meisten auch das Gemeinschaftserlebnis.

Aber auf Online-Kurse habe sie verzichtet, auch weil das wegen der Abrechnung der Rezepte für die Krankenkassen kompliziert sei und viele der älteren Patienten mit der Technik nicht so zurecht kämen.

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