Forchheim feiert seine allerersten Open-Air-Jazztage

19.8.2018, 18:00 Uhr
Forchheim feiert seine allerersten Open-Air-Jazztage

© Foto: Peter Roggenthin

New Orleans um 1900 ist das, was man gemeinhin einen Schmelztiegel nennt. Hier kommen Einflüsse zusammen, die sich gegenseitig befruchten. Hier wird aus den Klängen der durch die Straßen ziehenden Marching Bands, der Melancholie mittelloser Bluespioniere und den genialen Ragtime-Kompositionen eines Scott Joplin ein Gemisch, dass bald als Jazz weit über die Ufer des Mississippi hinaus Leidenschaften entfacht.

Hier lernt ein kleiner Junge in einer Besserungsanstalt für schwarze Jugendliche das Kornett-Spielen. Noch ein halbes Jahrhundert später wird er die Massen elektrisieren: Louis Armstrong. Dass der inzwischen 80-jährige "F-Dur-Schlagzeuger" Heye Villechner und seine musikalischen Mitstreiter aus dem Großraum München "Satchmo" verehren, ist nicht nur am Bandnamen "Heye´s Society" erkennbar, der an die Cole Porter-Nummer "High Society" erinnert. Der 77-jährige Toni Ketterle (Kornett) sowie Achim Bohlender (Klarinette), Erwin Gregg (Posaune), Tino Roßmann (Piano) und Marion Dimbath (Tuba) lassen kaum einen der Erfolge aus, die Louis Armstrong hatte. Selbst wenn das bedeutet, dass die Lippen schmerzen, die Wangen glühen und die Zunge taub wird. Sie widmen sich aber auch den Heroen des Swing wie Duke Ellington, dessen "Creole Love Call" eine ekstatische Klarinette in die Nacht entlässt.

Dann meldet sich die Sirene im Innenhof zu Wort. Es ist aber nur ein Fehlalarm, so schlecht ist die Band nun auch wieder nicht. Sie ist sogar sehr gut. Besonders als Heye Villechner selbst zum Mikrofon greift und den Beatles-Schlager "Ain´t she sweet" dem mit 22 Jahren verstorbenen Stuart Sutcliffe zueignet, den er 1958 in Hamburg persönlich kennengelernt hat.

Mit dem Saxophon-Quartett "Saxsession" kommt etwas Lokalkolorit ins Festival. Schließlich stammen Marion Andersons und Lisa Endres aus der Gegend. Die erste als Marion Kintopp aus Schlaifhausen, deren Sopran-Sax klarinettöse Klangwelten eröffnet, die andere als Lisa Schuler aus Buckenhofen, die ausnahmsweise auf einem Barhocker sitzt, da sie erst vor fünf Wochen Mutter geworden ist. Ihnen bleibt es vorbehalten, mit nur vier Instrumenten Musical-Hits George Gershwins oder Leonard Bernsteins in ihrer ganzen orchestralen Farbigkeit einzufangen.

Ihnen zur Seite Julia Grünsteidel aus Fürth und Elke Beer aus Amberg, die am Bariton-Sax als "Maschine" ganz alleine die Rhythmus-Gruppe aus Bass, Schlagzeug und Piano ersetzt. Dabei wirkt ihre Interpretation des brasilianischen Choro-Stückes "Tico Tico" so schwerelos, als ob die aufgeweckte Morgenammer nicht durch den dichten Dschungel flöge, sondern gerade über den Köpfen der Zuhörer kreiste.

Die vier Frauen können aber auch lyrische Balladen. Mit dem Komponisten Robert "Bobby" Watson blicken sie dann auf dessen Tochter, die angesichts der ruhigen Tonlage noch zu schlafen scheint. Anders wäre das Stilleben gar nicht erklärbar. Wer dann ins Träumen gerät und sich dabei zurücklehnt, wird jedoch rasch auf den Boden der Tatsachen geholt. Schließlich sitzen die rund 130 Zuhörer auf rückhaltlosen Bierbänken.

Einige der draußen vor dem Tor auf der Steinbrücke lauschenden Zaungäste werden sodann vom Sog des satten Sounds in das Geviert gesaugt. Das komplette Kontrastprogramm bieten "dimonic" aus Nürnberg, eine Formation aus Jazz-Absolventen der dortigen Musikhochschule. Wobei es durch den krankheitsbedingten Ausfall der zweiten Sängerin eigentlich kein "harmonisches Duo" mehr ist, das in englischer und italienisch-ladinischer Sprache von den Selbstzweifeln des Künstlers oder den Beziehungsproblemen zwischen Mann und Frau berichtet. Aber auch ohne die Südtiroler Stimme Lucia Kastlunger gelingt es den jungen Musikern, durch ihre ganz eigene beherzte Mischung aus Jazz, Funk und Pop das Publikum zu bewegen. Wenn es auch nicht bis zum Tanz eskaliert.

Frontfrau Julia Geissler aus Günthersbühl bei Lauf und ihr melodisches Gegenüber, Moritz Grübel am Saxophon, flüstern, säuseln, reden, schreien und jubeln miteinander, während sich im Hintergrund Schlagzeuger Matthias Bäuerlein und Percussionist Aron Hantke einen wilden Schlagabtausch liefern. Zum Glück bleiben dabei alles Trommelfelle ganz — die auf der Bühne und die im Innenhof. Sobald es Richtung Soul und Funk geht, stehen aber auch Johannes Göller am Bass und Florian Donaubauer an den Tasten nicht abseits. Gilt es doch, die Schönheit des Lebens, das Glück des Augenblicks festzuhalten.

Beim Finale wird aus dem Innenhof ein Glutofen. Es nützt auch nichts, mit Joe Zawinuls "Mercy" um himmlisches Erbarmen zu flehen. Da nimmt es nicht wunder, dass Sängerin Nathalie Bauer (ehedem Grün) mächtig ins Schwitzen gerät. Das "Why don’t You do Right?" an ihre Bandkollegen mit Sonnenbrillen-Pflicht ist allerdings eine mehr rhetorische Frage, denn die "Swingaraiders" aus Forchheim und Umgebung machen, wie vor rund 80 Jahren auch Benny Goodmans Orchestra, alles richtig. Schließlich geraten erst die Zuhörer in Schwingung, später erfasst der Groove auch die Weißwürste, die es zum Frühschoppen gibt. Derweil geben der Saxofon- und der Posaunen-Satz im "Big Spender", was die Mundstücke hergeben. Nur gut, dass die vielen kleinen Kinder in der Nähe kein Englisch verstehen, sonst würden sie bei dem Musical-Song erröten, der ursprünglich einigen Striptease-Tänzerinnen auf der Suche nach Männern in Spendierhosen in den Mund gelegt wurde.

Die wilde Mischung aus Swing, Funk und Latin entfacht jedenfalls Begeisterungsstürme. Musikalisch können sich die städtischen Jazztage also durchaus sehen lassen. Das Konzept "Forchheim & Friends" ist aufgegangen. Nur bei den Besucherzahlen ist beim Open Air noch Luft nach oben.

 

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