Forchheimer Schausteller-Familie eröffnet Weihnachtsmarkt-Drive-In

21.4.2020, 20:00 Uhr
Forchheimer Schausteller-Familie eröffnet Weihnachtsmarkt-Drive-In

© Foto: Birgit Herrnleben

"Manchmal abends, wenn die Kinder im Bett sind und es ruhig im Haus ist, dann sitz’ ich am Sofa und heul’", sagt Angelique Zinnecker. Die zierliche und durchaus toughe Frau kommt aus einer Schaustellerfamilie und hat, wie sollte es anders sein, in eine Schaustellerfamilie eingeheiratet. Dass das ihr Leben ist und das Volksfest-Gen durch ihre Blutbahnen rinnt, braucht sie nicht extra zu erzählen. Doch die Volksfest-Heiterkeit ist wegen der Corona-Krise eher Tristesse und Existenzangst gewichen: "Seit ich denken kann, hab ich Ostern im Wohnwagen verbracht", erzählt sie.

Doch in diesem Jahr ist alles anders. Der Wohnwagen, die riesigen Zugmaschinen, die Fahrgeschäfte – alles steht frischpoliert, TÜV-geprüft und abfahrbereit in den Garagen der Familie in der Dechant-Reuder-Straße, gleich neben der Piastenbrücke.

Spätestens im März sperren die Zinneckers ihr Haus ab und gehen mit Mann und Maus aufs Volksfest. "Sobald das Frühjahr anfängt, kribbelt’s mir in den Füßen", sagt Angelique Zinnecker. Dann muss sie raus, auf Frühlingsfeste, Volksfeste, Sommerfeste, auf die Dult. "Ich war mein Leben lang immer woanders, nie lange am selben Ort", sagt sie.


Fränkische Schausteller wollen in der Corona-Krise anpacken


Doch jetzt, da fühlt sie sich "wie ein eingesperrtes Tier. Ich brauch’ das Volksfest-Feeling wie die Luft zum Atmen." Die abendlichen bunten Lichter, den Gerüche-Mix von Wedelhering bis Popcorn, die Volksfest-Musik und die Durchsagen der Fahrgeschäfte fehlen: "Jetzt zuhause hab ich immer und überall das Radio an."

Die Fahrgeschäfte parken in Einzelteile zerlegt in den Garagen. Mit dem "Freak" wollten sie am Annafest sein und auch der 42 Meter hohe "T-Rex-Tower" schlummert noch vor sich hin. Besonders bitter: Eine neue Familienachterbahn lassen die Zinneckers gerade in Italien bauen, der Auftrag im Gegenwert von "fünf richtig guten Porsches" an eine Firma in der Lombardei, dem Epizentrum der Corona-Pandemie, ist unterschrieben. Doch was aus der Achterbahn wird, die richtig Geld in die Kasse einfahren sollte, steht in den Sternen: Ob die Bahn jemals fertig werde und wenn ja wann, das könne im Moment niemand absehen.

Die Corona-Krise und die Absage aller Großveranstaltungen bis Ende August trifft die Zinneckers mit voller Wucht: "Mehr als 50 Prozent in unserer Branche werden das nicht überleben", sagt Alexander Zinnecker, Angeliques Ehemann. Dass nun auch das Oktoberfest abgesagt wurde, "macht für uns jeglichen Hoffnungsschimmer zunichte", sagt er. Zinnecker fürchtet, dass mit dem Wiesn-Aus noch lange nicht Schluss ist: "Ich fürchte, dass noch viele Veranstalter nachziehen werden." Wenn dann auch noch die Herbstvolksfeste und Kirchweihen den Bach runtergingen, "dann ist’s zappenduster".

Die letzten Einnahmen hatten Zinneckers am Forchheimer Weihnachtsmarkt, wo sie mit ihrer großen Glühwein-Pyramide vor der Mauer des Pfalzgrabens stehen. Die Zinneckers sind ein reiner Familienbetrieb. Angelique stammt aus der Familie Störzer aus Höchstadt, die seit acht Generationen Schausteller sind. Auch bei Angeliques Bruder Alexander Störzer sind die Fahrgeschäfte eingemottet.

15 Personen leben von den Volksfest-Einnahmen der Familie Zinnecker, vom acht Tage alten Baby bis zum 72-jährigen Senior. Jetzt sei man um "Schadensbegrenzung bemüht", und doch fürchtet Alexander Zinnecker: "Das Ersparte wird nicht lange reichen." Als Schausteller habe man "ein hohes Berufsrisiko und ist kalkulieren gewohnt" und doch "leben wir von heute auf morgen".


Höchstadter Schausteller-Familie bangt um Existenz


Mit ihren Fahrgeschäften sind die Zinneckers auf durchschnittlich zwanzig Volksfesten im Jahr sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz unterwegs. Von Karlsruhe über Bad Aibling, Murnau, Bühl bei Bonn, Hennef bis nach Fürth. Nicht zu vergessen das Annafest: "Das ist jedes Jahr unser Heimspiel."

Ein anderes Heimspiel geben die Zinneckers ab heute, Mittwoch, 22. April auf ihrem Firmengelände in der Dechant-Reuder-Straße: Hier haben sie als Drive-In eine Mini-Kerwa aufgebaut. Auf dem Hof steht die Weihnachtspyramide, ohne Kerzen und Weihnachtsspitze, hier verkaufen sie ab sofort frisch gebrannte Mandeln, Popcorn, Schokospieße und Zuckerwatte, um einen Hauch Volksfest-Stimmung zu zaubern. In einem zweiten Häuschen gibt es Crepes und Langos.

Für ihre zwölf und 17 Jahre alten Söhne wollen die Zinneckers weitermachen. Aufgeben ist keine Option: "Viele Generationen haben wir unser Geschäft aufgebaut", sagt Alexander Zinnecker. "Wir kämpfen uns durch und haben noch nie aufgegeben", sagt Angelique Zinnecker, "dafür haben wir viel zu hart gearbeitet".

Forchheimer Schausteller-Familie eröffnet Weihnachtsmarkt-Drive-In

© Foto: Ulrich Graser

Auch die Schausteller-Familie Drliczek, deren Riesenrad das Wahrzeichen des Annafests ist, versucht ein wenig Geld in die Kasse zu kriegen: Immer montags und dienstags ist Anna Drliczek ab sofort mit einem Crêpes-Stand am Paradeplatz. "Wir suchen nach Ideen, mit denen wir Umsatz kreieren können", sagt Michael Drliczek.

Der Drive-In von Familie Zinnecker in der Dechant-Reuder-Straße 14 hat mittwochs bis samstags von 14 bis 19 Uhr und am Sonntag von 12 bis 17 Uhr geöffnet.

Verwandte Themen


Keine Kommentare