Fridays for Future: Ein Forchheimer Jahr im Rückspiegel

25.12.2019, 08:00 Uhr
Fridays for Future: Ein Forchheimer Jahr im Rückspiegel

© Roland Huber

Also, was haben wir an diesen 52 Tagen gemacht? Gearbeitet? Geurlaubt? Eingekauft? Und abends was getrunken? Geliebt? Gelitten? Oder gar nix? Wer an einem dieser Tage nicht zufällig jemanden geheiratet, auf die Welt gebracht, beerdigt oder gefeiert hat (beziehungsweise von jemandem gefeiert wurde), dem wird es schwer fallen, sich kurz vor 2020 daran zu erinnern, was er 2019 immer wieder freitags gemacht hat.

Selbst, wenn wir es wüssten – und ich will Ihnen und mir ja kein Unrecht tun, aber: etwas Weltbewegendes haben wir eher nicht geschafft, stimmt’s? Das mag daran liegen, dass wir hierzulande zeitlebens in relativem Wohlstand gelebt haben – inklusive Liebe, Frieden und Pizzaservice.

Als ich Ende März mit Franziska Wild, Katharina Büttner und Tuana Ceylan gesprochen habe, fiel mir kolossalerweise auf, dass die drei Schülerinnen (zwischen 16 und 18 Jahren alt) tatsächlich etwas Weltbewegendes tun wollten: an einem dieser 52 Freitage nicht in die Schule gehen.

Klar, ich war entsetzt, ich war schockiert. Und musste an meine eigene Schulzeit zurückdenken: montags, dienstags, mittwochs oder donnerstags schwänzen war damals Ehrensache; unter dem imaginären Banner „Wednesdays for Nothing“ mit den Kumpels Videospiele zocken, Bierchen kippen oder das neue „Ärzte“-Album hören – ja, das war ’ne geile Zeit Ende der 1990er Jahre. Alles da, nur keine Sorgen. Dann kam 9/11, dann die Krisen, mal ging’s um Terror, mal um Börsenkurse, mal um Geflüchtete – und immer ums Geld. In der Zwischenzeit wurde ich Journalist, kurz darauf Vater. Und war unweigerlich voller Sorgen.

Franziska, Katharina und Tuana werden in anderen Zeiten erwachsen als ich es wurde. Im Gespräch gaben diese drei lächerlich jungen Mädchen seltsame Sachen von sich: „Wenn es ums Klima geht, gibt es keinen Unterschied zwischen Stadt und Land, wir alle sind betroffen“ oder „Wir fordern die konsequente Umsetzung der Ziele, die die Politiker im Pariser Klimaschutzabkommen vereinbart haben“ oder „Wir müssen nicht gleich vom Weltuntergang sprechen, aber die Erde leidet. Und wir wollen nicht einfach dabei zusehen“.

Zusammen mit vielen anderen Gleichaltrigen stellten sie 2019 insgesamt zwei „Fridays for Future“ (FFF)- Demos in Forchheim auf die Beine, fast 1000 Menschen konnten sie mobilisieren.

Und ich komme nicht umhin, ihnen allen dafür zu danken. Nicht mit Blick auf mich, der ich den Großteils meiner Jugend damit verbracht habe, mich einen feuchten Kehricht darum zu scheren, wie es dem Rest der Menschheit so geht. Nein, ich danke ihnen mit Blick auf meine fünfjährige Tochter. Weil sie dummerweise zum Rest der Menschheit gehört. Weil es gut ist, zu wissen, dass sich jemand um diese Welt kümmern will. Die Welt, in der meine Matilda erwachsen wird.

Die Zeiten ändern sich

Als Cineast geistert zurzeit der Streifen „Dante’s Peak“ durch meinen Kopf. Kennen Sie den noch? Der Plot: Unverhoffter Vulkanausbruch legt US-Kleinstadt in Trümmer. Jedenfalls erzählt da der gute alte Pierce Brosnan (als vom Schicksal gebeutelter Wissenschaftler) ungefähr folgendes: „Mein Physiklehrer sagte einmal: Wenn man einen Frosch in kochendes Wasser setzt, dann wird er sofort herausspringen. Aber setzt man ihn in kaltes Wasser und erwärmt es langsam bis es kocht, wird er drin bleiben, bis er tot ist.“

Besagter Frosch steht für mich sinnbildlich nicht nur für all jene an pathologischer Maul- und Klauenseuche leidenden Internet-Kommentatoren, die zu Tolkienschen Bergtrollen mutieren, sobald der Name „Greta Thunberg“ fällt. Nein, Frösche sind schon die, die von Minderjährigen eine makellose Vorbildfunktion einfordern – und wehe, sie kommen der nicht nach. Dann darf geätzt werden, getreu dem Motto: Alles nur Inszenierung; finstere Mächte manipulieren Jugendliche; die lassen sich von Mutti mit dem Auto zur FFF-Demo fahren.

Symptomatisch ist auch die Fundamentalopposition selbsternannter „Klima-Skeptiker“ (=Leute, die nicht an wissenschaftliche Fakten glauben). Und Aussagen wie „Die Erderwärmung ist ganz normal, das Klima hat sich im kosmischen Rhythmus der Erdgeschichte immer wieder geändert“ zeugen davon, dass manche Menschen wenig bis gar nicht verstanden haben, worum es geht.

Mir ist es ehrlich gesagt egal, wie normal der Wandel und wie stark oder schwach unser emissionsbedingter Einfluss auf das globale Klima ist. Denn im Gegensatz zur Welt von vor 20.000 Jahren leben heute statt ein paar Milliönchen fast acht Milliarden Menschen auf dieser unserer relativ kleinen Erde; Tendenz steigend.

Angesichts dessen ist es nicht auszudenken, welche sozialen Katastrophen uns erwarten, wenn der Meeresspiegel steigt, wenn sich Unwetterphänomene künftig ebenso intensiveren wie Dürren und Hungersnöte – in einer fast vollständig vernetzten Welt, in der alles mit allem zusammenhängt. Deswegen sollten wir, die Menschheit, alles in unserer Macht stehende tun, um unsere negativen Einflüsse auf ein sich ohnehin wandelndes Klima einzudämmen. Ganz ohne Hysterie.

Klar, Umweltschutz fängt beim kleinsten gemeinsamen Nenner an, der persönlichen Lebensart. Vorbildlich, wer seine CO2--Bilanz verbessern will. Doch ein globales Problem kann am Ende nur global gelöst werden – durch die „große“ Politik, die vielbeschworene Weltgemeinschaft. Dass der Geist des Pariser Abkommens von 2015 schon verflogen ist, weil viele Staatenlenker weiterhin lieber kurzfristig reagieren statt langfristig zu agieren und dabei den Ernst der Lage außer Acht lassen: nur darum gibt es heute die FFF-Bewegung. In Forchheim, in Berlin, in Rom, Kapstadt, Moskau, Kalkutta, Hongkong, Tokio, New York, Buenos Aires.

Stellen Sie sich vor: Etwa 14,3 Prozent von 2020 werden Freitage sein. Und etwa 85,7 Prozent werden Montage, Dienstage, Mittwoche, Donnerstage, Samstage oder Sonntage sein. Was wollen mit all der Zeit anfangen, in diesem überdimensionalen Kochtopf namens Planet Erde? Springen? Oder einfach weiterschmoren?

Keine Kommentare