Gefährliche Mängel: Wirbel um Forchheimer Gebäude

25.10.2020, 05:19 Uhr
Eine Gefahr für Leib und Leben: deshalb musste das Kolpinghaus im Sommer 2020 mit sofortiger Wirkung gesperrt werden.

© Horst Linke Eine Gefahr für Leib und Leben: deshalb musste das Kolpinghaus im Sommer 2020 mit sofortiger Wirkung gesperrt werden.

Desaströs ist der Zustand, hieß es im Juni. Und deshalb ist das Haus, das sich Forchheim als Kulturstätte auserkoren hat, seitdem gesperrt. Oberbürgermeister Uwe Kirschstein (SPD) sprach damals von einem "bedauerlichen Zustand" des Gebäudes. Dass die Decke oder Teile davon plötzlich herunterbrechen können und deshalb Gefahr für Leib und Leben besteht, ist dokumentiert. Zwei Seiten braucht es, um die Schädlingsarten, die von dem Haus Besitz ergriffen haben, aufzulisten: Hausbock, Anobien, Trotzkopf, Weißfäule, Blaufäule, Moderfäulepilze.

Die Stadt hatte das unvorbereitet getroffen. Doch zunächst zur Gegenwart: Zum jetzigen Zeitpunkt sollten längst die Umbauarbeiten stattfinden. Ein kurzer Baustopp war für Faschingsveranstaltungen im Februar vorgesehen. Ein Provisorium sollte es den Narren ermöglichen, im Haus zu feiern. Dieser Zeitplan existiert nicht mehr. Einen neuen gibt es noch nicht. Erst müssen die Schäden genau überprüft werden.

"Es schaut nicht furchtbar aus"

Abgeschlossen ist diese Bestandsaufnahme noch nicht, befinden sich aber in der Abschlussphase. Wahrscheinlich im November erfahren die Stadträte, wie stark sanierungsbedürftig das Kolpinghaus ist, sagt Pressesprecherin Britta Kurth auf NN-Nachfrage. "So furchtbar schlecht schaut es aber nicht aus." 

Die Frage, die sich Kulturbürgermeisterin Annette Prechtel (FGL) gegenwärtig stellt, ist, ob das Haus nach Sicherungsmaßnahmen als Provisorium genutzt werden kann, oder ob die Kultur erst nach einer vermutlich millionenschweren Generalüberholung dort ein festes Dach über dem Kopf erhält.

Auf der Suche nach einem Ausweichquartier

Für den schlimmsten Fall – einer Generalsanierung – ist Prechtel bereits auf der Suche nach einer provisorischen Lösung mit provisorischen Räumen. "Händeringend", sagt Prechtel. Das Provisorium müsste wohl für einige Jahre Kultur-Ausweichstätte sein, bis das Kolpinghaus generalsaniert ist.

Gefährliche Mängel: Wirbel um Forchheimer Gebäude

© Foto: Stadt Forchheim

Spruchreif sei in puncto kulturelles Ausweichquartier noch nichts. In der Stadt kursieren jedoch schon konkrete Orte, wie die NN erfahren haben. Egal wohin die Kultur kurzfristig umzieht: "Die Basics müssen stimmen", sagt Prechtel: von der Beleuchtung, der Heizung bis hin zur Erreichbarkeit. In der öffentlichen Stadtratssitzung am Donnerstag, 29. Oktober könnten Details genannt werden. Die Sitzung beginnt ab 16 Uhr in der Jahn-Halle.

Übernommen hat die Stadt die Immobilie vom Kolpingverein im Jahr 2019 per Erbpachtvertrag. Das heißt, die Stadt zahlt dem Verein für 99 Jahre jährlich 23.000 Euro, um das Gebäude nutzen zu dürfen.

Gutachten hat das Gebäude 2016 auf 79 Seiten untersucht

Um die Höhe der jährlichen Erbpacht zu ermitteln, muss ein Verkehrswert ermittelt werden. Hierfür hat die Stadt 2016 ein Gutachten in Auftrag gegeben. Darin ist das Grundstück mit einem Wert von 3,4 Millionen Euro und das Hauptgebäude mit rund drei Millionen Euro ausgewiesen. Weil der Wert einer Immobilie auch von ihrem Zustand abhängig ist, hat der Gutachter das Kolpinghaus vom Keller bis ins Dach untersucht. Von Schäden, die jetzt der Stadt und den Besuchern des Hauses wortwörtlich auf den Kopf fallen könnten, war darin keine Rede.

Es sei nicht die Absicht des Gutachtens gewesen, "genau akribisch festzustellen, was kaputt ist", sagt Britta Kurth. Entscheidend sei gewesen, eine Basis für den Erbpachtzins zu ermitteln. Für die Berechnung der jährlich 23.000 Euro sei ausschließlich der Grundstückswert herangezogen worden, nicht der Gebäudewert. Dieser sei nur für die stadtinterne Buchhaltung berechnet worden. Es sei klar gewesen, dass das Kolpinghaus ein Sanierungsfall und wertlos sei, so Kurth. 

Weder das Gutachten aus dem Jahr 2016 noch die Schadendokumentation aus dem Jahr 2020 stellt die Stadt der NN-Redaktion auf Nachfrage zur Verfügung. "Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes", oder weil es sich um ein "laufendes Verfahren" handele.

Den NN liegt das Gutachten 2016 jedoch vor. 79 Seiten lang ist es. Mit Fotos und Stichpunkten ist auch eine Untersuchung des Daches festgehalten. Davon, dass sich die Stahlkonstruktion verformt hat, die Tragbalken mit Hausbock und Anobien befallen sind, weshalb es zu einem schlagartigen Versagen des Putzes kommen könnte, ist im Wertgutachten von 2016 keine Rede. Erst im Schadensgutachten 2020. Hätten die Schäden im Dach bei der Begutachtung im Jahr 2016 nicht auffallen müssen und die Stadt vorwarnen können?

Die Bürgermeisterin runzelt mit der Stirn

Dass das Dach nicht schon damals näher untersucht wurde, kommentiert Bürgermeisterin Prechtel so: "Es kam in dem Gutachten schlicht zu kurz." Im Nachhinein müsse nicht nur sie die Stirn darüber runzeln, dass die Tragweite, die sich im Sommer 2020 zeigte, im Gutachten nicht erkannt wurde.

Gefährliche Mängel: Wirbel um Forchheimer Gebäude

© Archivfoto: Ulrich Graser

Bei der Stadt heißt es auf Nachfrage dazu: "Eine Schadenskartierung war zu diesem Zeitpunkt nicht vorgesehen und ist auch nicht erfolgt." Das Gebäude auf Schäden genauer zu untersuchen, sei tatsächlich erst dann erfolgt, als klar gewesen sei, dass die Stadt das Kolpinghaus sanieren wolle.

+++ Warum es unverständlich ist, dass das Kolpinghaus nicht schon 2016 auf Herz und Nieren überprüft wurde: Lesen Sie dazu einen Kommentar von NN-Redakteur Patrick Schroll +++

So viel auch im Unklaren bleibt, steht für die Stadt fest, "dass die erforderliche Standsicherheit vieler Tragwerksteile und Knoten nicht ausreichend gegeben ist. Die Nutzung des Gebäude-Bereichs Saal und Tanzschule ist wegen Gefahr für Leib und Leben zu untersagen." So stehe es im Schadensgutachten 2020.

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