Bewegte Geschichte

Hier wurde getrunken, gefeiert und getankt: Das Gasthaus Zur Eisenbahn in Neuses

5.9.2021, 05:05 Uhr
Hier wurde getrunken, gefeiert und getankt: Das Gasthaus Zur Eisenbahn in Neuses

© Foto: Udo Güldner

Georg Sitzmann (1871-1934) ist das, was man einen Aufsteiger nennen könnte. Ein Leben lang hat er hart gearbeitet. Nichts wird dem unehelichen Kind und frühen Halbwaisen geschenkt. In seinem Geburtsort Reuth erlernt er das Handwerk eines Schusters. Ein Beruf, der nicht gerade viel einbringt.

Die Chance erkannt

Dann kann er sich verbessern, wird Pächter des Gasthauses "Zur Krone" in Eggolsheim. Er ist dabei so erfolgreich, dass er bald schon genügend Startkapital beisammen hat, um sein eigenes Ding zu machen. Als 1903 beschlossen wird, die in die Jahre gekommene Fähre über die Regnitz bei Neuses durch eine stattliche Brücke zu ersetzen, erkennt Georg Sitzmann seine Chance.

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© Foto: Udo Güldner

Auf einer landwirtschaftlichen Fläche, wenige Meter vom Bahnhalt entfernt, lässt er von der Baufirma Kratzer aus Forchheim ein Gebäude errichten. Er nennt es vornehm "Restauration". Damit setzt er sich von der Koy´schen Gastwirtschaft ab, die schon seit Jahrhunderten an der Straße nach Bamberg die Durchreisenden empfängt. Daneben beliefert er andere Schankstätten der Umgebung mit Bierfässern der Löwenbräu Buttenheim. "Er war mit einem Fuhrwerk und zwei Pferden über Land unterwegs", erzählt Fritz Sitzmann.

Georg Sitzmanns Kalkül geht auf. Über die Luitpold-Brücke strömen ab 1910 immer mehr Menschen aus dem Aischgrund mit ihren landwirtschaftlichen Produkten nach Neuses hinein. "Das belebt das Gasthaus, in dem das Bier der Brauerei Schindler aus Forchheim ausgeschenkt wird."

Mit Schießstand und Kegelbahn

1927 kommt ein Tanzsaal hinzu. In ihm feiert man, stets im Oktober, die Kirchweih der erst 1913 errichteten Marienkirche. "Da standen bekannte Bands wie die Melodas auf der Bühne", weiß der Enkel. 1959 wird hier auch der Schützenverein Frankonia Neuses aus der Taufe gehoben, der neun Jahre lang auch seine Schießstände vor der Bühne aufbaut. Danach zieht der Schützenverein um ins Gasthaus "Zur frischen Quelle" der Familie Saffer. "Wir hatten auch eine Kegelbahn, allerdings nicht für Wettkämpfe, sondern für gemütliche Runden." In Küche und Gaststube hat Ehefrau Kunigunda Sitzmann, geborene Secknus aus Unterstürmig (1878-1939) das Sagen.

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"Die Gäste waren unter anderem Mitarbeiter der Firma Lindner, solange die noch keine eigene Kantine hatten und Fahrer der Spedition Klumm." Ein "einarmiger Bandit", eine Jukebox und ein Zigarettenautomat sorgen für ein ordentliches Zubrot. "Wir haben auch Tabakwaren von Krapp aus Sassanfahrt oder Elbel aus Buttenheim angeboten."

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Zugleich wächst aber ein weiterer Geschäftszweig. Denn auf dem Sitzmann-Areal befindet sich auch ein privates Lagerhaus, in dem das Getreide aus der Umgebung bevorratet wird. "Der Silo steht noch", erzählt Fritz Sitzmann weiter. Zudem kann man hier allerlei kaufen, was man auf Acker und Feld braucht: Kunstdünger und Saatgut, ja sogar Hühnerfutter. "Die Kohlen hat mein Vater mit einem Opel-Blitz-Kipplaster ausgeliefert. Da musste man Ladefläche noch von Hand hoch- und runterkurbeln." Auch die örtliche Spar- und Dahrlehenskasse, ein Vorläufer der Raiffeisenbank, hat hier ihren Sitz. Seit den 1920-er Jahren, der Autoverkehr nimmt immer mehr zu, kann man am Gasthaus "Zur Eisenbahn" auch Benzin der Marke Shell tanken. Freilich reicht damals ein Zapfhahn, den eines der Dienstmädchen der Sitzmanns bedient.

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© Foto: Udo Güldner

Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg übernimmt Josef Sitzmann (1915-1998) den Familienbetrieb seiner Eltern. Er muss schon nicht mehr im Winter das Eis aus dem nebenan verlaufenden Ludwig-Donau-Main-Kanal brechen, um damit die Getränke, vor allem aber Fleisch und Wurstwaren im eigens angelegten Eiskeller, zu kühlen. Schließlich gibt es bereits Kühltruhen. Denn zu der Gastwirtschaft gehört ab 1956 auch eine Fleischerei. Die Metzgermeister Franke und Seyschab schlachten die Tiere. Sie haben den Betrieb gepachtet. "In der Gaststube gab es fränkische Küche und ein bis zwei Mal im Jahr eine Karpfenpartie." Die Fische holt Josef Sitzmann bei Karnbaum in Forchheim und schlachtet sie mit seinem Sohn Fritz in der Waschküche selbst.

An seiner Seite schmeißt Ehefrau Elisabeth "Elise" Sitzmann, geborene Ochs aus Schlammersdorf (1915- 2000), den Laden. Ganz buchstäblich. Hat das geschäftstüchtige Paar doch wieder eine neue Marktlücke entdeckt. In der direkten Nachbarschaft siedelt sich ab 1938 die elektrotechnische Fabrik Lindner an. Ein Kiosk versorgt die hungrigen und durstigen Bauarbeiter mit dem Nötigsten.

Vom Kiosk zum Laden

Ihre Schwester Margareta Rauh, geborene Ochs (1923-2019) hilft dabei tatkräftig mit. Aus dem Verkaufsstand wird in den 50-er Jahren ein kleiner Laden werden, der Lebensmittel und andere Waren des täglichen Bedarfs feilbietet. "Die Backwaren lieferte die Bäckerei Schilling aus Buttenheim. Das übrige kam von der Rewe." Im Dorf gibt es in den 50-ern noch zwei andere Tante Emma-Geschäfte. Einmal das der Flüchtlingsfamilie Tuffner aus der Batschka, und dann das der Familie Fleischmann, die parallel dazu schon seit 1923 Single Malt Whisky destilliert.

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© Foto: Udo Güldner

Das Ende des Gasthauses "Zur Eisenbahn" kommt Ende der 1960-er Jahre. Fritz Sitzmann baut alles zu einem Wohnhaus um. Dabei hätte er als Metzgermeister den Familienbetrieb fortführen sollen. Doch die wirtschaftliche Lage ist alles andere als rosig. So beschließt Fritz Sitzmann, lieber als Handelsreisender für Colgate/Palmolive und Philip Morris zu arbeiten. Sein Bruder Hilmar Sitzmann (1948-2021) übernimmt den landwirtschaftlichen Handel. Der andere Bruder Heribert Sitzmann (1940-2021) entwickelt aus der Werkstatt für Landmaschinen ein florierendes Autohaus. Heute erinnert nicht mehr viel an das Gasthaus "Zur Eisenbahn". Außer dem Eiskeller, in dem Fritz Sitzmann ein kleines, privates Museum eingerichtet hat.

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