"Mich interessiert das gewisse Etwas" künstler im fokus

6.6.2020, 10:00 Uhr

© Foto: Udo Güldner

© Foto: Udo Güldner

Tausende Kunstfreunde pilgern alljährlich ins "Offene Atelier". Die Corona-Krise macht solche Ausstellungen derzeit unmöglich. Was aber machen Künstlerinnen und Künstler, solange niemand ihre Werke betrachten kann? Die NN blicken in den nächsten Wochen hinter die eine oder andere Leinwand. Diesmal sind wir bei Heike Flügel zu Gast.

"Mein Mann hat Home Office und bringt meinen Tagesablauf durcheinander." Man kann es sich ein bisschen wie in Loriots Komödie "Pappa ante portas" vorstellen. Nur dass die Protagonisten etwas jünger sind. Plötzlich ist die bessere Hälfte zu Hause.

Die entstandene, vor allem innere Unruhe verhindert, dass Heike Flügel Großformatiges in Angriff nimmt. Kleinere Werke sind es, die nun aus Acrylfarben erwachsen. "Das ist eine ganz neue Welt für mich." Es klingt aber nicht, als ob sie darüber ärgerlich oder betrübt wäre. Eher wirkt sie abenteuerlustig, neugierig, ideenreich. Der Schritt zum Ausschnitt, zum Detail, zur Reduktion ist auch an ihren Kinderbildern zu erkennen. "Mich interessiert nicht die genormte Schönheit, sondern das gewisse Etwas." Ein besonderer Ausdruck, ein flüchtiges Schmunzeln, ein schielender Blick. All dies versucht sie einzufangen. Nicht jedoch in realistischer Manier, sondern farblich verfremdet. Ganz nach Picassos Diktum, dass Kunst den Staub des Alltags von der Seele wasche.

Die 53-jährige Flügel lebt in der Kunst und von der Kunst. Indem sie etwa an der Ernst Penzoldt-Mittelschule in Spardorf Jugendliche für die Malerei begeistert. "Wir malen Bilder, jeder von seiner Ecke aus, bis es ein gemeinsames Kunstwerk ist." Nur dass sie derzeit das kreative Potenzial des Nachwuchses nicht wecken kann. Denn auch hier liegt alles brach und die Pinsel trocknen ein. Wie bei ihren Atelier-Kursen mit maximal fünf Teilnehmern, die sie "Dienstags-Malen" nennt. Ganz zu schweigen von den Aktivitäten im Kreativlabor Erlangen der Kolumbianerin Carolina Martínez. "Hier konnte man meine Bilder für einige Zeit ausleihen, um auszuprobieren, ob sie einem in den eigenen vier Wänden gefallen."

Besonders traurig ist Flügel darüber, dass ihre Sonderschau in "Wörners Schloss" bei Prichsenstadt gerade erst eine Woche zu sehen war, bevor die Pforten schlossen. "Seither hat niemand mehr die Bilder und die Skulpturen meiner Freundin Friedel Neupauer aus Röttenbach sehen dürfen."

Die aufkeimende Melancholie bekämpft die Künstlerin mit frischer Farbe. Ein hintergründiges Gelb lässt jedes ihrer Porträts, an denen sie gerade arbeitet, umso strahlender erscheinen. "Menschen und ihre Gesichter finde ich faszinierend. Auch wenn ein Antlitz eine große Herausforderung ist." Hatte sie zuvor Tiere, Landschaften und komplette Körper inspiriert, rückt sie in Zeiten des Abstandhaltens nun näher an ihre Motive heran. Da es sich um fotografische Vorlagen handelt, besteht so auch keine Infektionsgefahr. Dafür stecken ihre Studien die Neugierde des Betrachters an.

Für sie sei es ganz verwunderlich, so Flügel, dass sich noch immer Kunstfreunde ihrer erinnerten. Obwohl man doch seit Monaten keine Ausstellungen mehr besuchen kann. Auch das "Offene Atelier" hat ihr und ihrem Bildhauer-Nachbarn Wolfram von Bieren neue Besucher zugeführt. "Es war immer ein schönes Wochenende, das man vielleicht im September nachholen könnte." Ein bisschen hilft ihr freilich, dass sie sich über verschiedene Social Media-Kanäle selber sichtbar macht. "Auf Facebook poste ich täglich eines meiner Bilder." Und bei Instagram ist sie auch dabei. "Das ist längst keine oberflächliche Sache mehr, sondern eine Plattform für Kunstfreunde, sich gegenseitig auszutauschen."

Finanziell muss sich Flügel keine allzu großen Gedanken machen, da sie keine Alleinverdienerin ist und auch während der Corona-Krise immer wieder Bilder verkauft hat. "Die 1000 Euro monatliche Soforthilfe für Mitglieder des Berufsverbandes Bildende Künstler habe ich nicht beantragt. Das Geld brauchen andere noch viel dringender als ich."

Sorgen macht ihr weniger die Corona-Pandemie. "Davor habe ich keine Angst." Vielmehr sind es die Verschwörungstheorien, die durch die Gegend schwirren, und die Demonstrationen, auf denen dubiose Gestalten wirre Ideen von sich geben.

InfoWer mehr über Heike Flügel erfahren möchte: www.malwerkstatt-fluegel.de

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