Mit.Menschen: Kerstin Jungwirth, Diagnose Lipödem - was nun?

4.2.2021, 07:57 Uhr
Vorher vs. Nachher: Zwischen diesen beiden Bildern liegen 70 Kilo und eine Diagnose. Kerstin Jungwirth möchte die chronische Krankheit Lipödem bekannter machen.

© Andreas Hellmann / LunaLargo Vorher vs. Nachher: Zwischen diesen beiden Bildern liegen 70 Kilo und eine Diagnose. Kerstin Jungwirth möchte die chronische Krankheit Lipödem bekannter machen.

"Ich habe einfach akzeptiert, dass ich so bin", sagt Kerstin Jungwirth. Dass sie über 140 Kilo wog und permanent Schmerzen hatte. Ziehen in den Beinen, ein Druckgefühl "als würden die Oberschenkel platzen", schwere Knie oder Probleme mit den Armen.

Jahrelang dachte die 30-jährige Forchheimerin, sie sei "einfach" nur übergewichtig. Doch in Wahrheit war sie krank - und erfuhr es nur durch Zufall, dank einer aufmerksamen Mitarbeiterin eines Orthopädiefachgeschäfts in Forchheim. Vor vier Jahren diagnostizierte ein Arzt dann Lipödem - eine chronische Krankheit, bei der sich das Fettgewebe vor allem an Beinen, Hüfte, Gesäß und Armen krankhaft vermehrt.


Krankheitsgeschichte Lipödem: Forchheimerin hat über 70 Kilo abgenommen


Die Diagnose sei für sei eine "große Erleichterung" gewesen, erzählt die gutgelaunte Jungwirth im Podcast Mit.Menschen. "Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen, als ich wusste, dass ich nicht alleine schuld bin an den 145 Kilo." Sie gibt zu, dass sie sich auch lange Zeit falsch ernährte, doch unzählige Diäten und Stunden im Fitnessstudio brachten nicht die gewünschte Veränderung.

Dazu die abfälligen Blicke und Beleidigungen, die schon während der Schulzeit anfingen. Jungwirth erzählt im Podcast offen über ihr Übergewicht, ihre Zweifel, ihre Scham. Früher sei sie eine Schwimmratte gewesen, hätte in den Sommerferien jede freie Minute mit ihrem Vater im Freibad verbracht, erzählt sie. Als Teenager traute sie sich nur noch mit langer Hose und T-Shirt hin, irgendwann blieb sie ganz zuhause. "Ich habe mich zurückgezogen, weil ich mich für mein Aussehen geschämt habe", sagt sie.

Dann kam die Diagnose Lipödem, "die ich neben der Erleichterung erst einmal verdauen musste", so Jungwirth. Wie hätte mein Leben verlaufen können? Welchen Beruf hätte ich ergreifen können, hätte ich vorher davon gewusst? Fragen, die sie sich in der Anfangszeit oft stellte.

Die Ursache für Lipödeme sind noch unbekannt. Dass die Krankheit lange völlig unerkannt bleibt, ist bei Betroffenen ein typischer Verlauf. Das Lipödem lässt sich nicht heilen, jedoch können die Symptome behandelt und die Beschwerden gelindert werden - durch Kompressionstherapie, Lymphdrainagen, gesunde Ernährung und ein gesundes Maß an Sport. Bei einem sehr schweren Stadium ist auch eine Fettabsaugung, die sogenannte Liposuktion, möglich. Die Kosten dieser Operationen werden von den Krankenkassen in der Regel nicht übernommen, auch für die Kompressionen für Arme und Beine müssen Betroffene teilweise kämpfen, wie Jungwirth erzählt.


Lipödem: Kassen zahlen bei besonders kranken Frauen künftig Fettabsaugen


Kerstin Jungwirth möchte, dass die Krankheit in der Öffentlichkeit bekannter wird. Sie möchte anderen Frauen Mut machen. "Es gibt noch so viele Betroffene da draußen, denen es bestimmt so geht wie mir früher", sagt sie. Die aus Scham nicht zum Arzt gehen und, wie sie vor ein paar Jahren, denken, sie seien "einfach dick." Gerade baut Jungwirth eine Selbsthilfegruppe auf, über 20 Frauen kennt sie bereits in der Region.

Rückblickend nennt Jungwirth die letzten vier Jahre "eine wunderbare Reise, auch wenn sie anfangs holprig und schwierig war. "Ich bin der Krankheit dankbar, dass sie mich zu dem Menschen gemacht hat, der ich heute bin. Ich bin selbstbewusster geworden und kümmere mich mehr um mich selber", sagt sie. Man glaubt ihr jedes einzelne Wort.


Betroffene, die Interesse an der Selbsthilfegruppe haben, können sich direkt bei Kerstin Jungwirth unter der Mail-Adresse kerstin-jungwirth@gmx.net melden.

Verwandte Themen


2 Kommentare