Mittelschule in Gräfenberg: Von Entwicklungsgesprächen und Zeugnissen

14.2.2020, 08:00 Uhr
Mittelschule in Gräfenberg: Von Entwicklungsgesprächen und Zeugnissen

© Foto: Petra Malbrich

Recht gelassen nehmen Sascha, Cedric, Nils und Damian ihr Zeugnis entgegen. Nicht im Klassenzimmer, vor allen Kameraden, sondern in einem anderen Zimmer, bei einem persönlichen Gespräch. Petra Meyer, Rektorin der Mittelschule Gräfenberg, hebt das Individuelle hervor und reflektiert nicht vor aller Augen. Warum gerade diese Note im Zeugnis steht, wird ohnehin in einer Art "Erklär-Absatz" neben der Note erläutert. Ob es an der Rechtschreibung oder an der Grammatik haperte oder, dass der Wortschatz sehr gut ist. Und um nicht immer nur die Mängel zu erklären, wird in dem kurzen persönlichen Gespräch auch auf die Fortschritte hingewiesen.

"Wenn ein Schüler 30 Rechtschreibfehler hatte und durch Üben nur noch 25 schreibt, ändert das zwar an der Note nichts, aber es ist ein gewaltiger Fortschritt", sagt Meyer, die Noten schon deshalb eher kritisch betrachtet und mehr Augenmerk auf die individuellen Fortschritte legen würde. "Der Mensch ist neugierig geboren", sagt die Rektorin.

Wichtig sind die Noten und somit die Zeugnisse für Schüler ab der achten Klasse, da sie sich damit bewerben müssen. Ebenso wichtig sind die Zeugnisse für die vierten Klassen. Diese bekommen jedoch kein Zwischenzeugnis, sondern eine "Zwischeninformation" und im Mai das Übertrittszeugnis – und lernen eifrig, um die erforderlichen Noten für den Besuch an eine weiterführende Schule zu erreichen.

Noten nur am Rande

Noten gab es auch früher erst ab dem Zwischenzeugnis der zweiten Klasse. Das klassische Zwischenzeugnis wurde in Gräfenberg durch das Lernentwicklungsgespräch (LEG) abgelöst. Noten gibt es also nur am Rande, auf einem Bogen vermerkt. Im Vordergrund steht das LEG, wie es seit dem Schuljahr 2014/2015 mit der Einführung des neuen "Lehrplans plus" inzwischen an vielen Grundschulen im Landkreis praktiziert wird.

"Diese haben den Vorteil, dass sie den Kindern und hier gerade den Grundschulkindern gerechter werden, da sie mit dem ,Zeugnisdeutsch‘, wenn man ehrlich ist, nicht so viel anfangen können", erklärt Thorsten Götz, Rektor der Gräfenberger Grundschule. Vor den Gesprächen füllt jeder Schüler einen Selbsteinschätzungsbogen aus und reflektiert damit seinen Wissens- und Lernstand in vier Kategorien aus eigener Sicht. Sie werden nicht durch Noten ausgedrückt, sondern durch Smilies oder durch Formulierungen wie "prima", "teilweise" oder "noch zu wenig" eingeschätzt.

Parallel dazu füllt auch die Lehrkraft diesen Beobachtungsbogen aus und erstellt im Anschluss einen Konsensbogen aus beiden. "Das ist die Grundlage für das LEG", informiert Götz. Bei dem Gespräch sind dann auch die Eltern anwesend, aber nicht im Mittelpunkt. Sie sind eher passive Zuhörer. Das Gespräch selbst findet primär zwischen der Lehrkraft und dem Schüler statt. Bei dem Gespräch kann man vor allem die unterschiedliche Beurteilung – die des Lehrers und des Schülers – eingehen. Warum sieht sich der Schüler selbst schlechter als es die Lehrkraft sieht und umgekehrt.

Auf Lernentwicklung eingehen

"So kann man individuell auf das Kind und seine Lernentwicklung eingehen", sagt Götz. Am Ende des Gesprächs wird mit dem Kind gemeinsam ein Ziel überlegt, an dem alle – der Schüler, die Lehrkraft und die Eltern – gemeinsam in den nächsten Wochen und Monaten arbeiten wollen. Ob Noten da nicht mehr Ansporn wären? "Im Gegenteil. Die Kinder sind nach dem Gespräch sehr motiviert, ihr selbstformuliertes Ziel umzusetzen", so Götz.

Und im anderen Fall, wenn der Schüler oder die Schülerin in ihrem Bemühen nachlässt, reicht eine Erinnerung ans das gesetzte Ziel, um wieder in die Spur zu kommen. Das heißt jedoch nicht, dass keine Probearbeiten mehr geschrieben und keine Noten mehr errechnet werden. "Noten spielen natürlich weiterhin eine gewichtige Rolle", erklärt Götz. Zunächst als Einschätzung und Vorbereitung auf das Gespräch. Die dritten Klassen erhalten zudem auch eine Note für jedes Fach. Diese Note steht auf dem Bogen des Lernentwicklungsgespräch. "Die Inhalte des Bogens sind übrigens dieselben wie beim traditionellen Zwischenzeugnis. Unsere Schüler bekommen auch heute zum Zeugnistag ihren LEG-Bogen im Original als ,Zeugnis‘ ausgehändigt, um sich auch von Oma und Opa die Belohnungen abholen zu können", sagt Götz schmunzelnd.

Durchweg positive Rückmeldung

Die Rückmeldung nach den ersten Gesprächen sei durchweg positiv gewesen, erinnert er sich. 94 Prozent der Eltern haben sich dann für das Gespräch anstelle eines Zeugnisses ausgesprochen. Unliebsame Überraschungen gibt es somit nicht, zumal die Eltern beim Gespräch über den Leistungsstand des Kindes dabei sind.

Ähnlich in der Mittelschule: Angst vor dem Zeugnis ist vorbei. "Das liegt schon an dem vielen Kontakt zwischen Schule und Elternhaus im Vorfeld", erläutert Yvonne Amtmann. Sie ist die Jugendsozialarbeiterin an der Mittelschule in Gräfenberg und auch sie würde informiert werden, wenn Lehrer bemerken, dass Schüler in ihren Leistungen abfallen. "Oft sind die Kinder mit anderen Dingen beschäftigt", so Amtmann. Kein Wunder, befinden sich die pubertierenden Schüler doch in einer Art Ausnahmezustand.

Das zu berücksichtigen, ist auch Petra Meyers Bitte, sollten Eltern mit den Leistungen ihres Nachwuchses nicht so ganz zufrieden sein. Schimpfen jedenfalls hilft nicht. "Liebe und geduldig sein und Unterstützung anbieten", rät Meyer den Eltern pubertierender Mittelschüler. Ein Trost: "Es legt sich wieder, wenn es an die Prüfungen geht." Auch Amtmann rät Eltern eher das Positive hervorzuheben. Ein Fach, in dem der Schüler gut sei, gebe es immer. "Druck und Angst bringen nichts", meint Amtmann. Aber sie weiß auch, dass für viele Eltern Noten nicht alles sind. Die Eltern sind zufrieden, wenn die Kinder glücklich sind.

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