Tankstellenmitarbeiter nennt Details

Mordprozess: Ohrfeigen, die im gesamten Haus zu hören waren

2.11.2021, 16:33 Uhr
Die Menschen im kleinen Ort Steinbach im Landkreis Forchheim nehmen bis heute Anteil am Schicksal der Familie.

© Eduard Weigert, NN Die Menschen im kleinen Ort Steinbach im Landkreis Forchheim nehmen bis heute Anteil am Schicksal der Familie.

Anfangs ist auch Corinna von seiner freundlichen, charmanten Art angetan. Die frühere Schwägerin des Angeklagten, die im wahren Leben ganz anders heißt, durchschaut das „Fassadentheater“, wie sie es nennt, aber bald. „Im Laufe der Jahre ist meine Begeisterung abgekühlt.“ Corinna vermutet, dass der Angeklagte mit der Erziehung zweier Kinder völlig überfordert gewesen sei.

Kind schon vor Jahren attackiert

Sie selbst erlebt, wie er seinen Sohn immer wieder anschreit und der Tochter mehrere Ohrfeigen verpasst, die man im ganzen Haus hören kann. Wenn sie nicht macht, was er will, nennt er seine Tochter auch mal eine „blöde Kuh“. Ein Schlüsselmoment ist ein Streit zwischen dem Angeklagten und seinem damals sechsjährigen Sohn, den die Schwägerin mitbekommt. Beide werden dabei laut. „Ich sah, wie er zum Schlag aus der Schulter ausholte.“ Im letzten Moment kann die Mutter verhindern, dass die Faust das Kind auf dem Sofa trifft. „Ich selbst war starr vor Schreck,“ so Corinna. Noch heute tue es ihr leid, dass sie ihren Mann davon abgehalten habe, die Polizei zu rufen. „Ich habe mich um das Wohl der Kinder gesorgt.“

Lange Zeit hätte ihre Schwester zwischen dem Angeklagten und den Kindern gestanden. „Sie hat gehofft, dass man sich zusammenrauft.“ Seine arrogante Art, sie „als Frau und aus dem Osten“ zu belehren und sie herabzuwürdigen, habe sie immer unglücklicher werden lassen. Dabei spielte auch eine Rolle, dass sich die Mutter alleine um die Familie gekümmert habe, während der Angeklagte sich in den Beruf, sein teures Hobby (Durchs-Gelände-Fahren) und ein prestigeträchtiges Ehrenamt bei der Freiwilligen Feuerwehr gestürzt habe.

"Ich habe ihr zur Trennung geraten"

Zuletzt sei die Mutter hilflos gewesen. „Ich habe ihr zur Trennung geraten.“ Auch weil der Angeklagte nach einem sechswöchigen Klinikaufenthalt einfach weitergemacht habe, als sei nichts gewesen. „Als es um eine längere Therapie ging, hat er meine Schwester nur vertröstet.“ Seinem Bruder und den eigenen Eltern erzählt der Angeklagte nichts von seiner psychischen Erkrankung, will nach außen hin den Schein wahren.

Über Jahre hinweg hat die Familie weit über ihre Verhältnisse gelebt. Eine Aufstellung der Kredite kurz nach der Tat ergibt, dass sich rund 100.000 Euro Schulden aufgehäuft haben. Dabei hat man nicht einmal Wohneigentum geschaffen. Stattdessen fließt das Geld offenbar in teure Prestigeobjekte wie auffällige Fahrzeuge, ein Klavier und Reitstunden für die Tochter. Trotz eines monatlichen Einkommens von insgesamt 6.000 Euro reicht es vorne und hinten nicht. Sogar bei seinen Eltern will sich der Angeklagte Geld leihen. „Ganz viel Schein und wenig Sein,“ kommentierte Corinna. Der Angeklagte definiere sich sehr stark über Leistung und Einkommen und Ansehen bei anderen.

Nach der Trennung, aber noch vor der schlimmen Bluttat, scheint die Mutter mit ihren beiden Kindern – freilich ohne den unbeherrschten, cholerischen, gewaltbereiten Angeklagte - viel glücklicher gewesen zu sein. „Es gab deutlich weniger Streit.“ Das Zusammenleben sei harmonischer gewesen, das Aggressive habe völlig gefehlt. Dass der Angeklagte dünnhäutig und leicht reizbar ist, fällt auch seinem Bruder auf, der ansonsten bestrebt war, ihn in bestem Lichte darzustellen. Aber auch ihn geht der Angeklagte bei einem Familientreffen verbal hart an. „Ich bin 48 Jahre, da muss ich mich nicht so zur Schnecke machen lassen.“

Tankstellenmitarbeiter nennt Details

Im Zeugenstand berichtete auch ein Tankstellen-Mitarbeiter aus Eckental, der dem Angeklagten wenige Stunden nach dem Kindsmord einen Kanister mit Benzin verkauft hat. Der Mann sei ganz ruhig und freundlich gewesen, gar nicht aufgeregt. Dabei liegt zeitgleich der Leichnam des Kindes in der Wohnung auf dem Sofa.

„Ich kann es nicht verstehen, wie man nach so einer Tat seelenruhig in die Tankstelle kommt, als sei nichts gewesen.“ Am Donnerstag wird es spannend werden. Dann werden der psychiatrische Sachverständige Dr. Michael Zappe und der Diplom-Psychologe Jürgen Melzer, beide aus Bayreuth, etwas zur Motivlage, zum seelischen Zustand und zur Zukunft des Angeklagten sagen. Vielleicht können die beiden Fachleute ja das Rätsel lösen, warum der Angeklagte seinen neunjährigen Sohn hinterrücks umgebracht hat.

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