NN-Serie zu Erinnerungen: Aus Japan wieder in Forchheim zu Besuch

25.4.2021, 07:57 Uhr
NN-Serie zu Erinnerungen: Aus Japan wieder in Forchheim zu Besuch

© Foto: Thomas Walther

Thomas Walther, Jahrgang 1952 und im japanischen Kamakura lebender Forchheimer, greift dieses Mal nicht auf seine Erinnerungen an Kindheit und Jugend zurück, sondern auf einige Notizen, die er als Besucher aus Japan über sein Forchheim festgehalten hat.

Details, die bis zu 60 Jahre zurückliegen

Mitunter wurde ich gefragt, wie das so sei, mit den Erinnerungen an Details bis zu 60 Jahre zurück und davor. Bei meinen Rückblenden bestätigte sich, was Bertha von Suttner zugeschrieben wird: "Man trägt doch eine eigentümliche Kamera im Kopfe, in die sich manche Bilder so tief und deutlich einätzen, während andere keine Spur zurücklassen."

Ich bedanke mich bei allen, die meinem Gedächtnis auf die Sprünge geholfen und dazu beigetragen haben, die Kinderzeit und Jugend eines Forchheimers Jahrgang 1952 so wirklichkeitsgetreu wie möglich wiederzubeleben:

Wilfried Burkard, Peter Chivari, Renate Esch, Ute Friesleben, Evelyn Frey, Ulrich Graser (danke für die Idee zu dieser Reihe und die Einladung an mich, diese Jahre zu beschreiben), Johannes Gronenberg, Michael Kaiser, Stadtarchivar Rainer Kestler, Conny und Gottlieb Klumm, Rosalinde Kuhnert, Willi Kummer, Waltraud Riester, Harald und Hilmar Schmidt (Bücherstube an der Martinskirche), Lucky Schmidt, Walter Schmitt, Elli, Horst und Sabine Schulenburg, Helmut Schwarz, Harald Winter, Gerd Zeidler.

Neues altes Forchheim-Bild

Wann immer ich in meine Heimat zurückkehre, vermischen sich Erinnerungen und Erwartungen mit Begegnungen und Beobachtungen zu einem neuen alten Forchheim-Bild. Für eine Weile bewahrte ich im fränkischen Urlaub Erlebtes in Notizen auf. Davon nun eine kleine Auswahl aus der Zeit von etwa 1987 bis 2000.

NN-Serie zu Erinnerungen: Aus Japan wieder in Forchheim zu Besuch

© Foto: Thomas Walther

Mein Vater und ich besuchen unsere ehemalige Nachbarin in der Paul-Keller-Straße. Sie wohnte mit ihrer Familie direkt über uns. Wenn ich als Kind auf dem Dachboden beim Wäsche aufhängen dabei war, interessierten mich vor allem die aus jeder Küche im Haus kommenden Abluftrohre. Mit Begeisterung rief ich ein "Hallo, Frau Bööörner" nach unten. Sie hat mich nicht vergessen. Wir drei gehen nach oben, unter dem Dach sieht es so aus und riecht es wie damals in den 50er Jahren, nach Staub und dem Holz der Lattenverschläge. Auf der Tür zu unserem ist immer noch unser Familienname in Bleistift verewigt zu lesen. Ich bin leicht ergriffen.

Abends zum Schafkopfen im Lieblingsgasthof

Abends zum Schafkopfen in unserem Lieblingsgasthof. Bis elf Uhr bedient auch eine Wirtstochter. Wir vier Kartler stimmen ein "Hör mein Lied, Elisabeth" an, um eine neue Runde bei ihr zu bestellen. Die Dame ist durch nichts aus der Contenance zu bringen. Wir gehören zu den letzten Gästen.

Der Service ist hervorragend: Die Wirtin schlummert im Standby auf der Ofenbank in der Küche, die Kartlerbrote bleiben auch nach Mitternacht mundgerecht zugeschnitten. In gut gehenden Kneipen und Restaurants Japans gilt nicht selten das "Zwei Stunden und raus"-Prinzip. Die permanente Nachfrage erlaubt es.

Schäufala, Obatzter und Stadtwurst

Beim Grillen im Garten eines Freundes, meine Frau ist/isst dabei. Nachdem sie die Frage "Na, geht noch eine Bratwurst?" des Gastgebers fünfmal bejaht hat, zieht mich der diskret zur Seite und fragt, ob japanische Menschen vielleicht nicht nein sagen, weil es unhöflich sei, etwas Angebotenes zurückzuweisen? Ich beruhige ihn: Meine Frau speist langsam, doch zeigt keine Schwächen, wenn es ihr richtig gut schmeckt. Das gilt auch in Franken: Schäufala, Ziebalaskäs, Obatzter, Stadtwurst mit Musik, Keckbrot, Zwetschgenbames …. u.s.w., Bier mag sie nicht so. 

Bin auf der Bamberger Straße unterwegs und sehe Frau Wiemann allein in ihrem Lebensmittelladen stehen. Meinem "Grüß Gott, Frau Wiemann!" begegnet sie mit einem fragenden Blick. "Ich bin’s, der Thomas Walther." "Na der Doomas!" — schon lange nicht mehr gehört, das hat sie immer gesagt, wenn sie mich begrüßte!

Fränkische Freundlichkeit

Sie kennt mich, seit ich im Kinderwagen lag. In meinen jungen Jahren sammelte sie für mich mit Stadtwappen bedruckte Streichholzschachteln, die ich mir immer mal abholte. Ich erwähne das, sie erinnert sich. Wir plaudern eine ganze Weile. Als meine Mutter sich nach der Flucht im noch ungewohnten Forchheim einlebte, war das Einkaufen bei Frau Wiemann eine Begegnung mit fränkischer Freundlichkeit. Das haben wir nie vergessen.

Eine SB-Tankstelle, Kunde an Zapfsäule 1 entdeckt Bekannten an Zapfsäule 3: "Aa a weng dangn?" Smalltalk-Klassiker, fränkisch. Gruß und bestätigtes gemeinsames Erleben von Zeit und Raum. Folgt eine Antwort, ein "Freili!" oder "Scho!", bin ich Zeuge einer fränkischen Konversation geworden. Gehen beide zeitgleich zur Kasse, kommt vielleicht noch was nach: "Der Club had a scho wieder verlorn!" o.ä. So synchronisieren sich Franken mühelos im Alltag. Zulässige Variationen sind "… a weng eikaafn? …. a weng schbaziern? … a weng nauf die Keller?" Ich brachte meiner japanischen Familie zumindest ein "Aa a weng Suschi essn?" bei.

Meine Frau und ich verbringen einen Kaffee-Nachmittag bei Freunden. Der achtjährige Sohn sitzt mit am Tisch und bleibt sehr still. Als wir uns verabschieden, schüttelt er heftig die Hand meiner Frau, zu den Worten: "Japan ist ein gutes Land!" Wir schauen überrascht drein, er hat die Erklärung parat: "Weil da Nintendo herkommt!"

Als ich früher fürs Leben lernte

Woran denke ich, wenn ich vorm ehemaligen Café Müller stehe? An zwei wöchentlich garantierte Freistunden (Ausfall des Ethikunterrichts) bei Bamberger Hörnla und Kakao. Zusätzlich gönnte ich mir während des Unterrichts mindestens einmal die Woche meine eigene (irgendein Nebenfach, zweite Stunde) Müllerzeit. Wenn die frühstückenden Schulbusfahrer mit der Bedienung um die Wette flirteten, lernte ich fürs Leben. Trotz täglicher Anwesenheitsüberprüfung per Absenzenheft blieben meine privaten Ausflüge ein Schuljahr lang unbeanstandet, das wundert mich noch heute.

Mein Apothekerfreund nimmt mich mit, um Nachbestelltes in die Dörfer frei Haus auszufahren. Belieferter Kunde: "Dangschö, gell! Mögn’s an Kaffee?" Apotheker: "Na danke, muss noch mehr ausliefern!" Kunde: "Der hädd a ned gschmeggd!" Hier meldet sich der japanische Knigge anerkennend zu Wort: Durch seinen Verzicht hat der Apotheker den Kunden pro-aktiv vor einem Gesichtsverlust infolge Anbietens von minderwertigem Kaffee bewahrt, japanischer geht es gar nicht!

Tokyo ist weit weg

Zum Abschluss stellvertretend für die Momente, in denen alles passt und ich lieber viel länger zu Besuch bleiben würde: Ein Juni-Samstagnachmittag so gegen vier, die Hilde hat gerade den Schaufelkeller aufgesperrt und mir eine Halbe hingestellt.

NN-Serie zu Erinnerungen: Aus Japan wieder in Forchheim zu Besuch

© Foto: Thomas Walther

Ich sitze alleine im laubgefilterten Sonnenlicht, habe die noch ungelesene SZ-Wochenendausgabe vor mir und genieße Forchheim. Der Kellerwald steht still und schweiget. Eine Hand klatscht, kein Zen-Buddhismus — Mücke tot. Die Zeit hat es nicht eilig. Eine Hand hebt, kein Gruß — Krug leer. Irgendwann wird ein Gast eintreffen, den ich kenne, und der Schorsch. Tokyo ist sehr weit weg.

Weit weg und doch zuhause

Warum besuche ich Forchheim so gerne? Sehr viele Freunde aus der Kinderzeit und Jugend leben noch oder wieder hier und im Land- oder näheren Umkreis — Bamberg, Bayreuth, Nürnberg, Ansbach, Neustadt. Ich bin einmal nach der Ankunft aus Japan direkt vom Flughafen zum Gasthaus Schwane gefahren, am Kartlerabend meiner Freizeitfußballer-Freunde.

Mit "Na, aa wieder do?" wurde meine Ankunft bestätigt und ich war nie weg gewesen, spielte bei der nächsten Runde Rififi gleich mit. Das gefällt mir an meinem privaten Forchheim. Weit weg und doch zuhause.

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