Pubertät im Corona-Lockdown: Forchheimerin berät Eltern

17.5.2021, 06:00 Uhr
Pubertät im Corona-Lockdown: Forchheimerin berät Eltern

© Florian Küttler/dpa

Frau Debudey, waren Sie ein anstrengender Teenager?

Ich kann mich an zuschlagende Türen erinnern. Ich habe gern meinen Eltern widersprochen. Es gab Gefühlschaos, Verliebtheitsphasen, ein Ausbrechenwollen – rückblickend war ich, glaube ich, eine ziemliche Herausforderung für meine Eltern. Heute schmunzeln wir oft darüber.

Sie waren also eine ganz normale Jugendliche?

Absolut. Man muss in diesem Alter rebellieren.

Warum eigentlich?

Ein Kind beginnt zu spüren, dass das Elternhaus als Basis existiert – aber dass es drum herum noch viel mehr gibt: Mein eigenes Leben. Wo will ich hin? Wer will ich sein? Wer sind meine Freunde? Was ist mir wichtig, wofür bin ich hier? Die Antworten findet kein Jugendlicher im Elternhaus, die gibt es nur unter Gleichaltrigen. Draußen, im Erleben.

Gibt es auch physische Ursachen?

Während der Pubertät ist das Hirn eine Großbaustelle, die Synapsen schalten sich völlig neu – daher kommt das Chaos in der Gefühlswelt. Das trifft jeden, da kommt niemand drum herum.

Wie begegnet man diesem Chaos richtig als Vater, als Mutter – mit Härte und Autorität? Mit Verständnis und Empathie?

Eltern müssen erst einmal auf sich schauen: Wie begegne ich meinem Kind? Ich muss verstehen, was es gerade durchmacht. Dann muss ich klare Haltung beziehen.

Pubertät im Corona-Lockdown: Forchheimerin berät Eltern

© Foto: privat

Sie meinen Regeln aufstellen?

Na ja. Ich muss mir als Erwachsener bewusst werden, dass ich mein Kind mit zehn oder elf Jahren nicht mehr erziehen muss wie ein Kleinkind. Diese Erziehungsarbeit wird durch Beziehungsarbeit abgelöst. Hier muss ich mich fragen: Welche Rolle habe ich als Mutter und als Vater? Welche Werte möchte ich dem Kind mitgeben?

Also geht es nun darum, sich zusammenzusetzen und miteinander zu reden?

Die Schlüssel sind Kommunikation und Authentizität. Ich muss Werte vorleben. Ich kann nicht erzählen, wie ungesund Alkohol und Rauchen ist, mich zu diesem Gespräch aber rauchend mit einer Flasche Bier mit meinem Sohn zusammensetzen. Es geht hauptsächlich um Vorbildcharakter. Wir unterschätzen als Eltern, wie sehr sich unser alltägliches Verhalten auf die Verhaltensweisen unserer Jugendlichen übertragen.

Während der Pubertät sollen Eltern auf Alkohol und Zigaretten verzichten?

Wir werden in der Pubertät extrem reflektiert, das muss uns bewusst sein. Wenn wir uns also jeden Abend zu Hause eine Flasche Wein aufmachen, werden uns die Kinder damit eiskalt konfrontieren, sobald wir sie kritisieren, weil sie ihren ersten Alkoholrausch haben. So ist es auch beim Medienkonsum, beim Rauchen und so weiter: Ich muss mich als Erwachsener öfters selbst reflektieren als vorher, es geht hier um Vorbildcharakter und Glaubwürdigkeit.

Eltern werden "uncool" – bedeutet das, dass wir uns verändern müssen, dass wir "cool" werden müssen?

Nein, auf keinen Fall. Wir werden in der Pubertät nicht zu besten Freundinnen oder zu dicken Kumpels, sondern wir müssen in unserer Mutter- und Vaterrolle bleiben. Wir müssen Werte vermitteln, Haltung vorleben.

Sie haben das Ausbrechen angesprochen, das im Lockdown ein Problem ist: Jugendliche treffen sich vielleicht heimlich. Wie gehen die Eltern richtig damit um?

Hier muss ich klar Position beziehen, deutlich machen, was mir wichtig ist, dass ich das nicht möchte – und klare Grenzen setzen. Hier wäre "Coolness" völlig falsch.

Eben noch waren die Kinder klein, plötzlich rebellieren sie – das ist auch für Eltern eine schwierige Umstellung.

Absolut, ich werde als Elternteil vom zentralen Lebensinhalt zu einer Basisstation reduziert. In meinen Coachings stärke ich die Eltern, dass sie die notwendige Rebellion nicht persönlich nehmen. Kinder brauchen die Lieblingsmenschen, um sich reiben zu können: Sehen Sie das eher als Liebesbeweis ihres Kindes!

Ein harter Schnitt, gerade wenn die Beziehung harmonisch und intensiv war.

Eltern müssen die Perspektive wechseln, auf sich selbst achten: Was tut mir selbst gut? Ich muss nicht mehr am Sonntag in den Zoo fahren, ich kann jetzt mit dem Partner was zu zweit unternehmen. Oder, wenn ich alleinerziehend bin: Ich kann jetzt was für mich tun, Sport machen, Freunde treffen. Ich bleibe auf einer anderen Ebene Bezugsperson – aber kann mein eigenes Leben wieder leben.

Eine Art Selbsttherapie?

Pubertät der eigenen Kinder bedeutet für uns etwas Ähnliches. Wir werden wieder mit den Fragen konfrontiert: Was will ich jetzt in meinem Leben? Wie will ich leben, wenn meine Kinder aus dem Haus sind? Was ist mir wichtig? Als Mutter von drei Kindern habe ich 28 Jahre lang mein Leben auf meine Kinder ausgerichtet. Sie prägten diese Zeit – daher ist die Pubertät, das Loslösen, auch für mich eine Chance, in mein eigenes Leben zurückzukehren.

Gab es mit Ihren pubertierenden Kindern Momente, in denen Sie als Mutter nicht mehr weiterwussten?

Auf jeden Fall. Mein ältester Sohn ist mit dem Kopf durch die Wand, das hat mich manchmal an meine Grenzen gebracht. Zum Teil waren seine Verhaltensweisen komplett konträr zu meinen Wertevorstellungen. Das ist der kritischste Punkt: Wenn man spürt: Das Kind entwickelt sich anders, als man es möchte.

Wird Streit dann zur Notwendigkeit?

In meinen Augen umgehen heutzutage Eltern zu häufig den Konflikt. Das sollte nicht die Frage sein. Die einzige Frage sollte sein: Wie gehe ich in diesen Konflikt?

Und, wie gehe ich in diesen Konflikt?

Auch hier bleibe ich die erwachsene Person und spiegele durch mein Verhalten meinem Kind, wie man einen Konflikt bestreitet. Wenn ich das umgehe, sind meine Kinder später überhaupt nicht konfliktfähig.

Angenommen, es eskaliert . . .

Dann gehe ich als Erwachsener zunächst einmal einen Schritt zurück. Ich atme durch, halte kurz inne – und nehme mir dann Zeit für ein Gespräch. Dieses führe ich aber aus der Ich-Perspektive. Also nicht etwa aus der Du-Perspektive: Du hast dein Homeschooling wieder nicht gemacht, ich sehe deine Fehlzeiten, du hast dich nicht eingeloggt und so weiter. Stattdessen: Ich nehme wahr, das mit der Schule läuft nicht gut. Ich mache mir große Sorgen, wie es weitergehen soll. Hier sollten unbedingt Gefühle angesprochen werden – und dann gebe ich dem Jugendlichen die Chance, eine Lösung zu finden.

Also ordne ich nicht etwa an, zwinge?

Genau, ich gebe dem Kind die Chance, eine eigene Lösung zu finden. Das ist der Unterschied zu klassischen Erziehungsmethoden, wir agieren nun anders: Du kennst jetzt meine Position – was würdest du vorschlagen, was du jetzt machst?

Bis zu welchem Punkt kann man so großzügig sein?

Solange die eigene Gesundheit und die anderer nicht gefährdet ist.

Durchleben Mädchen und Jungs die Pubertät eigentlich unterschiedlich?

Mädchen haben, das ist wissenschaftlich erwiesen, mehr mit Emotionen zu kämpfen, sie ziehen sich eher zurück. Bei Jungs geht es in die andere Richtung. Es geht um Macht, um das Sich-Zeigen-Wollen. Als Mutter konnte ich mich in das Mädchen oft besser hineinfühlen: Bin ich schwanger oder nicht? Wie verhüte ich, wie verhüte ich nicht? Wie läuft das mit einer Periode? Jungs haben da ganz andere Themen, wenn es um den ersten Samenerguss geht, tue ich mich als Frau natürlich schwerer als der Vater. Ideal ist es, wenn die Kinder die Reaktionen beider Elternteile erleben können.


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Frau Debudey, es geht viel um Lösen, um Ausbrechen aus dem Elternhaus. Nun lässt die Pandemie all das nur sehr bedingt zu – wenn überhaupt. Welche Folgen wird das für Jugendliche haben?

Da gibt es bereits Untersuchungen, dass die Pandemie für die Entwicklung von Jugendlichen extrem fatal ist. Sie brauchen jetzt ihre Altersgenossen um sich, sie brauchen dieses Ausbrechen – stattdessen haben sie eine erzwungene, starke Zentrierung aufs Elternhaus. Das wirkt sich ganz massiv aus, da mache ich mir große Sorgen. Da wird das Dynamit zu Hause noch schärfer, die Situation ist noch angespannter.

Wie kann man das lösen?

Ich rate zum Familienrat – sich gemeinsam immer wieder Zeit nehmen, die Probleme auszusprechen. Dann gilt es vor allem, die Jugendlichen zu stärken, ihre Chance zu nutzen, wenigstens eine Person ihres Freundeskreises treffen zu dürfen. Und Eltern sollten sich mit anderen Eltern austauschen – wir müssen als Erwachsene viel begreifen, was sich gerade bei den Kindern verändert. Sobald ich das verstehe, habe ich eine andere Dynamik.

Wird es eine Generation Corona geben, die Verhaltensauffälligkeiten zeigt?

Meine Vermutung ist leider, dass wir das im Sozialverhalten und im Selbstbewusstsein merken werden. Es fehlt den Jugendlichen die Behauptung unter Gleichgesinnten – das kann massive Auswirkungen haben.

Haben Sie eine konkrete Frage, dann stellen Sie sie direkt per E-Mail an kontakt@debudey.de – Kerstin Debudey gibt zudem Gruppenseminare und Einzelcoaching. Mehr Infos unter
www.kerstin.debudey.de

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