Reden statt Handy: Ist die Salonkultur zurück in Muggendorf?

17.6.2019, 05:50 Uhr
Können wir denn alle nur noch Smalltalk? So steht es auf einem der vielen Zettel im Weidenkorb, die zum Gespräch anregen sollen in einer digitalen Zeit, die nur noch wenig berührende Worte findet?

© Nina Eichenmüller Können wir denn alle nur noch Smalltalk? So steht es auf einem der vielen Zettel im Weidenkorb, die zum Gespräch anregen sollen in einer digitalen Zeit, die nur noch wenig berührende Worte findet?

Steintreppen führen hinunter in den geschmückten Garten. Am Gartentor empfängt Peer Bökelmann die Gäste. Sie nehmen an einer bunt dekorierten Tafel Platz. Rosa Pfingstrosen und Kerzen schmücken den Tisch. Jeder hat Leckereien für das Treffen mitgebracht. Rote-Bete-Salat, Käseplatten und Aufstriche stehen zwischen der Dekoration und werden von den Gästen bestaunt. Über ihnen hängen rote Buchstaben auf gelber Schrift: "Wir sind offen."

Manche der Gäste kennen sich schon, andere sind sich noch fremd, eines teilen sie alle: Sie möchten in der digitalisierten Welt Platz für analoge Gespräche schaffen, sich in die Augen sehen, statt auf das Smartphone und über gesellschaftsrelevante Themen sprechen, als allein nur über das Wetter. Sie wollen gemeinsam einen "Tag der offenen Gesellschaft" feiern.

Zeichen für Offenheit setzen

Initiiert wurde dieser Tag von einem Verein aus Berlin, der sich "Die offene Gesellschaft" nennt. In ganz Deutschland treffen sich an dem Tag die Menschen, kochen und essen gemeinsam und tauschen sich über die Gesellschaft aus. Die Initiative möchte damit ein Zeichen für Offenheit, Freiheit, Vielfalt und Freundschaft setzen.

Peer Bökelmann und Renate Scharrer wollten die Initiative unterstützen und haben am Samstag zu dem Treffen bei sich in Muggendorf eingeladen. Sie führen seit einigen Jahren als Mutter-Sohn-Gespann den Wiesent-Salon in Muggendorf und laden dort mehrmals im Jahr zu Gesprächsrunden ein.

Für Einsame und Interessierte

"Wir haben vor ein paar Jahren ehrenamtlich begonnen, die Salonkultur hier in Franken wiederaufzubauen. Hier können Menschen herkommen, die einsam sind oder einfach Interesse an guten Gesprächen haben", erklärt Peer Bökelmann.

2017 haben sie daraus ein Unternehmen gegründet und arbeiten seitdem viel mit Firmen zusammen, die sie in ihrer Kommunikation mit Mitarbeitern unterstützen. "Es entsteht schnell das Bild von einem elitären Philosophenkreis, was wir überhaupt nicht sind. Es sind keine religiösen oder esoterischen Themen, die wir behandeln und vom Landwirt über den Metzger bis hin zum Büromitarbeiter ist hier jeder willkommen", so Bökelmann.

Er hält einen geflochtenen Weidenkorb in der Hand, der bis oben hin mit eingerollten Zettelchen gefüllt ist. Auf den Zetteln stehen Anregungen für gesellschaftsrelevante Themen. "Die neue Zeit kennt wenig berührende Worte", "Können denn alle nur noch Smalltalk?" oder "Welches Vorbild möchtest du sein?" sind einige der Anregungen.

Keine Nachbarschaftshilfe

Schnell entwickelt sich ein Gespräch zwischen den Gästen. Es geht um die Erfahrungen, die sie mit Nachbarn gemacht haben. "Ich kenne es noch von früher aus meiner Kindheit, dass die Frauen abends vor dem Haus saßen und gestrickt haben, die Kinder spielten auf der Straße und die Männer unterhielten sich bei einer Zigarette", erzählt eine der Gäste. "Nachbarschaftshilfe zum Beispiel kenne ich überhaupt nicht. Selbst als ich mir den Fuß gebrochen hatte und auf Krücken angewiesen war, hat niemand mal für mich eingekauft oder meinen Hund ausgeführt. Das war wirklich schlimm keinerlei Hilfe zu bekommen", erzählt eine andere Frau von ihren Erfahrungen. Sofort bieten sich die Frauen gegenseitig an, Telefonnummern und Adressen auszutauschen, um sich in solchen Fällen zu unterstützen.

"Die Gesellschaft vereinsamt immer mehr, sich mit Freunden nur über WhatsApp auszutauschen gibt einem nicht halb so viel wie ein persönliches Gespräch", so Bökelmann. In Franken sei es zwar schwierig, die Leute für die Salonkultur zu begeistern, aber sie glauben daran, mit etwas Geduld, die Menschen für gute Gespräche zu öffnen.

Bökelmann zieht ein positives Fazit der Veranstaltung: "Das war ein Experiment, weil wir überhaupt nicht wussten, wer kommen würde. Wir haben zwar sehr viele Leute eingeladen, aber wenig Rückmeldungen bekommen. Umso mehr freue ich mich, dass es geglückt ist und wir nette Gespräche hatten."

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