Reisen blind genießen

30.8.2018, 19:00 Uhr
Reisen blind genießen

© Ralf Rödel

Politisch korrekt zu urlauben, das scheint heuer ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Dabei bin ich immer so gern an den Balaton gefahren. Hier war das Wetter noch im September klasse, das Gulasch und der Rotwein günstig, der Plattensee-Pegel blieb selbst mittendrin brav unter Bauchnabel-Niveau. Lauschig für Typen wie mich, denen zu viel und zu tiefes Wasser eine Höllenangst macht.

Kann ich inzwischen aber alles vergessen: Ungarn unter Orbán ist zum Kotzen. Ich möchte keinen Badeurlaub in einem Land machen, das Fremdenfeindlichkeit zur Staatsdoktrin erklärt, in dem öffentlich-rechtliche Medien gleichgeschaltet werden oder dessen Regierungschef schutzsuchende Flüchtlinge zu arglistigen Monstern stilisiert – und der dafür auch noch Traum-Wahlergebnisse einheimst.

In die Türkei bin ich auch immer gern geflogen, allein schon der Türken wegen: Auf einen Unsympathen kamen hier zehn herzlich-gastfreundliche Menschen. Außerdem wollte ich seit Ewigkeiten mal nach Istanbul. Kann ich aber auch vergessen: Das „Ende von Istancool“ titelte unlängst der Spiegel, im Reich des Sultans Erdogan ringt die einst pulsierende Metropole ums kulturelle Überleben. Zu groß meine Abscheu, in einem der noch nicht geschlossenen Musikschuppen der Stadt einen Drink zu schlürfen oder mich dümmlich grinsend vor der Hagia Sophia ablichten zu lassen – während im selben Staat gerade zehntausende Menschen, darunter weit über 150 meiner Berufskollegen, wegen Terrorverdachts (sprich: Kritik an der Regierung) im Knast sitzen.

Also ab nach Italien? Zu viele GeschichtsLegastheniker. Dann gen Polen an die Ostsee? Alles verPiSst. Rauf auf die Alpen? Von FPÖsis besetzt. Okay: Frankreich! Hat Macron nicht die Marinebraune Dreckschicht von den Boulevards gekratzt? Keine Ahnung, für Frankreich fehlt mir die Kohle. Gleiches gilt für die USA, wo das halbe Land komplett verTrumpt ist.

Doch Urlaub muss sein, schließlich ist es meine Wohlstandspflicht, turnusmäßig in exotische Länder zu reisen, um dort möglichst preisgünstig möglichst viel Deutsches vorzufinden. Und wo, wenn nicht im Ausland, könnte ich meinen teutonischen Trieb befriedigen, Sonnenliegen blitzartig mittels Badetuch zu annektieren? Sei’s drum. Wenn ich nur fest genug die Augen schließe, kann ich jeden Urlaub blind genießen. Schweig still, mein Touri-Gewissen! Politik, Moral, Skrupel – dieser Kram hat am Pool unter Palmen nix verloren. Da müssen sie mir schon mein buntes All-inclusive-Bändchen von meinem kalten toten Handgelenk reißen!

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