Winterwunderland Forchheim: Wie die Winter vor 60 Jahren waren

26.12.2020, 09:02 Uhr
Winterwunderland Forchheim: Wie die Winter vor 60 Jahren waren

© Archivfoto: Rolf Contino

Früher war mehr Schnee? Die ersten Flocken fielen ab der zweiten Novemberhälfte und schmolzen bald wieder, auf Forchheims 266 m ü. NHN. Bei nasstrübem Herbstwetter verlagerte sich das Kinderleben nach drinnen, wo ich mir einen weißen Winter über Franken wünschte.

Daheim kündigte die erste im Keller gefüllte Kohlenschütte den Beginn der Kachelofensaison an. Bis in den Frühling hinein erwärmte die mannshohe flaschengrüne Heizquelle unsere Wohnstube und verteilte nebenbei etwas laue Luft über einen Schacht ins angrenzende elterliche Schlafzimmer. Mein Zimmer blieb thermal unterversorgt, ein einzelner Elektro-Heizstrahler verglühte angesammelten Staub und besaß ansonsten die Wärmewirkung einer Kindergeburtstagskerze.

Feuermachen gehört zu einer gut beheizten Stube

Die Eisblumenpracht an meinem Fenster konnte man während besonders kalter Winter wochenlang bestaunen. Wir lebten seit 1954 in einem neuen Wohnblock an der Paul-Keller-Straße und in dem gehörte das Feuermachen – Kohle, Holz, Papier und Asche – zu der einen gut beheizten Stube, zum heißen Badewasser und zum warmen Essen vom Küchenherd. Nach dem Umzug in eines der Y-Häuser Ende 1960 gewöhnten wir uns sehr schnell und gerne an die Zentralheizung und eine mollig warme Wohnung.

Winterwunderland Forchheim: Wie die Winter vor 60 Jahren waren

© Archivfoto: Rolf Contino

Wie alle Kinder griff ich bei Minusgraden auf ein bewährtes Freiluftprogramm zurück, beginnend gleich vor der Haustür mit dem Hoscheln, jede gefrorene Pfütze lud dazu ein. Die vereiste kleine Böschung direkt am Nordosteck der Verklärung Christi-Kirche diente einen oder zwei Winter als kurze und recht steile Gleitbahn, für einen Rutsch auf dem Hintern oder, für Mutige, mehr oder weniger stehend. Zum Schlittschuhlaufen bot sich im Stadtnorden das Baggerloch zwischen Main-Donau-Kanal und der B 4 an.

Eishockey auf zugefrorenen Karnbaum-Weihern

Weil wir dem Eis dort nicht richtig trauten, blieben wir nahe am Ufer. Auf den solide zugefrorenen Karnbaum-Weihern spielte ich zwischendurch auch einige Male beim "Eishockey" mit – zu viel Aufwand, man musste selbst gezimmerte Latten oder zweckentfremdete Besenstiele und leere Bärenmarke-Dosen (als Puck verwendet) mitbringen. Beim Abmontieren von Schlittschuhen zum Unterschnallen löste sich auch mal die halbe Schuhsohle mit ab.

Früher war mehr Schnee! Sobald sich die Flocken häuften und zu einer Decke schlossen, kam die wichtigste Winterausrüstung, der Rodelschlitten, auch für praktische Dienste zum Einsatz: Mutter schraubte die Rückenlehne an und nahm den Sohn in den Schlepptau, zum Einkauf in der Nachbarschaft oder um Stollenteig zum Backen beim Landsmann zu bringen. Sie zog, ich hielt die Ware fest.

Mit Schlitten und Skiern zum Örtelberg

Winterwunderland Forchheim: Wie die Winter vor 60 Jahren waren

© Foto: privat

Als Knirps war ich beim Rodeln hinab in die Sandgrube dabei, direkt vor unserer Wohnung, und als Nicht-mehr-Knirps mit dem Schlitten oder auf Skiern die eineinhalb Kilometer zum Örtelberg unterwegs. An dessen weniger steilen, doch recht langen Hängen bauten wir oft eine kleine Sprungschanze in die Piste. Unsere Kleidung musste warm und sturzfest sein und sah so aus: Wollsocken, Keilhose, unter dem kaum gefütterten Anorak ein dicker Skipullover und Pudelmütze. Dazu Wollhandschuhe, die sich bei jedem Schneekontakt voll sogen, nie trockneten und im Laufe des Tages Eisklumpenanhängsel formten. Im ständigen Wechsel zwischen Pisten-Aufstieg und -Abfahrt wurde es mir nie richtig kalt.

Die zeitig einsetzende Abenddämmerung beendete den ganzen Spaß viel zu früh. Beim Rückweg auf müden Beinen bot eine Skibindung mit Spannhebel und Seilzug den Vorteil, dass man die Kabelschlaufe an der Ferse aushängen und dann auf ebenem Gelände bequemer gleiten konnte. Trotz Wollsocken glitt ich bisweilen mit Eisfüßen heimwärts, denn die ledernen Schnürskischuhe (mit gefühlten 100 Hakenösen) absorbierten Nässe und waren irgendwann bretthart gefroren.

Mit Nachbarskindern Schneemänner bauen

Viele andere Wintertage verbrachte ich zusammen mit Nachbarskindern bei klassischen Aktivitäten wie Schneemann oder Schneeburg bauen, Schneeballschlachten und dem erfolglosen Vorhaben, ein Iglu zu errichten.

Winterwunderland Forchheim: Wie die Winter vor 60 Jahren waren

Die Wettertabellen bis Mitte der 60er Jahre bestätigen mehrere weiße Weihnachten in Folge. Draußen der erhoffte Schnee, und drinnen? Früher war mehr Spielzeugeisenbahn! Unsere Trix-Express-Modellanlage begeisterte mich jahrelang als unschlagbare Weihnachtssensation und entsprang dem Bastelgeschick meines Vaters. Der sägte, hämmerte, bohrte, schraubte, klebte, lötete im Wohnzimmer einige Feierabende lang, damit die Miniaturwelt bis zum Heiligen Abend stand.

Pakete aus dem Erzgebirge

Ich hörte ihn durch die mir dauerverschlossene Türe fluchen, gegen Kurzschlüsse und Wackelkontakte kämpfend. Erfolgreich und mit Langzeitwirkung: Wenn ich an die abgedunkelte Wohnstube denke, Mini-Eisenbahn, Faller-Häuschen und Christbaum warm leuchtend, erstrahlen in mir heute noch Glühbirnen und Kerzen.

Das Weihnachtsfest gehörte der Familie. Nahezu alle Verwandten von uns, an der Zahl nicht knapp, lebten "drüben" und wurden jedes Jahr mit Paketen bedacht – gefüllt mit Bohnenkaffee, Damenstrümpfen, Schokolade, Kosmetik, irgendetwas aus Dralon. Gegengaben trudelten ein, Dresdener Butterstollen, Weihnachtsfiguren aus dem Erzgebirge, Briefmarken, Holzspielzeug.

Feiertägliche Stille

Schenken verbindet. Soweit ich mich erinnern kann, kam die Adventszeit noch ohne Glühweinbuden- und Karussellkerwas, Weißwurstfrühschoppen und Geschenkeinkaufskampftage aus. Ab 24. Dezember mittags schlossen alle Geschäfte, Gasthäuser, Cafés und manche hatten bis ins neue Jahr hinein zu.

Ich mochte die tiefe feiertägliche Stille. Vater spielte Weihnachtslieder auf der Ziehharmonika, pianissimo. Der Nikolaus und die Forchheimer Verwandtschaft schauten vorbei. Wenn Schnee lag, liefen die drei Walthers am späten Heiligen Abend los und erfreuten sich an den Lichtern der Kleinstadt. Die obligatorische jährliche Kokosnuss vom Mirsberger kam bis Neujahr unter die Säge. Silvester erlebte ich in meinen Kinderjahren als den Tag mit Sardellenbutter-Schnittchen, Käsehäppchen und Knallbonbons zum Abendbrot.

Taschengeld für Knallketten ausgegeben

Ich ließ ein paar Sterndlwerfer Funken sprühen, ging schlafen und wurde kurz vor dem Jahreswechsel geweckt, oder auch nicht. Als ich mit zunehmendem Alter bis nach Mitternacht aufbleiben durfte, vermied ich die Ananas-Bowle und goss dafür mehr Blei. Das neue Jahr wurde mit deutlich weniger Feuerwerk und Böllern als heutzutage begrüßt.

Vom Balkon unserer Y-Haus-Wohnung bekamen wir einen guten Blick auf die Raketen über der Stadtmitte. In den Zeiten des ersten Taschengeldes konnte ich mir die Pfennig-Knallketten (ausgesprochen "Pfenning") und 5er-Kracher in größerer Stückzahl leisten und zündete eifrig, aber lautstärkemäßig doch etwas schwächlich mit.

Zu Hochneujahr verschwanden Christbaum und Trix Express. Ob tiefgefroren oder matschig, der düstere Winter hielt noch eine ganze Weile durch. Die Faschingstage halfen darüber hinweg, das sollen sie ja auch heute noch, und das war es dann, bis zum Osterspaziergang . . . Strom und Bäche, vom Eise befreit.

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