Zu Besuch bei den "Büchermenschen" im Landkreis Forchheim

16.5.2021, 08:00 Uhr
Zu Besuch bei den

© Sylvia Kiesewetter

Die Beziehung der Menschen zu Büchern variiert von „gar keine“ über „beruflich bedingt“ bis zu „lebensnotwendig“. Manche Menschen werden schon als Kind zum Leser, manche erst später, manche nie. Wir stellen drei vor.

Kleine unabhängige Buchhandlungen sind das Salz in der Suppe für Leute, die Bücher lieben. Kleine Buchhandlungen sind meist auch kulturelle Institutionen, setzen sich ein für regionale Literatur und kennen ihre Kunden genau. Eine dieser kleinen Buchhandlungen in Forchheim ist die Bücherstube an der Martinskirche, die seit 36 Jahren vom Ehepaar Schmidt geführt wird.

Eine Berufung

„Ich empfinde meine Arbeit nicht als Job, sondern als Berufung“, sagt Marion Schmidt. Daher lese sie die Bücher, die sie interessieren, von vorne bis hinten. „Nur so kann ich ein Buch wirklich empfehlen. Als Wertschätzung dem Autor gegenüber darf ich nicht zensieren. Die Leser müssen sich ihre eigene Meinung bilden.“ Das Buchangebot ist groß. Daher greift sie für Informationen auf die „Waschzettel“ (umfassende Buchbeschreibungen), die Klappentexte, Fachzeitschriften, Literatursendungen und Feuilletons zurück. Aber auch Buchempfehlungen von Kunden nimmt sie gern auf. „Das sind immer sehr interessante Gespräche“, sagt sie.

Das Buchsortiment orientiert sich am Lesegeschmack der Kunden: Krimis, Belletristik, Klassiker, Sachbücher über Politik und Gesellschaft (zurzeit die neuen Bücher von Richard David Precht und Frank Schätzing). Neu erschienene Bücher kommen in gebundener Form ins Sortiment, ältere eher als Taschenbuch. Spezialisiert hat sich die Bücherstube auf „Frankenbücher“. Die Spannbreite reicht vom Wanderbuch über historische Bücher bis hin zum Frankenkrimi und andere fränkische Literatur. „Wir sind auch offen für Experimente“, meint sie. „Gern darf es auch ein ungewöhnliches Buch sein.“ 

Regelmäßig kommen sogenannte „Schnellschüsse“ auf den Buchmarkt, Literatur zu einem aktuellen Thema wie etwa Covid-19. Mit den Verlagsvertretern wird bei Aktionen abgesprochen, ob nicht verkaufte Bücher zurückgegeben werden können. „Wir sind vollkommen frei in der Entscheidung, welche Bücher wir einkaufen“, sagt Marion Schmidt.

Wegen fehlender Nachfrage biete sie E-Books und Hörbücher nicht an. Leider fällt die Leipziger Buchmesse aus. „Wir waren gleich nach der Wende auf der Messe“, erzählt sie. „Wo kommt ihr her? Wo liegt Forchheim? Wir waren Exoten in Leipzig.“ Auch die Frankfurter Buchmesse besuchen die Schmidts. „Messen nutzen wir nicht für den Einkauf, sondern für das Entdecken interessanter Bücher bei unseren Lieblingsverlagen.“

Aus dem „Herbst-Katalog“ der Verlage lese sie momentan die Vorabexemplare „Der Panzer des Hummers“ von Caroline Albertine Minor, eine ungewöhnliche Familiengeschichte (erscheint im August), und „Face it“ von Debbie Harry, die Autobiographie der Blondie-Sängerin. Sehr empfehlen kann Marion Schmidt „Effingers“ von Gabriele Tergit, ein 900 Seiten starker Roman über vier Generationen einer jüdischen Familie. „Unsere Kunden haben uns während der Pandemie mit ihren wechselnden Öffnungszeiten die Treue gehalten. Dafür sind wir ihnen sehr dankbar“, sagt Marion Schmidt. Lesen verbindet eben.

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© Sylvia Kiesewetter

„Schon in meiner Kindheit und verstärkt ab meinem 20. Lebensjahr habe ich gelesen“, sagt Henry Ludwig. Sein Vater habe selbst viel gelesen, vor allem wenn er auf Montage war. „Lesen bringt dir mehr als Fernsehen“, habe er seinem Sohn geraten. 1979 in Berlin lernte Henry Ludwig die Musik und die Texte David Bowies und „Die Kinder vom Bahnhof Zoo“ kennen. Die Gedanken, Gefühle, Sichtweisen und Schicksale von Menschen faszinierten ihn damals schon.

Über Unterhaltungsliteratur, die er heute kaum noch liest, kam er zu Sachbüchern über Politik und Philosophie, Gegenwartsliteratur, Bestseller und Biographien über Musiker, Sportler, Schauspieler, Journalisten und Politiker. Aktuelle Informationen holt sich Ludwig vorwiegend aus Printmedien: „Da ich mir meine Meinung gern selbst bilde, lese ich nicht die BILD“, sagt er, „sondern die NN, Die Zeit und samstags die Frankfurter Allgemeine.“

Ideen für neuen Lesestoff findet er in Sendungen wie „Literaturclub“, „Literat-Tour“, „Lesenswert“ und „Druckfrisch“ oder im Deutschlandfunk Kultur „Lesart“. „Ich liebe die Diskussionsrunden und die verschiedenen Ansichten der Kritiker zu einem bestimmten Buch“, freut er sich. Und wenn Denis Scheck ein Spiegel-Bestseller-Buch in die Tonne wirft mit den Worten „Das braucht kein Mensch!“, findet er das erfrischend. 

Eines seiner Lieblingsbücher ist „Der Gesang der Flusskrebse“ von Delia Owens. „Das ist eines der Bücher, in dem der Klang der Sprache Bilder im Kopf hervorruft.“ Er lese immer zwei bis drei Bücher gleichzeitig je nach Lust und Laune und etwa 40 Stück im Jahr. Zurzeit sind das: „Hardland“ (Benedict Wells), „Was, wenn wir einfach die Welt retten“ (Frank Schätzing) und „Über Menschen“ (Juli Zeh). 

Ein E-Book nutzt er kaum, höchstens im Urlaub, und ein Buch in einer Bücherei auszuleihen, kommt für ihn nicht in Frage. Weil ein Buch für ihn eine hohe Wertigkeit besitzt, kauft er nur gebundene Ausgaben, und weil sie ihm nach dem Lesen ans Herz gewachsen sind, will er sie besitzen und in sein Bücherregal stellen, um sie immer wieder hervorholen zu können. „Man muss nicht studiert haben. Man muss nur Bücher lesen. Das bildet.“

Für Menschen, die Bücher lieben, ist eine öffentliche Bücherei eine „lesenswichtige“ Einrichtung. Neben den Bibliotheken in kommunaler Trägerschaft gibt es öffentliche Bibliotheken, die von den Kirchen vor allem im ländlichen Bereich unterhalten werden. Die Leitung und Mitarbeit erfolgt überwiegend durch ehrenamtliche Mitarbeiter.

Inge Zettelmaier leitet ehrenamtlich die Gemeindebücherei St. Michael in Heroldsbach. „Seit unserem Zuzug 1987 in Heroldsbach haben unsere Töchter, damals im Schulalter, in der Bücherei mitgeholfen“, erzählt sie. Später habe sie diesen Job sozusagen von ihnen übernommen. 

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© Sylvia Kiesewetter

„Die Welt der Bücher gehört schon immer zu unserem Familienleben.“ Nach 25 Jahren Mitarbeit hat Inge Zettelmaier die Leitung der Bücherei übernommen, in der acht Mitarbeiter und ein Springer arbeiten. Der zeitliche Aufwand ist hoch, da die Bücherei noch nicht digitalisiert ist.

Ein Bücherkatalog muss geführt, Kartei- und Buchkarten geschrieben, neue Bücher eingebunden, Rückgabedaten eingetragen werden. Dafür braucht sie insgesamt mindestens einen Tag pro Woche. Dazu kommt der Dienst zu den Öffnungszeiten mit Vor- und Nachbereitung. „Da muss man Bücher schon mögen“, lacht sie. 

Von der Gemeinde und der Katholischen Kirchenstiftung St. Michael wird ein festes Budget zur Buchbeschaffung zur Verfügung gestellt. Der Einkauf erfolgt über ein Verlagshaus in München. „Es gibt keine Auswahlvorschriften“, sagt Inge Zettelmaier. Aus Buchbesprechungen in Funk und Fernsehen, in Zeitschriften und Zeitungen, durch Buchempfehlungen des Münchener Verlagshauses erhält sie Ideen zum Kauf.

Selbst könne sie die Bücher nicht alle lesen, dazu fehle ihr die Zeit, aber die, die sie oder ihre Mitarbeiter selbst gelesen und die ihnen gefallen haben, fließen natürlich in die Auswahl ein. Entscheidend sei der Lesegeschmack der Gemeindemitglieder.

„Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler“, sagt sie. Um den Lesern die Auswahl leichter zu machen, habe sie Rubriken eingeführt: „brandaktuell“, „lesenswert“, „muss man kennen“ et cetera. Das kommt gut an. Den größten Zuspruch finden Krimis und historische Romane. Und was liest sie selbst? „Am liebsten historische Reiseberichte mit viel Flora und Fauna für meine Entdecker-Seele, außerdem Bücher von Martin Suter oder Robert Seethaler.“ Ihre letzte Entdeckung war „Alte Sorten“ von Ewald Arenz aus Fürth: „Das konnte ich nicht weglegen, bis ich beim überraschenden Schluss ankam.“ Natürlich muss dieses Buch in den Bestand der Leihbücherei aufgenommen werden.

SYLVIA KIESEWETTER

 

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