Formfehler in StVO: Sind Knöllchen jetzt ungültig?

10.7.2020, 05:50 Uhr
Die Patzer bei der jüngsten StVO-Novelle sorgen vor allem bei der Bearbeitung von Bußgeldbescheiden für Verwirrung.

© picture alliance / dpa Die Patzer bei der jüngsten StVO-Novelle sorgen vor allem bei der Bearbeitung von Bußgeldbescheiden für Verwirrung.

Am Donnerstagmorgen gab es in den Leitungen der Zentralen Bußgeldstelle kein Durchkommen. Zweimal Freizeichen, dann ist die Nummer besetzt. Wieder und wieder. Am Mittag dann die Erklärung: "Aufgrund der aktuellen Situation" sei man momentan nur eingeschränkt erreichbar, sagt die Stimme vom Band, nach 12 Uhr schweigen die Telefone ganz.

Für Autofahrer könnte es billiger werden

Die "aktuelle Situation" ist nicht nur für die Sachbearbeiter des Bayerischen Polizeiverwaltungsamtes eine Herausforderung. Die dort angegliederte Bußgeldstelle verschickt Bescheide an Autofahrer im ganzen Freistaat, wenn sie gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen haben. Im "Auskunfts-Service" habe man derzeit ein "verstärktes Anrufaufkommen", bestätigt Sprecher Alexander Lorenz, und das wird wohl noch ein paar Tage so bleiben.

Denn die Sachbearbeiter sind genauso wie zahlreiche Autofahrer ratlos. Ein juristischer Fehler in der jüngsten Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) sorgt dafür, dass möglicherweise Hunderttausende Knöllchen angefochten werden könnten. In der Region sind es allein 76.000 Bescheide, die "unter Umständen betroffen sind", heißt es vom Zweckverband Kommunale Verkehrsüberwachung, der für die Bußgelder in Nürnberg, Fürth, Erlangen und Schwabach zuständig ist. Deutschlandweit sind laut ADAC nach Inkrafttreten der Novelle etwa eine Million Verkehrsverstöße begangen worden.

Für Autofahrer kann das Durcheinander ein Vorteil sein. "Zukünftige und noch nicht abgeschlossene Verfahren" werden nämlich seit Anfang Juli nach dem alten, also bis zum 27. April gültigen Bußgeldkatalog, abgearbeitet. Nicht abgeschlossen sind alle Verfahren, in denen bereits Einspruch eingelegt wurde oder die Frist von 14 Tagen noch nicht verstrichen ist. Wem etwa wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen nach der neuen Verordnung ein hohes Bußgeld oder sogar ein Fahrverbot gedroht hätte, könnte nun glimpflicher davonkommen. Der ADAC rät deshalb, unbedingt Einspruch einzulegen, gleichzeitig sollte eine Änderung der Rechtsfolgen verlangt werden. Aussicht auf Erfolg hat der Einspruch aber nur, wenn "im Bußgeldbescheid der neue Bußgeldkatalog angewandt wurde".

Wer seinen Bescheid schon vor längerem erhalten oder gar den Führerschein schon abgegeben hat, kann wenig tun. Juristin Daniela Mielchen hält als Ultima Ratio ein Gnadengesuch für möglich - und sie habe auch schon von Fällen gehört, in denen die Behörde den Führerschein einfach zurückgegeben habe. Denn eine Regelung oder Rechtssicherheit, wie mit Bescheiden auf Grundlage des neuen Bußgeldkatalogs umzugehen ist, blieb das Verkehrsministerium in Berlin bisher schuldig.

Verstoß gegen Grundgesetz

Die Novelle, die für den Ärger verantwortlich ist, war am 27. April in Kraft getreten, samt strengerem Bußgeldkatalog: Einmonatige Fahrverbote schon bei Geschwindigkeitsüberschreitungen von 21 km/h innerorts, höhere Bußgelder für viele Verstöße. Der Aufschrei unter Automobilisten und ihren Vertretern war dementsprechend groß. Dann wies der ADAC auf einen Formfehler in der Novelle hin - und das Verkehrsministerium in Berlin machte eine Rolle rückwärts.

Konkret geht es um Artikel 3, die neue Bußgeldverordnung. Das Problem: In der Präambel fehlt der Hinweis auf die Ermächtigungsgrundlage. "Das ist ein Verstoß gegen das Grundgesetz", macht Rechtsanwältin Mielchen klar. Beim Hin und Her über die neue Verordnung haben die Experten wohl schlicht vergessen, die Präambel anzupassen, sagt die Juristin, die im Deutschen Anwaltverein Mitglied des Ausschusses Verkehrsrecht ist. "Ramsauer ist so etwas auch schon passiert", erinnert sie sich. Das war 2009, damals ging es um Verkehrsschilder.

Uneinigkeit unter Juristen

Ob der Fauxpas nur die Fahrverbote, den Artikel 3 oder die gesamte Novelle ungültig mache, darüber herrscht unter Juristen Uneinigkeit. Mielchen sieht aber letzteres als bewiesen an - damit wären nicht nur die Fahrverbotsregelungen, sondern etwa auch der neue Sicherheitsabstand zu Radfahrern nichtig. Der ADAC sieht das anders, der Schutz von Radfahrern sei nicht betroffen, heißt es aus der Pressestelle.


Autoklub will Bußgeld-Katalog rückgängig machen


Als das Malheur auffiel, unterrichtete Minister Scheuer am 2. Juli die Länder, Behörden sollten zum alten Bußgeldkatalog zurückkehren. Eine Mammutaufgabe. "Wir haben die Überwachung erst einmal ausgesetzt und unsere alte Software wieder eingespielt", sagt Eugen Schmidt von der Verkehrsüberwachung in Nürnberg, "das hat ein paar Tage gedauert." Seit Dienstag laufe das System wieder. Alle Verstöße, die nach dem 2. Juli aufgeschrieben wurden, werden nach dem alten Bußgeldkatalog abgearbeitet - was mit den anderen passiert, ist aber immer noch unklar.

Am 10. Juli sollen in Berlin Regeln für einen einheitlichen Umgang mit den Bescheiden erarbeitet werden, die zwischen April und Juli erstellt wurden. Gut möglich, dass viele davon nachgearbeitet werden müssen. "Das ist eine ganz große Herausforderung", macht Schmidt klar.

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