Überraschende Chance zur Mondlandung

30.10.2014, 11:00 Uhr
Überraschende Chance zur Mondlandung

© Hans-Joachim Winckler

Ein bisschen Mut hat das Foto-Shooting erfordert. Nicht so sehr von Karl-Heinz Schmidt (57). Aber von dem Schüler, der mit ihm aufs Bild sollte: Während Schmidt in einen weißen Astronautenanzug schlüpfen durfte, sollte der Achtklässler einen Außerirdischen mimen – in einem hautengen, grünen Ganzkörperanzug.

Überraschende Chance zur Mondlandung

© Foto: Hans Winckler

Nicht gerade das, was man als Jugendlicher gerne vor Fotografen trägt. Karl-Heinz Schmidt bemerkte das Unbehagen und fand die richtigen Worte, um die Scheu zu nehmen. Am Ende schaffte es das Motiv – eine Brachfläche diente beiden als Mondlandschaft – sogar aufs Titelblatt der Oktober-Ausgabe, die zugleich die Ausgabe zum 20-jährigen Bestehen des Straßenkreuzers ist.

Das Foto entstand als Teil einer ungewöhnlichen Bilderstrecke, die in dem Magazin präsentiert wird. Die Idee dazu hatten Nürnberger Schüler mit der Redaktion entwickelt: Straßenkreuzer-Verkäufer – Menschen, die, wie es im Heft heißt, „meist hart auf dem Boden der Tatsachen stehen“ – sollten sich in der „Rolle ihres Lebens“ zeigen. Fotograf Peter Roggenthin, der unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, den Spiegel und auch die FN tätig ist, lichtete sie ab. Als Flugkapitän, Bäuerin, Fußballprofi, Jazzmusiker (mit Groupies), Tierarzt, Pilger, Tourist oder reicher Mann.

Für die Achtklässler der Mittelschule am Hummelsteiner Weg war es das zweite große Projekt mit den Verkäufern. Vor einem Jahr haben sie mit ihnen einen Film gedreht, zeigten Brüche, verpasste Chancen, Träume. Jetzt ging es darum, die Träume wahr werden zu lassen – zumindest für einen Moment. Die Schüler kümmerten sich um die Maske, Kostüme, Kulissen. Herausgekommen sind Aufnahmen und Geschichten, die berühren.

Karl-Heinz Schmidt war gleich dabei, sein großer Traum war sofort klar: Im Juli 1969, Schmidt war gerade einmal zwölf Jahre alt, fieberte er vor dem Fernseher im Wohnzimmer, neben Mutter und Schwester, dem Augenblick entgegen, in dem der erste Mensch, Neil Armstrong, den Mond betrat. Sein jüngerer Bruder war schon eingeschlafen.

„Wir hatten so einen kleinen Fernseher, und man hat eigentlich nur gewartet und Schnee gesehen“, erzählt er. „Das hat sich immer weiter verzögert, es gab unendlich lange Kommentare – wie später bei den Boxkämpfen von Muhammad Ali.“

Über den großen Moment hat Schmidt selbst ein paar Zeilen für den Straßenkreuzer geschrieben: „Das Bild war schwarz-weiß und verzerrt. Dennoch war es der Wahnsinn: Der Himmel war so klar und ich wollte da auch hinauf.“

Dass daraus nichts werden würde, wusste er bald: „Ich war zu groß – und dann noch meine Höhenangst. . .“ Auf dem Drei-Meter-Brett im Freibad sei ihm ja schon mulmig geworden. Gesprungen ist er damals übrigens trotzdem.

Ein bisschen Mut war auch im August 2011 nötig. Damals schlüpfte Schmidt in die Rolle des Straßenkreuzer-Verkäufers. Es habe Überwindung gekostet, sich mit den Heften hinzustellen – so gut gemacht sie auch sind, erinnert er sich. „Man fühlt sich beobachtet.“ Von Menschen, die vorbeilaufen und ahnen können, dass sein Leben nicht ohne Brüche verlaufen ist und dass das Geld knapp ist.

Im August 2011 liegen 37 Berufsjahre hinter Schmidt und zwei Operationen, bei denen er künstliche Hüftgelenke bekam. Er konnte damit wieder ohne Schmerzen laufen, zurück in den Job aber konnte er nicht: „Das war schwere körperliche Arbeit, das ging nicht mehr.“ Nach dem Qualifizierenden Hauptschulabschluss hatte er Heizungsinstallateur gelernt und die meiste Zeit in diesem Beruf gearbeitet, zwischendurch auch als Möbelpacker. Einschneidend war die Krise, als rasch nacheinander die Mutter und die Schwester starben. Doch er hatte sich ins Arbeitsleben zurückgekämpft – bis die Hüfte nicht mehr mitmachte.

Schmidt suchte nach einem Weg, ein wenig Geld zum Hartz-IV-Regelsatz hinzuzuverdienen, als ein Freund ihm vom Straßenkreuzer erzählte. Heute ist er froh, dass er sich damals traute: „Mit Hartz IV ist man ausgegrenzt, man sitzt zuhause und hat kein Geld, um was zu unternehmen. Man hat keine Ansprache.“

Prominenter Kunde

Die ersten Erfahrungen als Verkäufer des Magazins sammelte Schmidt in der Breiten Gasse in Nürnberg – doch wegen der Fahrtkosten, er wohnt in Fürth, „war das ein Draufzahlgeschäft“. Dann fand er seinen Stammplatz: in der Fürther Fußgängerzone, vor dem Drogeriemarkt Müller. Seitdem gibt es zwei Verkäufer in der Innenstadt, für mehr reicht das Laufpublikum nicht, sagt Schmidt. „Fürth ist halt nicht Nürnberg.“

Mindestens vier bis sechs Stunden am Tag ist er, wenn es nicht in Strömen regnet, an seinem Stammplatz zu finden, manchmal auch woanders: im Kärwa-Getümmel, beim Apfelmarkt, abends auch mal vor der Comödie.

Comödien-Chef Volker Heißmann gehört zu seinen Stammkunden und hat gelegentlich eine Freikarte dabei. Viele nette Menschen habe er kennengelernt, sagt Schmidt, „man kommt leicht ins Gespräch“. Dumme Sprüche hört er selten.

Dreht man das Schild um, auf dem er zurzeit die Jubiläumsausgabe anpreist, findet man einen Spielplan der SpVgg Greuther Fürth. Schmidt ist Fan seit Jugendtagen. Manchmal leistet er sich eine Karte, in der Bundesligasaison 2012/13 aber schaffte er es nicht ins Stadion: „Samstag ist doch meine Hauptgeschäftszeit.“ Trotzdem hat sich damals ein Traum erfüllt: Die Unaufsteigbaren waren aufgestiegen, Schmidt war bei der spontanen Feier in der Gustavstraße dabei: „Ich hab’s erlebt!“

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