Die Irrfahrt des Ost-Humanoiden

8.2.2010, 00:00 Uhr
Die Irrfahrt des Ost-Humanoiden

© Hans-Joachim Winckler

Die Dame im Pelz rückt mit der Sammelbüchse an. «Eine kleine Spende für Unternehmer in Erbfolge!« Madeleine Schickedanz, von Andrea Burger schön damenhaft-dämlich gespielt, stimmt ihr Klagesolo an, knapp 200 Zuschauer im Saal seufzen theatralisch mit. Karl-Theodor, ja, der rede sich leicht, «wir aber sind von der Volksschule direkt in den Adel abgedriftet«. Jawoll, das sitzt. Das ist treffsicher, gemein, boshaft, doppelbödig, wahr - Fasching in Reinkultur.

Just im Stadtjubiläumsjahr war die Krise der Dullnraamer mit Händen greifbar, die Faschings-Anarchisten waren zu Faschings-Anästhesisten geworden, die das Publikum in der großen Kufo-Halle nach nicht ganz einer Stunde an den Sandmann verloren hatten und nicht mehr zurückgewannen. Inzwischen hat Chefin Ute Weiherer den Ensemble-Kehraus und die Häutung des etwas schwierigen Dullnraamer-Dinos hinter sich; darüber scheint die Autorin und Regisseurin zu neuer alter Stärke gefunden zu haben. 2010 packen 13 putzmuntere, junge. hochmotivierte Kanalaufräumer die Meute im Saal und halten sie drei Stunden lang fest. Die satirische Giftdosis wirkt bis zuletzt.

Das - zumindest für Dullnraamer - traumatische Ergebnis der jüngsten Bundestagswahlen hat bei Weiherer & Co. offenbar eine Überdosis Adrenalin freigesetzt, die beim Austüfteln hundsgemeiner Szenen und Texte überaus hilfreich war. Dass sich hier und dort ein Solo ohne Pointe versendet - passiert. In Nummern aber wie «Raumschiff Deutschländer«, wo Kommandantin Angieway, «ein Ost-Humanoid«, das Bordkommando hat, Doc Roesler «mit Informationen von 200 Krankenkassen programmiert« wird und Grüngonen und Sozianer den Kurs bemäkeln, passen ein dicht gestrickter Text und die riesige Spiellaune des Ensembles zueinander wie Hand und Handschuh.

«Kleinkleckersdorf in Fürth«

Fünf Krisengewinnler schmachten in der Sauna. «Und? Was macht die Insolvenz?« - «Wirft gerade Gewinn ab!« Treffer. Die desorientierte Opposition auf Irrfahrt: «Sozialdemokratie heißt nicht das Weitertragen des Feuers, sondern das Bewahren der Asche.« Treffer. Migranten-Dialog: «Sarrazin hat nie im asozialen Viertel gelebt.« - «Doch. Im Regierungsviertel.« Volltreffer. Von der Sorte gibt es einige mehr. Die Zuschauer liegen quer vor Lachen, als Stephan Hausner als Jesus am Schaumstoff-Kreuz darauf besteht, «über mich zu lästern, solange ich will, Herrgott nochmal!« Trocken schlucken sie indessen, als Ute und Uwe Weiherer eine «Gedenkminute für die Pfisterschule« abhalten und die «durchdachte Politik von Kleinkleckersdorf in Fürth bis Großkleckersdorf in Berlin« preisen.

Überhaupt, Uwe Weiherer: Wo gibt’s in und um Fürth eine Rampensau von vergleichbarem Format? Er ist der zynische Soldat, der die Afghanen zum Demokratietest bittet, saugut gelaunter Vortänzer, cooler Vorsänger (im Duett «Linker« mit Tochter Rike) und als Heiner aus dem Kannibalentanz-Männerballett mit Knochen im Wuschelhaar ohne Furcht vor der Deppenrolle des Abends. Wenn aber wie bei dieser «Sidzung« soviel Kreativität und durchtriebene Politikschelte im Spiel sind, dann ist das lediglich Platte umso ärgerlicher. Guttenberg, «der glatt gegelte Kampfkraftzwerg« - passt noch. «Liberale Scheißer« aber - passt gar nicht. Die Münze ist zu billig.

Prima sind dagegen die rasanten Videos (Peter Frei), die unter anderem mit einem schön verhohnepipelten Werbespot aufwarten. «Die Absurdität, die Realität, mach’ es zu deinem Bayern! Hornochs. Es gibt immer was zu muh’n.« Als Sidzungs-Band sind wieder Spam aus Ansbach im Einsatz. Die legen ein Brett nach dem anderen hin und stehen beim superentspannt zelebrierten Cover des Shadows-Klassikers «Albatros« dem Original in garnichts nach. Dullnraamer 2010: ein starker Jahrgang.MATTHIAS BOLL

Weitere Termine: 12. und 13. Februar, 20 Uhr, Kulturforum (Würzburger Straße 2). Tickets (19, Abendkasse 22 Euro) bei allen bekannten Vorverkaufsstellen.