Adressen ohne Rotlicht

5.4.2008, 00:00 Uhr
Adressen ohne Rotlicht

© André De Geare

Der Angriff erfolgte ohne Vorwarnung. Kaum hatte die Prostituierte die Tür ihres Appartements in der Südstadt geöffnet, stürzte sich der Mann auf sie. Die Frau konnten ihren Peiniger zwar dank heftiger Gegenwehr in die Flucht schlagen, erlitt aber schwere Stichverletzungen. Der Täter, ein 60-jähriger Nürnberger, wurde einen Tag später geschnappt. «Dieser Fall ist für Fürth absolut nicht exemplarisch», sagt Kripo-Chef Erwin Zettelmeier. Straftaten im Milieu sind nach seinen Worten in der Kleeblattstadt die Ausnahme.

Überhaupt spiele sich die Prostitution in Fürth eher im Verborgenen ab. Häuser wie der «Leierkasten» in München, die von außen deutlich als Bordell zu erkennen sind, gibt es in Fürth nicht. Zettelmeier spricht zwar von vier bis fünf «festen Adressen», doch diese «bordellartigen Etablissements» seien unauffällig in ganz normalen Wohnungen untergebracht.

Dazu kommen zirka zehn «Terminwohnungen» - kleine Appartements, in denen einzelne Dirnen arbeiten. Nach Zettelmeiers Worten mieten diese Frauen - zu ihnen zählt auch das Opfer der Messerattacke - die Wohnungen meist nur für ein bis zwei Wochen und ziehen dann weiter in andere Städte. Das Appartement bleibe in der Regel nicht lange verwaist. Laut Zettelmeier tritt der Vermieter als eine Art «Dienstleister» auf und kümmert sich auch um Werbung in Zeitungen oder im Internet.

Rechtlich könne gegen Prostitution in Mietwohnungen nicht vorgegangen werden - sofern im Erdgeschoss des Hauses kein Kindergarten oder vis-a-vis keine Grundschule untergebracht ist. «Wenn die Frauen dezent ihrer Arbeit nachgehen und nicht in Berufskleidung vor den Augen von Kindern über den Hausflur laufen, schreiten wir nicht ein», sagt der Kripo-Chef.

Tummelplatz Innenstadt

Und: Wohnung oder Bordell dürfen selbstredend nicht im so genannten Sperrbezirk liegen. Erlaubt ist die Prostitution in Fürth nur im Stadtkern, und zwar in einem Dreieck zwischen Pegnitz und Rednitz, dessen Grundlinie die Flößaustraße in der Südstadt bildet. Kurios: In fast allen Großstädten Bayerns sind Bordelle an den Stadtrand verbannt worden. Ausnahmen machen Nürnberg (an der Frauentormauer) - und Fürth. Warum das 1974 so beschlossen wurde, weiß Zettelmeier nicht. Eine Änderung sei jedenfalls nicht nötig.

Verglichen mit der Zahl der Prostituierten in Nürnberg, der Kripo-Chef spricht von etwa 800, seien die Verhältnisse in Fürth mit 20 bis 30 Frauen geradezu bescheiden. Eine Schätzung, die eine Sprecherin der Nürnberger Prostituiertenselbsthilfe Kassandra für untertrieben hält. Die Dunkelziffer sei höher. Allerdings kann auch sie nur mutmaßen. Während in Nürnberg Streetworker unterwegs sind, besteht zu den Frauen in Fürth kaum Kontakt.

Den Kontakt versucht indes die Kripo zu halten. Adolf Hoffmann gehört zu den Beamten, die alle vier bis sechs Wochen «durch die Häuser gehen», wie er sagt. «Wir sprechen die Frauen an, versuchen, Vertrauen aufzubauen», berichtet er. Der Polizei ermöglicht das, einen Einblick in die Szene zu bekommen. Und einen Überblick: Seit Anfang 2001 müssen sich Prostituierte nämlich nicht mehr beim Gesundheitsamt melden. Letztendlich dient die Kontrolle laut Hoffmann auch dem «Schutz der Damen», zum Beispiel um Zuhältern das Handwerk zu legen, die die Frauen ausbeuten. Nach seinen Worten sind die meisten Dirnen «durch Zwangslagen in diese Situation geraten». Kaum eine tue es gern. Und spätestens seit sich Europa nach Osten geöffnet hat, könnten sie mit ihrer Arbeit auch nicht das große Geld verdienen. Das Prostituiertengesetz von 2002 habe zwar die Rechtsstellung der Frauen verbessert und ihnen theoretisch den Zugang zur Sozialversicherung eröffnet. Doch aus beruflicher Erfahrung wisse er, dass

das in der Praxis nicht funktioniert.

Kripo-Chef Erwin Zettelmeier gewinnt der Situation wenigstens etwas Positives ab: «Wer weiß», sagt er, «wie viele Sexualstraftaten es mehr gäbe, wenn diese Männer nicht zu Prostituierten gehen könnten.»