108 Jahre überbrückt

6.11.2013, 13:00 Uhr
108 Jahre überbrückt

© Hans-Joachim Winckler

Ein hübscher Name. „Kinder der Sonne“ – das klingt nach einer Kita in Berlin Prenzlauer Berg. Pawel, Lisa, Jelena, Dmitrij, Boris und Melanija sind natürlich keine Kindsköpfe. Ganz im Gegenteil. Bei Maxim Gorki dürfen sie sich zur Intelligenzija rechnen und tatenlos über eine strahlende Zukunft philosophieren, während vor der Tür die Vorboten der kommenden Revolution erwachen.

1905 schrieb der damals bereits bekannte Autor („Nachtasyl“) in der Haft sein Drama „Kinder der Sonne“. Wie kann der russische Klassiker 108 Jahre später auf die Bühne gebracht werden? „Erstaunlich problemlos“, sagt Regisseurin Ute Weiherer. „Die Parallelen zwischen damals und heute sind ebenso offenkundig wie erschreckend.“ Ohne große Umstände sei es möglich gewesen, Gorkis Stück ins Jetzt zu transportieren.

Auf der Strecke geblieben ist dabei nicht nur knapp die Hälfte der Original-Besetzung. Die Fürther Bearbeitung von Ute Weiherer ist auf neun Rollen geschrumpft, nicht zuletzt ein Tribut an die Verständlichkeit. Auch die Begrifflichkeiten haben sich angepasst. Wer traut sich schließlich noch, Wörter wie „Intelligenzija“ oder „Proletariat“ in den Mund zu nehmen? Stattdessen verschwurbeln wir uns gerne umständlich an Worthülsen wie Prekariat und sehen uns ohnehin lieber samt und sonders in einer nebulösen Mitte, die allerdings deutlich erkennbare Ausbuchtungen nach oben und unten erkennen lässt. Ein weiterer Punkt, an dem die Regisseurin klare Entsprechungen zwischen Gorkis Tagen und den unsrigen erkennt: „Der Umgang der Oberschicht mit der Unterschicht hat sich kaum geändert.“ Wo einst die Intelligenz Kluges dachte, sagt Weiherer, palavern heute allerdings gerne auch mal neureiche „Prolls wie Bohlen, Becker und Co“ mit.

Für Ute Weiherer, die gemeinsam mit Ehemann und Hauptdarsteller Uwe die freie Fürther Bagaasch-Ensemblebühne leitet, war die Begegnung mit Gorkis Stück ein Erlebnis: „Diese Sprache! Dieser Witz! Diese Tragik!“ Auf Anhieb war ihr klar: „Das kann man sehr schön umsetzen, das ist genau diese Art von Humor, bei der das Lachen irgendwann im Hals stecken bleibt.“ Es seien „sehr verzweifelte Figuren“, die in Gorkis Stück aufeinandertreffen.

Sie sind auf der Suche. Nach Liebe, nach Erlösung, nach einem Sinn in diesem Dasein. Fleißig haben sie Wälle der Ignoranz errichtet. Beinahe perfekt gelingt ihnen deshalb der Versuch, die Not, Armut und Krankheit der nicht so Wohlsituierten außen vor zu lassen. „Es war wirklich nicht schwer, diese Typen aus Gorkis feudaler Gutsherrenwelt in unsere Zeit zu holen“, macht Ute Weiherer klar.

Fasziniert ist sie von den kurzen Wegen, die aus Gorkis Werk ins 21. Jahrhundert führen. So forsche Pavel (Uwe Weiherer), ein Privatgelehrter, an Projekten, die ohne Umschweife in der aktuellen Stammzellenforschung münden: „Ich habe sogar meine alten Bio-Bücher rausgekramt und mir das Thema noch einmal angeschaut.“ Ihre Vorbereitung ging so weit, dass Ute Weiherer sogar mit dem Maxim-Gorki-Archiv korrespondierte, um Klarheit über die Wissenschaftserkenntnisse des Autors zu bekommen.

Auf der Bühne werden bekannte Darsteller der freien Szene stehen. Neben Uwe Weiherer sind das Tatjana Sieber, Bert Peter Wendt, Jörg Scheiring, Ursula Hähner, Stefan Reichel, Alexandra Hacker, Stephan Hausner und Rike Frohberger. Für sie birgt ihre Rolle „eine große Vielschichtigkeit an Emotionen“, die nicht so leicht unter einen Hut zu bringen sind. Eine Herausforderung, sagt auch Uwe Weiherer: „Hier gibt es nämlich keine Kunstfiguren wie Macbeth oder Mephisto. Das sind alles völlig normale Menschen, es ist, als ob man bei denen im Wohnzimmer steht.“ Mit dem kleinen Unterschied, dass das Wohnzimmer diesmal im Kulturforum zu finden ist, und zwar vom 7. bis 9. November und vom 28. bis 30. November, jeweils 20 Uhr

Theaterkasse: Telefon (0911) 9742400,

Mail: theaterkasse@fuerth.de
 

Keine Kommentare