Abschied: Klinikum Fürth bringt Pferd zu sterbender Patientin

6.9.2017, 18:33 Uhr
Abschied: Klinikum Fürth bringt Pferd zu sterbender Patientin

© Klinikum Fürth

Viel Zeit blieb nicht mehr. Am vergangenen Mittwoch rief Josef Rauch vom Fürther Klinikum im Reitstall Wittinghof in Langenzenn an, zu dem er wenige Tage vorher Kontakt gesucht hatte. Der Zustand der Patientin hatte sich verschlechtert. "Wenn wir es machen wollen, müsste es heute passieren", sagte er.

Drei Stunden später war Dana da. Ganz nah wurde die Island-Stute an das Krankenbett geführt, das für das Wiedersehen ins Freie gebracht worden war. Geduldig ließ sich das Pferd berühren. Die Hand, die ihm sanft übers Fell strich, war einmal vertraut gewesen - doch früher war es umgekehrt: Da war die Frau, die jetzt geschwächt im Bett lag, immer zu Dana gekommen, in den Stall.

Die Bilder der letzten Begegnung der 58-jährigen Patientin und ihres ehemaligen Pflegepferdes haben in den vergangenen Tagen Tausende Menschen berührt: Das Klinikum hat sie ausnahmsweise auf Facebook gezeigt. Mehr als 12.000 Menschen haben den Beitrag inzwischen gelikt, Hunderte haben in den Kommentaren geschrieben, wie ergreifend und toll sie die Aktion finden, wie wichtig und bewundernswert die Leistung der Mitarbeiter auf Palliativstationen ist. "Wir sind ganz überrascht", sagt Josef Rauch, der das Pflegeteam der Palliativstation im Fürther Klinikum leitet. Ein Team, das die Ohren immer offen hält, um letzte Herzenswünsche mitzubekommen, und schon einige erfüllt hat.

Selten erfährt die Öffentlichkeit davon. Die Arbeit auf Palliativstationen ist eine sehr intensive, vertrauensvolle Arbeit, keine, die Publikum braucht. Das Team kümmert sich um Patienten, bei denen keine Heilung möglich scheint. Es geht darum, ihnen mehr Lebensqualität und mehr Tage außerhalb der Klinik zu schenken, die Krankheit zu bremsen, ihnen Schmerzen und Ängste zu nehmen, und auch darum, den Sterbenskranken und ihren Angehörigen beim Prozess des Abschiednehmens zu helfen. Je nachdem, wie weit die Krankheit fortgeschritten ist, kann die Palliativstation Zwischen- oder Endstation sein. Manche verbringen ihre letzte Lebenszeit hier. "Wenn sie zu uns kommen, geht es oft nicht mehr um Monate oder Wochen, sondern um Tage", sagt Josef Rauch.

Jeder hört aufmerksam hin

Dass die Zeit knapp ist, macht auch das Wünsche-Erfüllen schwieriger. Das Team aber sucht nach Möglichkeiten. Man frage nicht direkt: Was ist Ihr letzter Wunsch?, sagt Rauch. Vielmehr höre jeder hin, der Arzt, die Krankenschwester, der Psychologe, der Seelsorger, wenn der Patient oder Angehörige erzählen. Es ist eine Station, auf der man sich in kurzer Zeit intensiv kennenlernt, "eine existenzielle Lebensphase, in der es keine Lügen mehr, keine Show gibt", sagt er. "Wir nehmen es wahr, wenn solche Wünsche geäußert werden."

Abschied: Klinikum Fürth bringt Pferd zu sterbender Patientin

© Klinikum Fürth

Wenn sich etwas herauskristallisiert, nimmt er sich der Sache an. Er fragt noch mal nach beim Patienten, ob der auch möchte, dass der Wunsch verwirklicht wird. Die Patientin, für die Rauch den Kontakt zum Reiterhof suchte, hatte erzählt, dass Pferde ihr Leben waren. Auch ihre Schwester habe den Eindruck gehabt, dass eine Begegnung mit Pferden noch einmal ganz wichtig wäre.

"Da merkt man, wer ein Herz hat"

Anfangs hatte Rauch noch den Plan, die Patientin mit dem Sanitätswagen zum Stall zu bringen. Doch dann ging es ihr sehr schnell sehr viel schlechter. An einen Transport war nicht zu denken. Als er den Reiterhof anrief, habe er gesagt: "Da ist eine Schnapsidee – aber ich frag trotzdem mal: Könnten Sie mit einem Pferd kommen?" Die Inhaberin, die gerade schon in den Urlaubsvorbereitungen steckte, habe am Mittwoch nicht lange überlegt: "Ich pack das Pferd ein und komme."

Mit dem Facebook-Post wollte das Palliativ-Team auch einmal Menschen wie der Reitstall-Besitzerin danken, die es braucht, um solche besonderen Momente zu schaffen. "Wir sind da oft angewiesen auf das Entgegenkommen anderer", sagt Rauch. "Aber zum Glück stoße ich auf recht offene Ohren. Da merkt man, wer ein Herz hat."

Botschaften von den Ice Tigers, Waltraud und Mariechen

Auch auf die Ice Tigers sowie Waltraud und Mariechen konnte das Klinikum schon zählen. Eine Patientin, ein großer Fan der Ice Tigers, hatte vor einiger Zeit ein Essen mit den Spielern gewonnen, das allerdings erst in diesem September stattfinden sollte. Irgendwann sei klar gewesen, dass sie das zeitlich nicht schaffen würde, sagt Pflegeteamleiter Rauch. Er kontaktierte den Verein.

"Das Problem war, dass die Mannschaft ins Trainingslager fahren sollte." Sie konnte daher nicht kommen – aber sie filmte eine Videobotschaft für die Patientin. Deren Ehemann und die Tochter waren dabei, als das Video auf dem Laptop abgespielt wurde, "sie haben geweint vor Freude", erinnert sich Rauch. So ein Moment sei auch fürs Abschiednehmen der Familie ganz wichtig. Die Patientin sei am selben Tag verstorben.

Ein anderes Mal sei das Maskottchen der Ice Tigers bei einer Frau zu Besuch gewesen und habe Trikots mitgebracht. "Das hat sie so gepusht, dass sie gesagt hat, sie will das erste Heimspiel am Saisonbeginn noch erleben", sagt Rauch. Das habe sie zwar nicht ganz geschafft, "aber sie hat noch zwei Monate gelebt". Je nach Zustand der Patienten könne so ein Erlebnis wirken "wie ein Dopingmittel". Oder auch helfen, aus der Welt zu gehen.

Vor kurzem erzählte eine Frau begeistert von Waltraud und Mariechen, sie sei früher oft in die Comödie gegangen. "Da wird man hellhörig", sagt Rauch. Er fragte an bei Volker Heißmann, ob Waltraud und Mariechen nicht ins Klinikum kommen könnten. Das ging nicht, Heißmann und Rassau waren gerade auf Tournee. Aber auch sie schickten eine Videobotschaft.

In der Traktorschaufel zum Obstgarten

"Wenn was nicht mehr geht, überlegt man: Geht’s nicht irgendwie doch?", erzählt Rauch und erinnert sich an einen Mann, der seinen Obstgarten geliebt hatte. Er wollte ihn gerne noch einmal sehen, der Weg dorthin aber führte über unwegsames Gelände, unüberwindbar für einen Krankenwagen. Eine Mitarbeiterin aber wohnte in der Nähe und hatte eine Lösung: Sie lieh den Traktor von einem nahen Bauernhof aus, in der Schaufel sitzend wurde der Mann zu seiner Obstwiese gebracht. Josef Rauch und ein Arzt waren dabei. "Der Grund, warum wir uns so reinhängen, ist: Entweder passiert’s gleich oder gar nicht", sagt Rauch.

Die Erlebnisse hält das Klinikum für die Familie in Fotos fest. So sind auch die Bilder von der Begegnung mit Dana entstanden. Anders als sonst entschied man sich diesmal zusammen mit der Patientin und den Angehörigen, die Fotos auf der Facebook-Seite zu teilen.

Erinnerungen werden wach

Die Reaktionen waren überwältigend. "Da werden Erinnerungen wach", schrieb eine Nutzerin dankbar dazu. Ihre Schwester habe vor wenigen Wochen in Nürnberg auf der Palliativstation gelegen, nach wochenlanger Behandlung habe sie sich danach gesehnt, an die frische Luft zu kommen. "Sie haben es ihr ermöglicht. Es kam sogar die Sonne heraus. Wie hat sie sich gefreut: Augen zu und tief einatmen. Und ich weinte vor Schmerz. Zwei Wochen später ist sie friedlich für immer eingeschlafen." Wahre Helden seien die Mitarbeiter auf Palliativstationen.

Dana sei ein sehr menschenfreundliches, liebevolles Pferd, hatte die Inhaberin des Reitstalls gesagt, eines, "mit dem man das machen kann", erzählt Rauch. Und so war es. Die schwerstkranke Frau sei schon sehr schläfrig gewesen, habe aber auf das Pferd reagiert. Ihre Schwester stand an ihrer Seite. Eine halbe, Dreiviertelstunde dauerte die Begegnung, ein bewegender Moment sei es für alle Anwesenden gewesen. Die Patientin starb am Sonntag.

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