Droht eine Kündigungswelle?

Ärzte in Sorge: Patienten lassen Frust am Personal aus

6.7.2021, 06:00 Uhr
Seit die Praxen in die Impfkampagne eingestiegen sind, beantworten die Medizinischen Fachangestellten viele Fragen, arbeiten Wartelisten ab – und bekommen oft den Frust der Patienten zu spüren.

© Foto: Ron Hübner Seit die Praxen in die Impfkampagne eingestiegen sind, beantworten die Medizinischen Fachangestellten viele Fragen, arbeiten Wartelisten ab – und bekommen oft den Frust der Patienten zu spüren.

Sie drängen, schimpfen, drohen. Patienten, die sich über die Politik ärgern oder verzweifelt auf Impftermine warteten, haben ihren Zorn in den vergangenen Monaten in einem solchen Maße in den Arztpraxen abgeladen, dass sich das Medic-Center Nürnberg jetzt zu einem Aufschrei veranlasst sieht: Die Situation sei untragbar fürs Personal geworden, so dürfe es nicht weitergehen.

Der Joballtag sei für die medizinischen Fachangestellten extrem belastend geworden, sagen Medic-Center-Geschäftsführer Michael Langer und Dr. Bernd Meisel, Hausarzt aus Oberfürberg. Zu dem Praxisverbund gehören Arztpraxen an 30 Standorten in der Region, darunter auch mehrere in Fürth und Stein.

Die Praxisteams erleben täglich unschöne Szenen, berichtet Meisel. Die Medizinischen Fachangestellten bekämen am meisten ab, auch am Telefon und in Mails werden sie angegangen. Da wird Druck gemacht, zum Beispiel um schneller geimpft zu werden oder den Impftermin zu verschieben, weil der Urlaub ansteht. Ohne Rücksicht darauf, dass Erst- und Zweittermine oft kompliziert eingetaktet sind. Das Anspruchsdenken ist groß, gerade wenn man schon jahrelang Patient in einer Praxis ist.


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Auch wenn die Politik oder jüngst die Stiko mit ihrer Empfehlung in Sachen Astrazeneca für Verunsicherung sorgt, wird der Frust in den Praxen abgeladen. Dabei werde man von den Entscheidungen genauso überrascht wie die Bevölkerung, sagt Langer. "Die Leute werden unverschämter", stellt Meisel fest.

Und die Beschäftigten, sie seien zunehmend frustriert und ausgelaugt, hätten genug davon, sich blöd anreden zu lassen. Es sind Menschen, so Langer und Meisel, die in den Beruf gegangen sind, weil sie gerne helfen; die auch zuhause Kinder betreuen oder das Homeschooling stemmen mussten; die freiwillig schon mal am Feiertag oder Wochenende mitanpacken, damit Impfaktionen durchgeführt werden können. Erst am vergangenen Samstag hat das Medic-Center 1100 Biontech-Dosen in der ehemaligen Schön-Klinik verimpft.

Meisel befürchtet, dass es kommt, wie manche Experten vermuten: dass das Gesundheitssystem nach der Pandemie eine Kündigungswelle erlebt. Die Belastungen seien immens – nicht nur in den Praxen, auch fürs Pflegepersonal in den Krankenhäusern und Seniorenheimen. Hinzu komme die unzureichende Bezahlung. In den Heimen treffe er auf Pflegekräfte, "die immer noch am Ende sind", die in der Pandemie besonders viel gearbeitet haben, weil sie einsprangen, wenn Kollegen krank wurden, und die so viele Tote wie nie zuvor sahen.

Schon im Frühjahr warnten Experten: Viele Pflegekräfte überlegen, auszusteigen, noch hindere sie das Pflichtgefühl. "Wir haben Bedingungen geschaffen, die den Beruf für viele nicht mehr erträglich machen", sagte Prof. Dr. Heinz Rothgang von der Universität Bremen. Die Überlastung im Gesundheitsbereich sei "chronisch", Corona habe das noch verschärft.

Immer weniger Zeit

Viele Pflegekräfte leiden darunter, immer weniger Zeit für die Patienten zu haben, sie wünschen sich neben einem angemessenen Gehalt auch mehr Kollegen. In einer Umfrage des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe gab ein Drittel der 3600 Befragten an, regelmäßig darüber nachzudenken, den Beruf aufzugeben.


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Auch Dr. Manfred Wagner, Medizinischer Direktor und Pandemiebeauftragter des Fürther Klinikums, hat sich vor einigen Wochen auf Instagram besorgt gezeigt: Warum, fragte er, sind Prämien für diejenigen üblich, die Autos bauen, nicht aber für die, die sich um andere Menschen kümmern? Es sei dringend nötig, dass die Politik die Arbeitsbedingungen so gestaltet, dass Pflegekräfte den Job "über Jahre mit Freude und Erfüllung machen und nicht aus diesem Beruf flüchten wollen".

Bislang, kritisiert Wagner, werde die "soziale Verantwortung", die die Beschäftigten im Gesundheitssystem zeigen, ausgenutzt.

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