Ausdruck tiefer Frömmigkeit

19.11.2012, 10:30 Uhr
Ausdruck tiefer Frömmigkeit

© Martin Bartmann

In diesen Kontext fügte sich ein Orgelkonzert mit Psalmvertonungen des 19. Jahrhunderts, das die beiden Fürther Kantoren Sirka Schwartz-
Uppendieck und Andreas König am Samstagabend in der katholischen Heinrichskirche gaben. Der Romantik-Reigen von Mendelssohn bis Merkel zeigt, wie vielgestaltig und facettenreich sich jene Epoche des Psalmenthemas annahm – und wie unterschiedlich sich die dahinterstehenden Befindlichkeiten gestalteten.

Ausdruck tiefer Frömmigkeit

© Martin Bartmann

Wie der Moderator Michael Herrschel ganz richtig anmerkt, entstand Felix Mendelssohns A-Dur-Orgelsonate (Opus 65, Nr. 3) auf den „Aus tiefster Not“-Lutherchoral nach Psalm 130 als Hochzeitsgeschenk für Felix’ Schwester Fanny: Ein sehr persönlich gefärbter Hilferuf angesichts des bevorstehenden Verlusts der Seelenfreundin und künstlerischen Gefährtin. Sirka Schwartz-Uppendieck versteht es, der vertonten Verzweiflung ebenso wie den sinnreich komponierten Hoffnungsschimmern Form und Fluss zu geben, zwischen leuchtendem Pleno-Jubel und lyrisch vergrübeltem Flöten-Pastell einen Gefühls-Regenbogen zu spannen.

Der früh verstorbene Julius Reubke (1834 – 1858) verstand seine c-Moll-Sonate von 1857 als scharf zeichnenden Spiegel des 94. Psalms. Den „Richter der Welt“, den strafenden Gott verlebendigt Reubke mit Meyerbeers Wiedertäufer-Choral aus der Oper „Der Prophet“. Gleichwohl haftet dem von Andreas König wohlbalanciert zwischen Dramatik und Filigran interpretierten Werk nichts Profanes und auch beinahe nichts Säkulares an. Zwar ist dies ganz großes Kino für den Kopf, doch es werden keine Geschichten erzählt, sondern in markigen Tutti und wuchtigen Akkord-Kaskaden religiöse Seelen-Transformationen beschrieben.

César Franck ging noch einen Schritt weiter als Reubke und schuf kurz vor seinem Tod 1890 noch eine Sammlung neuer Choräle ohne Wurzeln in der tradierten Kirchenmusik. Sirka Schwartz-Uppendieck füllt den a-Moll-Choral mit erwartungsvoller Unruhe, changierendem Laufwerk, lustvoll zelebrierter chromatischer Schattierungsfülle – Reflexionen eines so undogmatischen wie festen Glaubensideals. Mendelssohns d-Moll-

Sonate (Opus 65, Nr. 6) über den Lutherchoral „Vater unser im Himmelreich“ ist klingende Referenz des Bach-Bewunderers Mendelssohn an sein großes Vorbild und zugleich Dokument eines gewandelten Glaubensbegriffs, der die herkömmliche Idee von Frömmigkeit hinterfragt.

Dass man Psalmen auch virtuos, effektvoll, ja spektakulär in Musikform bringen kann, zeigt Gustav Merkels d-Moll-Sonate (Opus 30), mit welcher der Komponist 1857 den Wettbewerb des Vereins „Tonhalle“ gewann: Sirka Schwartz-Uppendieck und Andreas König lassen vierhändig und vierfüßig Tasten und Pedale fliegen, stellen Schwerkraft und Konvention infrage, reißen mit symphonischer Macht und religiöser Inbrunst auch die letzten Zweifler mit: So kraftvoll und leidenschaftlich kann Kirchenmusik sein.

Beim Konzert in der Paul-Gerhardt-Kirche in Stein mit Musik für Sopran, Harfe und Orgel standen drei Uraufführungen im Mittelpunkt des Programms, eingerahmt von Instrumentalmusik und Geistlichen Liedern aus der Romantik und dem Übergang zum 20. Jahrhundert. Michael Herrschel hat die Texte zu diesen Werken verfasst, die um den Hirtenknaben David kreisen, der mittagsschwer auf dem Sand eingeschlafen ist, der den Riesen Goliath mit einem Kieselstein aus seiner Steinschleuder getötet hat, der gesegnet ist und zum König gesalbt wird, den Dichter der Psalmen und Harfenspieler.

Jan Friedrich Ramb (49) hat in seiner Meditation „Bilder des schlafenden Hirtenknaben David“ diese Geschehnisse mit dynamischen Steigerungen, Sprechgesang und gesungenen Passagen lebendig werden lassen; und der Dur-Schluss kennzeichnet wohl die in der Ferne weidende Schafherde des schlafenden Hirten. Mit dramatischen Passagen vor allem in der Singstimme zeichnet Volker Felgenhauer (47) in seinem Werk „Am Fluss“ den Jubel des Volkes über seinen Helden, der den Feind besiegt und sein Volk befreit hat. Johannes Brinkmann (48) weist der Harfe und der Orgel große Teile seines Werkes „Feuerlied“ zu, und die beiden Instrumentalistinnen sprechen auch Textstellen als Untermalung des Gesangs. Die Glissandi der Harfe und das Tutti der Orgel prägen dieses Werk nachhaltig.

An die Interpretinnen werden höchste Anforderungen gestellt, denen die Sopranistin Monika Teepe, die Harfenistin Laurence Tercier und Organistin Sirka Schwartz-Uppendieck, die auch die Gesamtleitung des Konzerts hatte, als überzeugende Gestalter in excellenter Weise gerecht werden.

Den eindrucksvollen Abschluss des Konzerts bildete die im Jahr 2010 komponierte „Aria con Preludio“ von Uwe Strübing (56), zwar keine Uraufführung, aber erst zum zweiten Mal dargeboten, ein kontrastreiches Werk in einer gemäßigt modernen Tonsprache.

Bei oberflächlicher Betrachtung bot die Werkfolge mit einem Orgelpräludium von Fanny Mendelssohn, einem Orgelchoralvorspiel von Johannes Brahms und einem mittelalterlichen Organum, geistlichen Liedern von Hugo Wolf, Max Reger und Joseph Haas, einer Legende für Harfe und Orgel von Alfred Holý, einem Wiegenlied von Henriette Renié für Sopran und Orgel und einer Konzertetüde

für Harfe eine beliebige Aneinanderreihung von einzelnen Musikstücken. Und doch lag dieser Werkfolge ein tiefer innerer musikalischer Zusammenhang zugrunde: Zum einen die Harfe als biblisches Instrument, das untrennbar mit den Psalmen und David verbunden ist; zum anderen hat gerade das „Feuer dieser Psalmen“ über viele Jahrhunderte Komponisten zur Vertonung von Hymnen, Gebeten und Wiegenliedern veranlasst.

 

Keine Kommentare