Bedrohte Kreativität

2.7.2014, 16:15 Uhr
Bedrohte Kreativität

© Joachim Sobczyk

28 Künstler und Kreative nutzen seit Frühjahr 2011 die unteren Räume der leerstehenden Kinderklinik als Ateliers. Jedenfalls bis nächstes Jahr, dann wird der betagte Bau wohl abgerissen. Unter „Kreativen“ versteht ClincSprecher Lutz Krutein Designer, Komponisten, Show-Künstler. Eine bunte Mischung von Leuten, die sich gegenseitig inspirieren. Wie „Auf AEG“, nur vielfältiger.

Nach einem Tag der offenen Tür 2013 präsentiert Clinc nun die erste gemeinsame Ausstellung. Der Besucher dreht seine Runde im Erd- und Untergeschoss, besichtigt die Werke in den Korridoren und darf jederzeit die Ateliers betreten. Als erstes sticht „Bereit" von Ingrid Riedl ins Auge, ein Frauenakt in extremer Untersicht. Eine Frau steht hart an der Kante eines Sprungbretts, die Arme wie zum Flug erhoben. Hinter ihr steht Rücken an Rücken ein weiterer Akt, doch dessen Arme sind an Seilen festgebunden. Artisten am Trapez? Oder Selbstdarstellung einer Künstlerin zwischen riskantem Wagemut und hemmendem Sicherheitsdenken?

Im Untergeschoss bosseln die Skulpteure an ihren Werken. Auf einem Tisch liegt eine weibliche Figur, die wirkt, als hätte man ihr die Haut abgezogen. Aus ihren Fußsohlen ragen metallene Stäbe, wie Anode und Kathode. Eine Leihgabe von Gunther von Hagens? Oder Frankensteins neuestes Experiment, kurz vor der Erweckung? Nein, das ist „Olga“, eine Gipsfigur von Lutz Krutein, die der Künstler zur Restaurierung unter seine Fittiche nimmt. Die Metallstäbe sind die Verankerungen, die die Statue in der Balance halten.

Von der Einsamkeit verlassener Einkaufszentren künden Dorothea Runcks ebenso farbintensive wie melancholische Gemälde. Da verlaufen Rolltreppen im Nichts, flanieren Kunden vor leeren Glasfassaden, wartet ein Schaukeltier auf kindliche Kundschaft. Den Betrachter beschleicht gelindes Frösteln.

Nanu, eine leninistisch-maoistische Wandzeitung mit Krakelschrift und Typen mit verbissenen Gesichtszügen oder Rauschebart vor knallrotem Hintergrund? Was aussieht wie ein Relikt aus den Tagen von 1968 ff. entpuppt sich als ein Spiel mit Schrift und Grafik. Christiane Weber pflegt eine haarfeine Schrift, wie sie extrem Kurzsichtige pflegen. Oder wie die Kriegsgeneration, die auf Postkarten jeden Quadratmillimeter vollkritzelt, um Platz zu sparen. Auf Kosten der Leserlichkeit.

Aber Christiane Weber will gar nicht gelesen sondern betrachtet werden. Ihr Werk „Sieben Nächte“ besteht aus einem Quadratmeter weißer Leinwand, von oben bis unten mit einem durchgehenden Text bedeckt. Tausende von Zeilen, die — je nach Erschöpfungszustand und neuem Motivationsschub — sich zu unentzifferbaren Konglomeraten ballen, dann wieder Luft und Freiraum lassen.

Auch arbeitet Weber gerne mit dreidimensionalen Effekten. So arrangiert sie abstrahierte Grafiken von Gesichtern auf drei transparenten Folien hintereinander, sodass sich je nach Blickwinkel mal ein Wust von Physiognomien, dann wieder ein Beziehungsspiel von Gesichtern einstellt.

Schließlich entlockt eine Installation von Richard Merzbacher dem Betrachter ein Grinsen. Ein Torso in einem verblichenen Ozelotmantel trägt fünf Schlachtermesser im Rücken, als ob militante Tierschützer am Werk gewesen seien. Der Torso steht vor einem Notenständer, darauf steht der Text des Beatles-Songs „Eleanor Rigby“. Die arme Eleanor Rigby konnte sich einen Ozelot bestimmt nicht leisten. Wer in den Sechzigern Ozelot trug, protzte mit Reichtum und sah auf die Beatles herab. Heute gehören die Fab Four zum Grundkulturbestand des Bildungsbürgertums, dafür ist der Ozelot aus guten Gründen mega-out. Oder dermaßen daneben, dass er schon wieder in ist? Und Neider auf den Plan ruft? Ein Zettelchen in der Manteltasche liefert einen Hinweis zur Deutung: „Den Wert eines echten Ozelot-Pelzes missachten, der nichts mehr wert ist — gemein.“

„Outing“: Clinc in der bis 20. Juli in der ehemaligen Kinderklinik, Jakob-Henle-Straße 1. Freitags, samstags und sonntags 14-18 Uhr. Bis 20. Juli. Zum Sommerfest bitten die Clinc-Künstler am 18. Juli.

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