Bei Barthelmess zählt die Inszenierung

16.5.2015, 21:00 Uhr
Bei Barthelmess zählt die Inszenierung

© Foto: Hans-Joachim Winckler

Zum Beispiel täuschend echte Weihnachtsbäume aus Kunststoff – und das im Frühjahr; oder blühende Botanik in der Styropor-Badewanne; Riesenkondome in Himmelblau und Zitronengelb; Objekte aus spiegelnden Kugeln, die wirken wie eine Kreuzung aus Atommodell und Höllenmaschine; oder stilisierte Rentiere, Osterhasen im barocken Kostüm, Lebensmittel aus Kunststoff und pinke Cadillacs aus Pappkarton.

All das soll dafür sorgen, dass Konsumenten sich beim Einkauf in den Geschäften wohlfühlen. Und vor lauter Wohlgefühl den Geldbeutel bereitwilliger zücken. Der schicke Oberbegriff für derlei Artikel lautet „Visual Merchandising“.

Von draußen nach drinnen

Ist das nun Schaufesterdekoration und Fassadengestaltung mit höheren Mitteln und für gehobene Ansprüche? Den Begriff „Dekor“ mag Wolfgang Bastert, Inhaber von Barthelmess, nicht hören: „Es geht nicht um Dekoration, sondern um Inszenierung.“ Heute müsse sich der Handel in Schale werfen, das gehe weit über die bloße Warenpräsentation hinaus. „Eine gelungene Inszenierung lockt den Käufer von draußen an und sorgt dafür, dass er sich drinnen wohlfühlt“, sagt Bastert.

Ein außergewöhnlicher Blickfang etwa ist der aufblasbare Esso-Tiger auf den Tankstellendächern. Auch die Figuren aus röhrenförmig zugeschnittenen Stoffen, die per Gebläse von unten wilde Verrenkungen vollführen, sorgen für die gewünschte Aufmerksamkeit. Doch die eigentliche Kunst ist die Inneninszenierung.

Viele Kunden deutschlandweit und international klopfen bei Barthelmess an, allein im Jahr 2014 hielten mehr als 600 Projektaufträge das Unternehmen auf Trab. Sie kommen aus der Textilindustrie (Wöhrl, C & A), dem Lebensmittelgroßhandel (Morrison in England), aber auch Bahnhöfe, Flughäfen und Einkaufscenter wollen ihre Großraumhallen dekorieren – zum Beispiel mit kegelförmigen Weihnachtsbäumen.

Wie funktioniert die Arbeit? „Der Kunde bestimmt, nicht wir“, erklärt Bastert. „Wir tragen lediglich Anregungen bei und setzen die Ideen ins Plastische um.“ Meist komme ein Interessent schon mit Ideen der eigenen Designer zu Barthelmess, dessen Designer und Produktionsmanager setzen die Entwürfe dann aus dem Zweidimensionalen ins Dreidimensionale um.

Projektmanager Andreas Hensel erläutert die Anforderungen in puncto Ästhetik: „Den Designern ist die technische Umsetzung egal. Der Look muss stimmen, alles muss filigran, leicht und luftig wirken.“ Und in puncto Bezahlbarkeit: „Ein Designer will immer einen Ferrari. Der Einkäufer des Kunden will ebenfalls die Qualität eines Ferrari, aber nur für einen Fiat bezahlen. Und da sollen wir jetzt einen Kompromiss finden.“

Barthelmess mit seinen 160 fest Angestellten – davon 130 in Fürth – verfügt über drei Geschäftsbereiche: Die Agentur heckt ständig kreative Ideen aus, das Produktionsgeschäft bietet Artikel und Kollektionen an – auch vielfältige Farb- und Dekormuster, aus denen sich Einzelhändler bedienen und damit ihre Schauräume in eigener Regie inszenieren können.

Das Projektgeschäft schließlich richtet sich ganz nach den individuellen Vorstellungen des Auftraggebers und setzt sie in die Tat um. Es gibt sogar einen eigenen Präsentationsraum für den Kunden, mit golden verziertem Portal und diskretem Zahlenschloss – damit nur ja kein anderer spitzkriegt, wie sich die Konkurrenz in den nächsten Monaten aufzustellen gedenkt.

200 000 Kartons

Bei großen Filialisten komme da schon ein Budget von fünf bis sechs Millionen Euro zusammen, rechnet Bastert vor. „Da gehen an die 200 000 Kartons raus oder zigtausend Großkartons mit zwei Kubikmetern Inhalt in 200 Sattelzügen."

Die Produktionsspitze liegt in der Zeit von September bis Anfang November, denn bis dahin muss die Inszenierung für Weihnachten abgeschlossen sein. „Manche Kunden planen schon im Januar fürs nächste Weihnachtsfest, andere rühren sich erst im September bei uns“, so Bastert. Wer bei Barthelmess arbeiten will, muss „eine sehr kreative Ader haben“, sagt Bastert, „viel Herzblut reinpumpen und über räumliches Denkvermögen verfügen.“ Zwar schaue man sich die Räume, die ausgestattet werden sollen, natürlich vorher an und fotografiere sie – „aber letztlich muss sich einer, der am Computer sitzt, anhand von Fotos die Wirkung der Inszenierung vorstellen können."

Nicht immer lief alles rund. Vor 13 Jahren war Barthelmess von der Insolvenz bedroht, doch in letzter Minute konnte das Unternehmen noch gerettet werden. Bastert zufolge war das vor allem harter Arbeit und Herzblut geschuldet. „Na ja, und einem neuen Spirit. Der Markt spürt das auch, wenn in einer alten Firma ein neuer Geist Einzug hält.“

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