Brief an das Finanzamt

10.6.2014, 10:56 Uhr
Brief an das Finanzamt

© NN

Neulich schrieb ich einen Brief an das Nürnberger Finanzamt. Das tue ich nicht oft – aber wenn, dann richtig. So, wie ich es schon im Kindesalter von meinem Vater gelernt habe, der seine Anliegen stets mit den Worten „Liebes Finanzamt!“ einleitete.

„Liebes Finanzamt“, schrieb ich also, „mit dem letzten Einkommensteuerbescheid hast du mich darauf hingewiesen, dass ich mich mit so einer formlosen Steuererklärung wie bisher nicht mehr blicken lassen brauche, sondern dass ich gefälligst eine Anlage S ausfüllen soll. Liebes Finanzamt, als ich vor ungefähr zehn Jahren den zweifelhaften Weg eingeschlagen habe, mich irgendwie als Autor durchs Leben zu bringen, habe ich mir tatsächlich für meine erstmalige Steuererklärung als Freiberufler die damalige Anlage GSE mit nach Hause genommen und dieselbe lange und sorgfältig studiert. Ich habe eine Menge Rubriken und Felder gefunden, die mit meinen Verhältnissen eigentlich nichts zu tun hatten, und wurde immer ratloser, wie und wo ich denn etwas auszufüllen hätte. Es drängte sich mir der Eindruck auf, dass du unter einem Freiberufler einen Architekten, Rechtsanwalt oder Immobilienmakler verstehst, der ein repräsentatives Büro mit Angestellten betreibt, drei schicke Autos fährt und mehrere Zweitwohnsitze hat, aber nicht so jemanden wie mich, der keine Ersparnisse hat, keine Aktien, keine Nebenkonten, keine Auslandseinkünfte und was man sonst noch so alles haben kann. Deshalb habe ich damals in meiner Verzweiflung alle meine Einnahmen und Ausgaben einfach so auf ein A 4-Blatt getippt und Jahr für Jahr bang gehofft, dass du meinen guten Willen siehst und diese Art der Steuererklärung akzeptierst.

Damit ist es nun also vorbei, und so möchte ich dich fragen, inwieweit du mir mit der Anlage S zur Seite stehen kannst. Ich weiß schon, andere gehen zu ihrem Steuerberater und lassen dich mit so einem Blödsinn in Ruhe, aber was soll jemand aus meiner Einkommensschicht bei einem Steuerberater? Von Elster erzählen mir alle meine Freunde, dass sie, seit sie das Zwangsprogramm nutzen, plötzlich viel mehr Arbeit mit der Steuererklärung haben als vorher, was – sagen sie – unter anderem daran liegt, dass das Programm zwischendurch gerne mal ihre Steuernummer vergisst, so dass sie sich umständlich wieder neu anmelden müssen und mit diesem Zinnober eine Menge Zeit vertun, und überhaupt sei alles viel umständlicher als früher. Da habe ich mir natürlich gedacht, na ja, da bleibe ich lieber, so lang du nichts dagegen einwendest, bei der guten alten Steuererklärung auf Papier, zumal du ja die Formulare noch immer in deinem Foyer feilbietest.

Aber ich sehe schon, jetzt weht offenbar ein anderer Wind, und deshalb wäre es äußerst entgegenkommend von dir, wenn du mir eine nette Dame oder einen netten Herrn aus deinem Hause empfehlen würdest, bei der oder dem ich einmal wegen all dieser Probleme vorbeischauen könnte, ohne das Gefühl zu bekommen, ein lästiges Sandkörnchen in deinem gutgeölten Getriebe zu sein.

Es grüßt dich ergebenst: dein Steuerzahler Elmar Tannert.“

Zwei Tage später klingelte das Telefon. Eine Finanzbeamtin K. am anderen Ende der Leitung fragte mich, ob der Brief ernst gemeint sei, was ich wahrheitsgemäß bejahte. Darauf holte sie tief Luft und ließ sodann einem zehnminütigen Tobsuchtsanfall freien Lauf. Man mache permanent Überstunden im Amt, weil 30 Prozent aller Steuererklärungen hinten und vorne nicht stimmten, schrie Frau K. und zählte mir haarklein auf, was ich in den letzten Jahren alles falsch gemacht hatte. Immerhin, dreißig Prozent, dachte ich und wollte einwenden, ob dies nicht auch für eine längst überfällige Vereinfachung des Steuerrechts spräche, doch Frau K. war eindeutig nicht in der Stimmung, mir zuzuhören. Sie befahl mir, im Supermarkt für fünf Euro eine Steuersoftware-CD zu erwerben, verbunden mit dem etwas überraschenden Hinweis, dass nicht einmal sie als ausgebildete Finanzbeamtin sich direkt in das Elstersystem einloggen würde, weil sich darin nichts von selbst erkläre; Leute wie ich (und es klang, als hätte sie statt „Leute“ lieber ein anderes Wort verwendet) könnten es also gleich vergessen, damit zurechtzukommen.

Peng, der Hörer wurde aufgelegt, und ich hatte keine Chance mehr, meinen persönlichen Vorschlag zur Steuerrechtsreform an die Frau zu bringen. Eine Fürsorgeabteilung sollte jedes Finanzamt haben, eigens für nette, im Umgang mit der Steuer jedoch etwas unbeholfene Menschen wie mich eingerichtet, aber einen weiteren Brief wage ich nicht zu schreiben. Jedenfalls nicht als Privatmann, sondern erst wieder als Vorsitzender des Vereins der 30-Prozent-Steuerversager e. V., den ich noch in diesem Jahr gründen werde.

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