C wie Chrzanowska-Gruszka

8.8.2012, 19:00 Uhr
C wie Chrzanowska-Gruszka

© Hans-Joachim Winckler

Der lange Name kommt aus Peru. Glauben Sie nicht? Stimmt aber. Er kam auf abenteuerlichen Wegen aus Polen dorthin: Aleksandras Opa gehörte zu den polnischen Befreiungskämpfern, die 1944 beim Aufstand in Warschau gefangengenommen wurden. Er wurde nach Deutschland deportiert. Nach Kriegsende fürchtete er als Mitglied der demokratischen Untergrundarmee die Rückkehr ins kommunistische Polen. Er studierte Bergbau, ging dann als Ingenieur nach Bolivien und Peru — und holte seine Freundin gegen alle Widrigkeiten nach.

Er nahm auch die peruanische Staatsangehörigkeit an. Als sein Sohn geboren wurde, war er schon tot. Verschüttet von einer Schlammlawine. Aleksandras Vater bekam — wie in Lateinamerika üblich — die Nachnamen beider Eltern. Den des Vaters Chrzanowska als ersten und den der Mutter, Gruszka, als zweiten.

Wie das ausgesprochen wird? Das Chrz wie ein weiches Sch, das Sz in Gruszka auch als Sch. Krystyna Chrzanowska-Gruszka gibt ihr Bestes, um das zu erklären. Beim Versuch, ihren eigenen Mädchennamen, Chichlowska, in Lautschrift zu schreiben, scheitert sie. „Mama, die Deutschen hören das anders als wir!“, ruft Aleksandra. So als müsste die Mutter das doch wissen. 1986 schon ist sie mit dem Kleinkind an der Hand nach Deutschland gekommen. Die junge Lehrerin folgte ihrem Mann, der Polen nach Steinwürfen bei den Solidarnosc-Unruhen binnen 48 Stunden verlassen musste. Sie selbst musste Asylantrag stellen. „Das war für mich eine Katastrophe!“

Sie war in Polen aufgewachsen, hatte in Krakau Literatur und Philologie studiert; heute arbeitet sie in einer Fabrik. In Polen hatte sie schon Deutsch gelernt. Worte und Grammatik kannte sie also, aber sprechen... Ihren Namen musste Krystyna Chrzanowska-Gruszka von Anfang an buchstabieren. „Ich habe immer eine Plastikkarte in der Tasche, die zeige ich dann“, sagt die 56-Jährige. Nach der Scheidung hatte sie überlegt, ob sie den Namen ablegen sollte. Aber die Kinder...

Am Telefon melden sich Mutter und Tochter stets mit „Ja, bitte“ — weil der Doppelname für die meisten Anrufer zu schwer ist. „In den ersten Schuljahren konnte ich ihn selbst nicht schreiben und musste mich sehr konzentrieren“, gesteht Aleksandra. Und noch heute reserviert sie in Lokalen auf den Namen einer Freundin. Schuster — ganz schlicht.

Einige ihrer Bekannten, die auch polnischer Abstammung sind, haben sogar ihren Vornamen geändert, berichtet Aleksandra. Ein früherer Freund heißt nun Georg statt Grzegorz — obwohl die korrekte Übertragung Gregor wäre. Die 27-Jährige kann das nicht verstehen. Sie ist stolz auf ihre Herkunft und ihren Namen.

Auf Facebook hat sie ihn schon gesucht. Nur 80-mal taucht Chrzanowska dort auf, die meisten Namensvettern leben in den USA. Den Ausschlag aber gibt der Großvater. „Wahnsinn, was er für ein Mensch war!“, sagt sie.

Aleksandra, die auf der Berufsoberschule Abitur gemacht und ein Jahr lang als Au-pair in Schottland gearbeitet hat und nun in Erlangen Englisch und Politik studiert, will sogar ihre Abschlussarbeit über den Opa schreiben. Seine Briefe hat die Familie aufbewahrt und liest sie mit Ehrfurcht und Begeisterung.

Aleksandra schaut auf die Postkarte mit den Hochlandrindern. Sie sagt: „Ich fühle mich als Europäerin“ und will ihre Staatsangehörigkeit keinesfalls wechseln, während der Bruder Marco zwei besitzt und ihre Mutter an Einbürgerung denkt.

Die polnischen Wurzeln und den Stolz auf die politisch aktiven Vorfahren muss Krystyna Chrzanowska-Gruszka deshalb ja nicht vergessen. Und wenn der CVJM ruft, der ihr in schweren Zeiten sehr geholfen hat, ist sie dabei. Reist mit Studenten nach Krakau oder kocht in ihrer Küche, mit Blick auf die Stadthalle, traditionelle Gerichte wie Sauerampfer, Piroggen oder Borschtsch. Sie schwärmt von junger Rote Beete, so zart wie das weiche Sch in Chrzanowska-Gruszka.

4 Kommentare