Das Gehirn eines Musikers

7.1.2019, 10:07 Uhr
Das Gehirn eines Musikers

© Foto: Michael Matejka

Hört man, wie er mit seinen oft minimalistischen Kompositionen Stimmungen erzeugt, muss man an großartige Landschaften denken, manche vielleicht an Island, andere an die Wüste, so unterschiedlich diese Welten auch sind. Doch Studnitzkys Spiel ist so vielfältig, dass all diese Bilder darin Platz finden und noch viel mehr.

Gerade weil er so puristisch arbeitet, weil er den Tönen viel Freiraum lässt, wird alles möglich. Hinter diesen Akkorden, die manchmal so simpel klingen und doch so kunstfertig sind, kann man sich beim Spielen nicht verstecken, hier muss der Künstler ein klares Statement abgeben. Und das tut Studnitzky auch.

Raffinierte Technik

Seine Trompete schmettert nie, sondern schillert anspruchsvoll durch eine virtuose Zungentechnik. Er erzeugt ganz spezielle Töne am unteren Limit des Instruments, wo der Schall entsteht und lässt ihn so gerade noch halten, nicht abbrechen, bringt ihn in die Balance. Das hat etwas großartig Morbides. Doch damit geht es erst los.

Mutig lässt er alle Grenzen zwischen U- und E-Musik weit hinter sich und kombiniert ein Streichquartett dazu. Dieses begleitet ihn klug orchestriert mit weichem Grooven, einem Schwelgen wie in schönen Erinnerungen. In der Kombination mit Paul Kleber am Bass und Tim Sarhan am Schlagzeug entsteht eine Üppigkeit, die nie kitschig ist, sondern einfach gut sättigt.

Das Orchester hat genug Luft zum Atmen und kann sich ausleben, ohne Tiefe und Leichtigkeit zu verlieren. Das Schlagzeug mäandert wie ein Fluss und fügt sich ein wie malerische Inseln. Der Bass verbindet all die Improvisationen wie ein Seil: solide und doch höchst flexibel.

Die wunderbaren Melodien und die geglückte Fusion von Klassik lassen an etwas denken, das man vor Jahrzehnten mal "Third Stream" genannt hat. Obwohl dieser Ansatz jenseits von U und E einige exemplarische Werke wie "Epitaph" von Charles Mingus hervorbrachte, konnte er sich nicht durchsetzen. Allzu oft funktionierte die Verbindung komplexer Elemente nicht wie gewünscht. Bei Sebastian Studnitzky aber stimmt alles: die Übergänge zwischen durchkomponierten und frei improvisierten Stücken, die Harmonie zwischen den Musikern und vor allem die verbindende Idee dahinter. Große Kunst. Wie groß, das erhellt eine Bemerkung von Jazz-Pianist Keith Jarrett. Er antwortete einmal auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, in einem Konzert sowohl Jazz als auch Klassik zu spielen: "Nein, ich glaube, das wäre Wahnsinn, praktisch nicht machbar. Dein System baut für beide Richtungen auf unterschiedliche Schaltkreise."

Genau diese bringt Studnitzky in Einklang, das ist seine Stärke. Wo der Laie denkt, dass es für einen Berufsmusiker kein Problem sein sollte, zwischen den Stilen zu wechseln, ist es in Wahrheit selbst für einen Vollprofi nicht trivial. Eine Max-Planck-Studie hat sogar ergeben, dass die Gehirne von Jazzern anders arbeiten als die von Klassik-Pianisten. Ein wesentlicher Unterschied liegt demnach in der Planung der Bewegungen beim Klavierspielen.

Prinzipiell müssen Pianisten zwar zunächst wissen, welche Tasten sie drücken, und anschließend, wie sie es spielen, also mit welchen Fingern sie diese bedienen. Was jedoch je nach Musikrichtung variiert, ist die Gewichtung dieser beiden Schritte. Klassische Pianisten konzentrieren sich besonders auf den zweiten Schritt, also auf das "Wie". Für sie geht es darum, ein Stück technisch einwandfrei und persönlich ausdrucksstark wiederzugeben. Hierfür ist die Wahl des Fingersatzes entscheidend. Anders hingegen bei den Jazzpianisten: Sie fokussieren sich vor allem auf das "Was" und sind stets darauf vorbereitet, zu improvisieren, um ihr Spiel flexibel an überraschende Harmonien anzupassen. Diese Flexibilität trainiert das Hirn. Studnitzkys graue Zellen müssen wohl ganz besonders strukturiert sein. Deshalb überschreitet seine Musik alles Gängige, sie ist zu sperrig für Pop, zu leidenschaftlich für Jazz, zu sinnlich für Elektro, zu locker für Avantgarde – einfach eigen.

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