Den Tod vor Augen

6.8.2014, 06:00 Uhr
Den Tod vor Augen

© Foto: städtebilder fotoarchiv & verlag

Wilhelm Moestel ist nach dem Bruder seines 1954 gestorbenen Vaters benannt. Die Erinnerung an ihn hält der 85-Jährige mit einer Urkunde wach. Unter dem Foto des jungen Oberleutnants der Reserve im Königlich Bayerischen 6. Feld-Artillerie-Regiment ist vermerkt, dass der damals 31-jährige Onkel am 21. September 1914 „vormittags zwischen 9 und 10 Uhr“ auf dem „Felde der Ehre bei Verdun den Heldentod gefallen“ ist und auf dem Friedhof von Pannes beerdigt wurde. Er war mit hoher Wahrscheinlichkeit der erste Fürther Offizier, der sein Leben „für Kaiser und Vaterland“ gelassen hat.

Den Tod vor Augen

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Bittere Ironie des Schicksals: Der Sohn eines wohlhabenden Spiegelfabrikanten aus der Gebhardtstraße 3 starb ausgerechnet in dem Land, in das es ihn in seiner Freizeit aus Leidenschaft immer wieder gezogen hatte. In Paris hatte er offenbar die schönsten Tage seines Lebens verbracht. Mit seiner Enkelin hat der Neffe bereits einmal das Grab seines Onkels besucht – und damit ein Versäumnis der Vergangenheit ausgeglichen. Denn in der Familie war über den Verlust nie geredet worden.

Wie überhaupt der Krieg kein Thema war. Auch der Vater sprach mit dem Sohn nicht über die eigenen Erlebnisse bei den Landesschützen im Zweiten Weltkrieg. Dass 21 Jahre nach dem Ende des Massensterbens mit ähnlichem Enthusiasmus ein noch schlimmeres Morden begann, war ein Tabuthema. Schließlich verbindet sich mit ihm auch die peinliche Frage, welche Lehren aus der Vergangenheit gezogen wurden. Dem großen Krieg folgte das noch größere Schweigen.

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Wie blauäugig sich junge Fürther vor 100 Jahren in die Schlacht gestürzt haben, führt das „Kriegstagebüchlein 1914-1918“ von Friedrich Meier vor Augen. Der Fürther Maler Jürgen Oltmanns bekam es von dessen inzwischen verstorbenem Sohn, Willi Meier, geschenkt, der die vom Vater in der Sommerstraße gegründete Deko-Druckfirma zur Schaufenstergestaltung weitergeführt hat. Im Gegensatz zu Wilhelm Moestel überlebte Friedrich Meier den Krieg. Doch ist unklar, wie es ihm weiter erging.

Als Sohn eines Spezereienhändlers wurde er 1894 im alten Gänsbergviertel geboren und trat nach Besuch der Pfisterschule und vier Klassen Realschule 1909 in das Exportgeschäft von Ludwig Spiegelberger ein. Nach der Musterung meldete sich der Rekrut beim 21. Infanterieregiment in der Südstadt zur Stelle, wurde aber schon nach sieben Wochen als „dienstunbrauchbar“ wieder entlassen. Was jedoch nicht verhinderte, dass er drei Monate später zur 3. Ersatzbatterie des 8. Feldartillerie-Regiment eingezogen wurde. Mit dieser Reserveeinheit ging es zuerst nach Russland, dann nach Frankreich und zuletzt Italien.

 

Krieg wird nur am Rande notiert

Der Krieg kommt in seinen Tagebuchnotizen nur am Rande vor – etwa wenn er von einer zerbombten polnischen Kirche berichtet, aus der nur noch das unversehrte Christusbild hoch aufragt. Umso ausführlicher widmet sich der Fürther der Verköstigung, dem Warenangebot im Kriegsgebiet und dessen landschaftlichen Reizen. „Es ist herrlich hier, und ich kann kaum mit Worten schildern, wie wunderbar erhebend die Natur auf einen wirkt“, beschreibt Meier eine Stellung 1917 vor Sommepy im Department Marne.

Er schwärmt geradezu vom ungeregelten Leben im Feindesland, kauft Ansichtskarten und freut sich über die Einquartierung in einer Brauerei. Nach dem Abschuss eines französischen Fliegers, schreibt er, „schmeckte uns das Essen noch mal so gut“. Wie ein Kirchweihfeuerwerk schildert der Gefreite einen nächtlichen Angriff: „Es war ein herrlicher Anblick, die Batterien vor und hinter mir feuern zu sehen. Überall blitzte es auf, dazu die verschiedenen farbigen Leuchtkugeln. Es war herrlich und doch furchtbar für unseren tapferen Streiter vorne im Kampfgraben.“

Wiederholt entfernt sich Meier unerlaubt zum Einkaufen von der Truppe und wird mit Hilfsarbeiten betraut. Zu den großen Verlusten zählt er das Zerbrechen seiner Tabakspfeife beim Putzen. In seiner Freizeit liest er die „Glaubensworte unseres Kaisers“ und „Feldzugsbriefe eines Pastors im Waffenrock“. Zum Helden reicht es nicht – aber zum Überleben.

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