Der einsame Hüter des Goldregens

3.9.2013, 09:00 Uhr
Der einsame Hüter des Goldregens

© Pfeiffer

Wie es eben so kommt. „Ich wollte eigentlich ins Büro“, sagt Frank Grottenthaler. Einfacher sei es, dachte er, und nicht so anstrengend wie die Drechslerei, die schon sein Vater, der Opa, der Ur- und der Ururgroßvater betrieben haben. Dann aber hatte sein Lehrmeister Gustav Vierlinger gesagt: „Mensch, tu halt des übernehmen.“

„Des“ ist eine Zauberwerkstatt in Gostenhof. Durch das große Eingangstor hindurch geht’s über einen schmalen Hof, die steile Stiege hinauf, und schon steht man in einer anderen Welt, einer anderen Zeit.

Es duftet wohlig nach Harz und frischem Holz, in den Regalen stapeln sich Vierkante und Rundhölzer, die Werkzeuge – halbrunde Röhren, flache Meißel und Abstechstähle – hängen säuberlich aufgereiht an der Wand. Staub hat sich über alles gelegt.

Wie die Späne gehört er zum Beruf, Frank Grottenthaler streicht ihn routiniert von seinen Werkstücken. Als wir ihn besuchen, dreht der 44-Jährige die Knöpfe für Bierkrug-Deckel: Er spannt einen Stab ein, lässt die Drehbank anlaufen. Er dreht den Zapfen heraus – auf den Millimeter genau, es muss ja passen – und senkt dann die scharfen Metallwerkzeuge ins weiche Holz. Die Pilzform entsteht. Jetzt noch mit Sandpapier schleifen, vom Stab abstechen, den Knopf oben flachklopfen, fertig. Nächster.

Augenmaß, sagt Frank Grottenthaler, ist das Wichtigste. Eine Kugel soll schließlich rund sein und kein Ei. Dazu eine ruhige Hand und natürlich Gespür für das Holz, das nachgeben muss und doch manchmal bockt. Ein Astloch, eine Verhärtung, schon ist das Stück Geschichte und wird im Ofen verschürt.

1992, im Jahr seiner Meisterprüfung, war Grottenthaler der jüngste Drechslermeister in Deutschland, heute ist er einer von dreien, die in Mittelfranken tätig sind. Er arbeitet für Zimmerer, Schreiner, Antiquitätenhändler und Innenarchitekten. Mal sind es Füße für einen alten Tisch, mal Treppensprossen, die ersetzt werden müssen. Der Trend jedoch geht in eine andere Richtung. Gerade lümmeln die Deutschen liebend gern auf viel zu wuchtigen Sofa-Landschaften, werden Neubauten kühl und mit reichlich Metall ausgestattet. Der Drechsler hofft, dass auch wieder andere Zeiten kommen.

Der einsame Hüter des Goldregens

© Pfeiffer

So lange liefert er Schreinereien zu, drechselt Muster für die Spielzeugindustrie und Spezielles für diverse Auftraggeber. Für eine Bank beispielsweise hat er einmal eine Kugel aus sechs verschiedenen Hölzern – Zwetschge, Kirsch, Nuss, Eiche, Buche, Ahorn – zusammengesetzt. Die Scheiben werden mit einem Magneten gehalten, und ein Metallkern gibt der Kugel einen Schwerpunkt, so dass sie nicht vom Schreibtisch rollt. Eine komplizierte Konstruktion, die Finesse schon bei der Herstellung erfordert. Oder die hölzernen Kapseln, die wie Raketenköpfe aussehen und Filmleinwände abschließen.

Ach, sagt Frank Grottenthaler mit wegwerfender Geste. Da gibt’s anderes. Durchbrochene Muster, gewundene Stäbe, Spielzeuge und natürlich der Inhalt der Zauberkästen. Kugeln, die verschwinden und, Simsalabim, wieder auftauchen. Ein Hölzchen, das magisch, in eine Hülse hineinschnappt. Oder – „das führe ich ganz ungern vor“ – die Klammer, die die Nase einzwickt und durch die sogleich von rechts nach links ein Nagel getrieben wird.

Frank Grottenthaler setzt ein leidendes Gesicht auf, das nur kurz vom Vergnügen ablenkt, das er an seinen Zauberkästen hat. 13 Tricks hat jeder drin und eine lange Tradition sowieso: 1875 begann Christoph Vierlinger mit der Produktion, die „Nürnberger Zauberkästen“ gingen in alle Welt.

Noch heute ist jedes Stück handgefertigt, vom Baum bis zum Lack. Das Holz schlägt der Drechslermeister im eigenen Wald in Egenhausen bei Obernzenn, wo er wohnt. Dann lagert es drei bis fünf Jahre, erst im Freien und dann unterm Dach.

Schöne Kirsche

Buche zum Beispiel darf auch fünf Jahre faulen, „doch dann muss es schnell gehen, sonst ist der Stamm nur noch Staub“. Zum richtigen Zeitpunkt verarbeitet aber zeichnet der Pilz schwarze Ringe, die Obstschalen und Teelichte mit interessanten Linien schmücken.

Am meisten liebt Grottenthaler das Obst, weil Kirsche und Zwetschge so schön gemasert sind, und dann die Erle, weil sie sich nicht verzieht. Selbst die dünnen Äste von Goldregen und Eibe kann er gebrauchen, daraus entstehen – an Tagen, an denen er Geduld für filigrane Arbeiten hat – Ohrringe und Broschen.

„Exotische Hölzer mag ich gar nicht, da läuft die Nase und die Augen tränen“, sagt Frank Grottenthaler. Und dann spannt er den nächsten Stab ein. Das Radio, das auf der Werkbank am Fenster steht, bleibt stumm. „Man hört eh meist nichts“, sagt Grottenthaler. Macht die Arbeit nicht einsam? „Ja schon, aber ich genieße das.“ Ab und zu kommt ja auch ein Kunde vorbei.

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