Der Fall Özil: "Das fühlt sich jetzt an wie Nachtreten"

24.7.2018, 06:00 Uhr
Mesut Özil trug fast 100 Mal das Trikot der deutschen A-Nationalmannschaft, nun will er es nie wieder anziehen.

© dpa Mesut Özil trug fast 100 Mal das Trikot der deutschen A-Nationalmannschaft, nun will er es nie wieder anziehen.

Herr Gündogan, was war Ihr erster Gedanke zur Meldung "Özil bricht sein Schweigen"?

Özcan Gündogan: Ich war neugierig und habe gedacht: Endlich sagt er was. Als ich alles gelesen hatte, fand ich: Es gibt Punkte in seinen Aussagen, über die man nachdenken kann. Trotzdem bleibe ich dabei: Er hat den richtigen Zeitpunkt verpasst, sich zu äußern. Das hätte er alles ganz anders haben können, Ilkay Gündogan hat gezeigt, wie es laufen kann, dem hat man verziehen. Aber Özil hat nie erklärt, warum er sich so lange Zeit gelassen hat. Das fühlt sich jetzt an wie Nachtreten.

Sie selbst sind als Kind türkischer Eltern in Nürnberg geboren, haben den türkischen Pass und in Fußballfranken einen Namen. Haben Sie deshalb die Debatte intensiver verfolgt als andere?

Gündogan: Klar, im Freundeskreis und unter Fußballern haben sie mich oft nach meiner Meinung als Türke gefragt. Ich wollte aber nie streiten, ich wollte immer konstruktiv darüber reden, weil ich nichts rechtfertigen, sondern die Dinge verstehen wollte.

Wie hat Ihr türkischstämmiges Umfeld den Fall am Anfang gesehen?

Der Fall Özil:

Gündogan: Gefühlt eine Woche lang haben wir diesen Sommer eine Diskussion geführt, dann ist sie abgeebbt. Denn die Türkei beschäftigen gerade andere Dinge. Ich habe diese mediale Gewalt nur bei den Deutschen gespürt.

Das Foto hat Recep Erdogan unter den türkischen Exilanten in Deutschland sicher nicht geschadet, oder?

Gündogan: Ich habe das Foto nicht als Wahlkampf empfunden, aber es war ein Foto, das zu diesem Zeitpunkt ungünstig war. Es gab ja schon frühere Treffen zwischen den beiden, Erdogan hat selbst Fußball gespielt und ist Fan, die haben über Fußball geredet. Aber Emre Cans Berater hat das anscheinend ähnlich gesehen und ihm von der Einladung abgeraten. Was ich mich frage: Warum muss sich Lothar Matthäus nicht wegen eines Treffens mit Wladimir Putin rechtfertigen?

Was ist Ihr Fazit?

Gündogan: Ich frage mich: Was wäre denn gewesen, wenn Deutschland Weltmeister geworden wäre? Und er der Spieler des Turniers? Hätte man dann genauso reagiert? Außerdem sollte man einmal über das Thema Vorbildfunktion nachdenken: Ist denn wirklich jeder Fußballprofi immer ein Vorbild? Viele sehen jetzt gar nicht mehr seine karitativen Aktionen. Stattdessen heißt es: ,Das Volk gegen Mesut Özil’. Dabei ist Verzeihen eine Gabe, die jeder Mensch besitzen sollte. Schade, dass das Ganze mit seinem Rücktritt endet.

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