Deutschland sucht den Superstar

17.6.2014, 10:00 Uhr
Deutschland sucht den Superstar

© Winckler

Kürzlich sah ich zufällig „Germany’s next Topmodel“ von und mit Heidi Klum. Das Ganze war inszeniert wie ein ägyptisches Totengericht. Die jeweilige Kandidatin schritt, stolzierte, schob sich auf einem langen Laufsteg nach vorne, auf den Weg gebracht von einem Chorus langbeiniger, magerer, zum Weinen oder zur Freude bereiter junger Mädchen. Eine hippe Gruppe, empathiefähig und lynchbereit, hagere Sirenen, krallenbewehrt und lieb. Es klapperten die Hufe wie die Zähne. Am Ende des Laufstegs wie am Ende des Lebens stand ein Tisch. In der Mitte saß die Totengöttin Heidi, schwarz umrandete, starre Augen. Unnahbar. Unbestechlich. Ihr zur Rechten wie zur Linken saßen zwei schlanke und wohlgekleidete Herren, Ewigkeitsschöffen, mit Dreitagebart menschlicher wirkend, aber eher doch nur dienstwillige Claqueure ihrer Majestät.

Heidi Klum, die oberste Richterin über Wohl und Wehe, tadelte, lobte, streng und gerecht. Kurz sprach sie über Enttäuschung, warum wohl habe sie nichts dazu gelernt, die Kandidatin, Verbesserungen, ja doch – nach einer kurzen bedeutungsvollen Pause, diese oder jene positive Veränderung sei ihr wohl aufgefallen – nicht wahr, meine Herren? Kurzes, bedeutungsvolles Nicken, auch Rückfälle gab es zu vermelden, was längst intus gewesen war, gewesen zu sein schien, das sei jetzt offensichtlich – sie blies sanft gegen die Finger, vom Winde verweht.

Und dann? – hob oder senkte sie den Daumen. Widerspruchslos und mit gesenktem Blick gehorchten die Kandidatinnen – mit einem noch schrägen, noch von Hoffnungen angereicherten Blick, vielleicht kommt noch ein Nachsatz, auf den es zu achten gilt.

Ja, und dann? Das Wunder geschah. Gnädig bot sie die Wangen zum Kuss, huldvoll nahm sie die dankbaren, demütigen Hingabegesten entgegen, küsste auch selbst und entließ mit knappster Gebärde. Ich weiß nicht mehr, wie die Schönen den Abgang angetreten haben, ob rückwärts stakend wie im Wiener Hofzeremoniell, die Schönheitsrichterin fest im Blick, - oder ob sie frei und befreit den Rückweg wagten, unbefangener jetzt, aber doch noch mit klammem Herzen, denn noch ist es nicht da, das Finale, und Feind wird selbst die Freundin hier, mag sie auch noch so ekstatisch die Arme ausstrecken und schrille Jubelschreie von sich geben.

Ein einziges Mal provozierte eine Schöne störrisch. Übersteif, fast karikaturenhaft schob sie ihr Becken voran, sie setzte die Füßchen geishaartig trippelnd Schritt vor Schritt. Maskenhaft starr, eine Maske in Weiß war ihr Gesicht, kein Lächeln erhellte das, was die Coolness mildern sollte. Der Reigen seliger Geister? Nein, hier saß die Totenstarre schon längst im Gebein, Eurydike, die wahrhaft Schöne, weil inbrünstig Liebende, hatte alle Hoffnung längst fahren lassen.

Und das wiederum erzürnte die Göttin.

„Bist du denn von allen guten Geistern verlassen.“, schrie sie nicht, flüsterte sie pointiert, stakkatohaft, Intimität vortäuschend, aber doch sehr vernehmlich auch für den Letzten im Saal. „Sehnst du dich denn nicht danach, herauf zu steigen ans Licht, das Dunkel der Namenlosigkeit zu verlassen und berühmt zu werden als Germany’s next Topmodel? Habe ich Dir nicht tausendmal, gebetsmühlenartig bla bla. . .“

Doch schnippisch ließ sie, diese deutsche Möchtegerngeisha, alle Ermahnungen von sich abprallen, ein beinahe höhnisch anmutendes Zucken des linken Mundwinkels, und dann, als die Audienz beendet werden sollte, versöhnend mit dem obligatorischen Wangenkuss, da verweigerte sie, die Unwürdige, selbst diese ungezwungene Unterwerfungsgeste.

Kein Kuss. Schluss. Stolz noch vor dem Richterthron. Fritz Teufel hätte es damals nicht besser machen können.

Und da wurden sogar die sanften Begleitschöffen zornig. Auf die höchst betroffene Nachfrage der kajalstiftumrandeten Augen brachten sie ein, tiefster Seelenpein entsprungenes brummiges „Allerhand“ über die Lippen.

Später dann, was dann kam, es war der Gipfel der Provokation, als die Zeugnisse zum Weiterleben oder Weiterkommen in der nächsten Staffel verteilt wurden, die Höchstrangige zuerst und dann abgestuft die von der Richtergnade etwas weiter Entfernten, als letztendlich sogar noch die Trotzige begnadigt wurde und ihr Schönheitszertifikat überreicht bekam, da sank diese nicht, von Güte oder Gnade überwältigt, zu Boden. Nein, sie riss gewissermaßen, die Undankbare, der Göttin den Gnadenerweis aus der Hand.

„Das habe ich gewusst“, sagte sie noch, nicht ganz unironisch, als ob sie ahnte, dass da doch eine gewisse Sympathieachse zwischen Gottheiten, und seien es auch nur Schönheitsgöttinnen und den — noch sterblichen — Debütantinnen auf der Suche nach Ewigkeit gebe. Denn nicht nur die Sterblichen sind abhängig von der Gnade. Auch die Götter und Göttinnen zerfallen zu Staub, wenn ihnen die Bewunderung, die heilige Ehrfurcht entzogen wird.

Einmal aus der Anonymität hinaus ins gleißende Rampenlicht, einen kurzen Augenblick der Ewigkeit genießen – ist das zu viel verlangt?

Eine Spielverderberin glaubte ich erlebt zu haben, die die Posse der Eitelkeit durchschaute.

Eurydike wollte wohl doch nicht ans Licht.

„Bleiben Sie Mensch!“, hätte Jürgen von Manger gesagt, „Gottheiten, Topmodels, Stars und Starlets gibt es wie Sand am Meer.“ Menschen dagegen kann man mit der Lupe suchen.

Keine Kommentare