Die Engel in Lila

9.12.2010, 22:00 Uhr
Die Engel in Lila

© Mark Johnston

Auf den ersten Blick war das Anliegen nicht ungewöhnlich: Der Krankenhausaufenthalt des Patienten wurde verlängert, nun stand der Mann ohne ausreichend Kleidung da — und, wie viele ältere Menschen, ohne einen Angehörigen, der ein paar Kleidungsstücke aus der Wohnung holen konnte. Vielleicht wusste der Mann selbst schon, dass es im Klinikum das Lila-Ball-Team gibt: ehrenamtliche Helfer, die kostenfrei Erledigungen für Patienten übernehmen; vielleicht haben ihn die Schwestern darauf aufmerksam gemacht. Er nahm die Hilfe jedenfalls dankbar in Anspruch, und Helga Scherzer machte sich mit einer Kollegin auf den Weg: „Wenn wir in die Wohnung eines Patienten gehen sollen, sind wir immer zu zweit unterwegs.“

Vor der Haustür des Mannes wurde der Fall kompliziert: Als die Sanitäter ihn abgeholt hatten, hatten sie den falschen Schlüsselbund erwischt. Scherzer rief bei der Feuerwehr an. „Ich hab’ mit Engelszungen auf sie eingeredet, damit sie die Tür öffnen.“ Der Mann hatte ihr zudem verraten, dass er Spinnen züchtet, dabei allerdings verschwiegen, dass sich eine davon nicht länger im Terrarium befand. „Ein großes Exemplar“, sagt Helga Scherzer, „sie saß in einem leeren Margarinebecher mitten auf dem Boden.“ Ein Feuerwehrmann fasste sich ein Herz, stupste die Spinne an. Sie war tot. „Eigentlich regen mich Spinnen nicht auf, aber da haben wir uns den Schweiß von der Stirn gewischt“, erinnert sich Scherzer lächelnd.

Die 73-Jährige ist seit acht Jahren Teil des Lila-Dienste-Teams. Einige Jahre zuvor hatte sie in der Zeitung einen Bericht über die Lila Ecke gelesen. „Das wäre doch was für mich, wenn ich nicht mehr arbeite“, sagte sie damals zu ihrem Mann. Als er starb, gab sie ihm ein Versprechen mit auf den Weg: Er müsse sich keine Sorgen um sie machen, er erinnere sich doch an die Lila Ecke? Da werde sie in Zukunft mithelfen.

Nur vier Wochen später rief Scherzer bei Ingrid Rettlinger an, die die Lila Dienste ins Leben gerufen hat und für ihr Engagement vor kurzem mit dem Ehrenbrief der Stadt Fürth ausgezeichnet wurde. „Ich hatte erst Bedenken“, gibt Rettlinger zu, „aber Frau Scherzer sagte, sie werde mich überzeugen, dass es nicht zu früh für sie sei. Und sie hat mich überzeugt.“ Mittlerweile ist Scherzer für alle drei der lila Hilfsangebote im Einsatz, zusätzlich sitzt sie oft als Helferin der Seelsorge am Bett von Patienten.

Ein Ohr für Geschichten

„Ich habe viele Lebensgeschichten gehört“, sagt Scherzer, die stets etwas Lilafarbenes trägt, wenn sie im Dienst ist. „Manchmal habe ich mit den Patienten geweint, aber wichtig ist mir immer, dass wir zusammen lachen.“ Seit einiger Zeit koordiniert Scherzer das jüngste, noch recht unbekannte Angebot der Lila Dienste, die Lila Brücke: Während die Mitarbeiter von Lila Ball Besorgungen für die Patienten erledigen, die im Krankenhaus liegen, soll die Lila Brücke die Rückkehr in die eigenen vier Wände erleichtern. „Wir können Patienten auf dem Heimweg begleiten, den ersten Einkauf für sie machen, mit ihnen spazieren gehen oder ihnen helfen, Essen auf Rädern zu bestellen“, zählt Scherzer auf. Auch die Spülmaschine räumt sie schon mal aus, wenn einer schwach auf den Beinen ist. „Wenn es aber darum geht, die ganze Wohnung zu putzen, müssen wir ablehnen.“ Zwei bis vier Wochen sind für die Unterstützung anvisiert. „Die meisten kommen dann wieder auf die Beine.“ Einige freilich gewöhnen sich an nette Gespräche und Aufmerksamkeit: „Manche werden anhänglich“, sagt Scherzer sanft, „und wir müssen uns dann langsam wieder abgrenzen.“

Manchmal hilft schon ein Anruf, wie bei Thekla A., die am Freitagmittag vor Allerheiligen überraschend entlassen wurde. Eine heikle Operation lag hinter ihr, die Tochter lebt im Ausland, die Freundin war über das lange Wochenende weggefahren. „Es ist ja nicht damit getan, dass eine Wunde zu ist. Zum Körper gehört auch die Seele“, sagt Thekla A., vor der drei Tage lagen, in denen keiner im Notfall helfen konnte. „Dann so einen liebenswerten Anruf zu bekommen, hat mir sehr geholfen.“ Auch Scherzer erinnert sich an jenen Samstag, als sie die fremde Frau am Telefon nach ihrem Befinden fragte: „Das war ein guter, ein fruchtbarer Tag.“

Die Lila Dienste, insbesondere die Lila Brücke, suchen noch ehrenamtliche Mitarbeiter. Kontakt unter Tel.: (0911) 75809341 und (0170)4114896.