Die Kraft der heil(g)en Familie

30.5.2016, 15:15 Uhr

Ihre Federstriche sind tiefschwarz, kraftvoll, selbstbewusst. Sonja Christine Schlappinger hat mit ihrer ersten Graphic Novel eine Bild-Geschichte geliefert, von der etwas Unwiderrufliches ausgeht. Einer Abrechnung kommt gleich, was die 46-Jährige zu sagen hat. Erzählen lässt sie allerdings Christl, eine junge Frau, die sich oft fühlt, als trenne sie eine Glashaube von der lebendigen Welt. Christl blickt zurück, erforscht die Regeln und Tabus ihrer Eltern und Großeltern. Und sie riskiert die Konfrontation mit den verstörenden Erinnerungsfetzen, die plötzlich in ihr erwachen.

Was da auftaucht, ist das Horror-Szenarium einer Kindheit in einem Mikrokosmos aus Erdulden, Erleiden und Verschweigen. Abgesegnet von einem Katholizismus, der dem Diesseits wenig Liebe entgegenbringt. Es geht in Schlappingers gezeichnetem Roman um einen Missbrauch an Körper und Psyche, der nicht weniger als eines wahren Exorzismus bedarf, um überwunden zu werden. Das ist der eigentliche Kraftakt, den Ich-Erzählerin Christl bewältigt, weil sie nicht nur „überleben, sondern leben“ will.

Christine Schlappinger wuchs im Landkreis Altötting auf. Kaum erstaunlich also, wenn plötzlich Parallelen zu Andreas Altmann und seinem Altöttinger Wutbuch „Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend“ aufscheinen. Die Autorin hat dem Kollegen sogar einen Platz in ihrer Geschichte eingeräumt. Seine harte Abrechnung wird bei Schlappinger zu einer späten Verständigung zwischen Tochter und Mutter beitragen.

Fragt sich freilich, wie viel Persönliches in „Die Kraft der heil(g)gen Familie“ steckt. „Natürlich ist da Autobiografisches drin. Aber nicht nur.“ Sie studierte zunächst Informatik, arbeitete dann als Software-Ingenieurin. Nebenbei gründete sie ein Impro-Theater, ein Kunststudium an der Faber-Castell-Akademie folgte. Heute ist sie selbstständig als Mediatorin, Coach, Projekt- und Seminarleiterin vor allem in der IT-Branche.

Seit zwei Jahren bildet sich Schlappinger in der Kunst- und Traumatherapie weiter. Comics spielen in ihrem Leben, dessen Mittelpunkt heute in Erding liegt, ebenfalls eine wichtige Rolle. Beim 17. Internationalen Comic-Salon in Erlangen ist sie im Seminar des Zeichners Flix dabei: „Ich habe ihm mein Buch gezeigt, er hat gemeint: ,An dem Ding kommt keiner vorbei.‘“

Christian Fritsche, der neben seiner Galerie in der Promenade auch einen Verlag gegründet hat, machte ähnliche Erfahrungen: „Wer zunächst nur einen Blick auf Sonjas Bilder werfen wollte, taucht erst nach intensiver Beschäftigung wieder daraus auf.“ Entstanden ist ein edler Comic-Band mit 75 großen Bildtafeln in hochwertiger Buchausstattung. Ein Projekt, für das sich Schlappinger von einer Gewohnheit verabschiedete: „Ich bin Linkshänderin, kann aber auch die andere Hand einsetzen. Die Bilder und die meisten Texte habe ich diesmal ganz bewusst mit rechts gezeichnet und geschrieben.“

„Die Kraft der heil(g)en Familie – von Christl“, Verlag edition promenade, ISBN 978-3-944897-05-9

Verwandte Themen


Keine Kommentare