Die Zeit der Instandbesetzer

4.2.2013, 11:00 Uhr
Die Zeit der Instandbesetzer

© Linke

Ein breites Spruchband prangte am 18. Januar 1981 an der Fassade der stattlichen, schon etwas mitgenommenen Villa in der Königswarterstraße 20: „Lieber instandbesetzen statt kaputtbesitzen“ stand darauf. Eine Gruppe junger Leute hatte sich unbemerkt von der Öffentlichkeit Zugang in das leer stehende Gebäude verschafft und richtete sich nun für ungewisse Zeit hier ein: Fürths erste Hausbesetzung hatte friedlich begonnen.

Die Temperaturen waren frostig wie das Klima überhaupt in diesen Tagen: Zwei der auffälligsten und schönsten Villen in der Innenstadt sollten abgerissen werden und Platz schaffen für einen fünfstöckigen Hotel-Neubau mit Hochgaragen — das nahe Park-Hotel war da noch intakt. Der Kahlschlag wäre beinahe heimlich, still und leise über die Bühne gegangen, denn auch der Stadtrat verschloss sich keineswegs den Plänen des Hauseigentümers. Allein das brachte die Abrissgegner auf die Palme: Ihr Anliegen war nicht unbedingt, das Haus für eigene Zwecke zu requirieren. Es ging ihnen vor allem um den öffentlichkeitswirksamen Hinweis auf die Grundstücksspekulationen einiger Hausbesitzer und die „unglaubwürdige Haltung“ der Stadt in dieser Sache.

Die Besetzer richteten sich notdürftig ein in den einst repräsentativen Räumen der Villa, die jahrelang vernachlässigt worden war, sodass längst Wasser durch das undichte Dach eintrat, die Substanz vermoderte und verfiel. Mit Schlafsäcken, einer provisorischen Küche und Not-Ofen wurde das Obergeschoss einigermaßen wohnlich gemacht. Ein Notstromaggregat musste herbeigeschafft werden, weil Oberbürgermeister Scherzer die Belieferung mit Strom und Wasser untersagte. Zur Hauptaufgabe der Besetzer zählten fortan Vollversammlungen und die Herausgabe von Presseerklärungen. In den „Fürther Nachrichten“ hieß es: „Immer wieder entdeckten die Besetzer in dem Jugendstilprunkstück versteckte Kunstwerke. So ein Gipsrelief im Bad und die handgedrechselten Chörlein im Treppenhaus (…) Nach ihren Aussagen waren die Fenster zum Teil nicht verschlossen, sodass Regen und Schnee ungehindert eindringen konnten.“

Die „Aktivisten“ hatten einen Nerv getroffen. Sie ermöglichten mit ihrer Besetzung auch den freien Zugang zu dem Baudenkmal: Zahlreiche Fürther nutzten die Chance, sich vom architektonischen Wert der Villa zu überzeugen, sahen erstmals, wie fahrlässig der Eigentümer mit der denkmalgeschützten Substanz umging. „So ein schönes Haus kann man heute gar nicht bauen,“ meinte ein Bürger, andere sagten: „Den Sinn dieser Aktion finde ich richtig.“

Am 20. Januar rückte der Hausbesitzer mit der Polizei an und drohte Strafantrag „wegen Hausfriedensbruchs“ zu stellen. Eine Frist von 24 Stunden wurde eingeräumt. Einen Tag später wurde der Antrag dann tatsächlich eingereicht, die Polizei stellte ein Ultimatum bis 20 Uhr. Wieder wurde eine Vollversammlung von den Besetzern einberufen, an der über hundert Fürther teilnahmen. Beschlossen wurde der Auszug: „Wir wollen keine Gewalt, keine Krawalle – nur dies Haus.“ Symbolträchtig geriet dann die freiwillige Räumung: Eine Minute vor Ablauf der Frist leuchteten in allen Fenstern der Villa Kerzen und die Gruppe zog mit dem Transparent „Wir weichen der Staatsgewalt“ durch die Innenstadt.

Wer heute auf der kleinen Freiheit steht, blickt auf zwei wunderbar renovierte Villen: Der Abriss konnte abgewendet werden, die Aktion der Hausbesetzer war letztlich von Erfolg gekrönt. Es hätte auch anders kommen können – wie weitere Beispiele zeigen.

Im April 1981 gab es gleich noch eine Hausbesetzung. Wieder ging es den Bürgern der Stadt um ein Baudenkmal, das ihnen ans Herz gewachsen war, dass sie nicht geopfert sehen wollten für Neubauten. Zu viel Negatives war schon geschehen: An der Freiheit protzte ein unpersönlicher Kaufhaus-Klotz, am Bahnhofplatz links ein überdimensioniertes Hochhaus, rechts war die alte Post durch ein mit Alibi-Sandsteinplatten ummanteltes erschreckend unpersönliches Ungetüm ersetzt worden, dahinter ragte der Sparkassenturm wie ein böser Finger in den Himmel.

Daher wollte man im April verhindern, dass auch die Brauereigebäude in der Innenstadt abgerissen werden: Freilich nur für einen Tag richteten sich die Besetzer im Hauptgebäude der aufgegebenen Geismann-Brauerei ein. Konkret ging es darum, einige der Räume für ein Jugendzentrum zu erhalten. Vergeblich. Das hier dann mit viel Großstadt-Sehnsucht errichtete City-Center gilt allerdings heute seinerseits als Problem-Immobilie und macht längst einen ähnlich traurigen Eindruck wie die leerstehende Brauerei in ihren letzten Jahren.

Schief ging das Engagement der Bürger für die Erhaltung prägnanter architektonischer Schmuckstücke auch mit der Sahlmann-Villa am Bahnhofplatz. Die Bürger erfuhren von ihrem „Aus“ eigentlich erst, als alles zu spät war. In seltener Eintracht mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege wurden damals Nägel mit Köpfen gemacht: den Abbruch des Gebäudes stellte diese eigentlich zum Schutz alter Substanz verpflichtete Behörde „in Aussicht“; eine Neubebauung, die mit der Nachbarbebauung in Einklang steht, hieß es, sei „städtebaulich zulässig“. Mit solchen „Vorgaben“ ließen sich vor 30 Jahren alle geplanten Bausünden rechtfertigen: Wenn nur irgendein Sandstein-Imitat an die Betonfassade geklebt wurde, waren die Auflagen mehr als erfüllt.

 

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