Wirt Hans-Günther Fischhaber im Interview

Roßtal: "Ein Dorf ohne Wirtschaft ist tot"

5.9.2019, 11:38 Uhr
Die Humbser-Reklame an der Fassade stammt noch aus den 1970er Jahren: Hans-Günther Fischhaber, Wirt in Roßtal, vor seinem Gasthaus.

© Hans-Joachim Winckler Die Humbser-Reklame an der Fassade stammt noch aus den 1970er Jahren: Hans-Günther Fischhaber, Wirt in Roßtal, vor seinem Gasthaus.

Wollten Sie schon immer Wirt werden, Herr Fischhaber?

Ich habe in der Kinderschule immer gesagt: Ich werde Wirt. Was ich nicht unbedingt werden wollte, war Metzger. Aber mein Urgroßvater war Metzger, mein Großvater und mein Vater. Und dann bin ich es auch geworden. Wir verkaufen unsere Wurstwaren noch heute über die Straße, dazu muss man übrigens zwar in die Wirtschaft, aber nicht in den Gastraum.

Warum?

Außen, vor der Tür zur Gaststube, ist eine Klingel. Denn früher sollten die Frauen nicht unbedingt wissen, wer drinnen beim Bier sitzt.

Sie üben Ihren Beruf seit fast 30 Jahren aus. Was macht einen guten Wirt aus? Muss er ein Ohr für die Nöte seiner Gäste haben und verschwiegen sein?

Ein Wirt weiß oft mehr von seinen Gästen als die eigene Frau. Früher waren die Stammgäste wie Familienmitglieder, jeder hat von jedem alles gewusst. Aber eine noch viel größere Rolle spielt bei einem Wirt und seinem Gasthaus die Zuverlässigkeit. Damit meine ich regelmäßige Öffnungszeiten. Wenn sich nämlich die Gäste zwei Mal die Nase an der Tür blutig gestoßen haben, kommen sie nicht mehr.

Und Sie sind immer da?

Wir haben jeden Tag von 8 bis um 14 Uhr und dann wieder ab 16 Uhr geöffnet. Am Samstag schließen wir um 18 Uhr. Das hat mein Vater so eingeführt, seit es im Fernsehen die Sportschau gibt. Wegen zwei, drei Hanseln stelle ich mich nicht her, hat er gesagt.

Das Wirtshaussterben ist besonders auf dem Land unübersehbar. Sie kennen die Situation in Roßtal. Wie ist es hier um die Gastronomie bestellt?

In Roßtal gab es in den 1960er Jahren, bei der Hälfte der jetzigen Einwohnerzahl, 14 Wirtschaften. Davon sind noch drei übrig geblieben. Der Kapellenhof, das Sportheim und wir. Die Entwicklung ist bedenklich, denn ein Dorf ohne Wirtschaft ist ein totes Dorf.

Wo liegen Ihrer Meinung nach dafür die Gründe? Ist es ein Problem, Personal zu finden? Oder sind es eher zu viele Vorschriften?

Natürlich spielt das alles mit hinein. Wer will schon am Wochenende arbeiten? Aber entscheidend ist für mich der gesellschaftliche Wandel. Wenn früher um dreiviertel fünf der Arbeiter-Zug aus Nürnberg kam, wo die Roßtaler bei Bosch, Grundig oder Triumph-Adler beschäftigt waren, war unsere Wirtschaft voll. Die Leute haben ein paar Seidli getrunken, dann sind sie nach Hause und manche später wieder gekommen. Machen Sie das heute mal, da kriegen Sie nach zwei Wochen Stress mit Ihrer Frau. Früher gingen die Roßtaler auch ins öffentliche Wannen- und Brausebad, und davor oder danach waren sie in der Gastwirtschaft.

Können Sie auf Ihre Stammgäste vertrauen?

Auf jeden Fall. Zu uns kommen Leute, da hat meine Mutter noch den Urgroßvater bedient. Aber wenn ich mir nur die Stammtische anschaue: Früher wurde nach der Singstunde an vier Tischen gekartelt, heute an keinem mehr.

Warum ist das so?

Früher hat sich das Leben viel mehr im Wirtshaus abgespielt. Je schlechter die Zeiten, desto voller war es. Man fuhr kaum in den Urlaub, und wer hatte schon einen Fernseher? Was die Stammtische angeht, viele unserer ehemaligen Gäste liegen eben bereits hinter unserem Haus – da ist nämlich der Friedhof. Bis einer am Stammtisch nachkommt, sind sechs weggestorben.

Seit 150 Jahren übt der Männergesangverein im Weißen Lamm. Welche Rolle spielen denn Vereine noch für eine Gastwirtschaft?

Sie haben hier ihren Treffpunkt. Wir sind beispielsweise auch seit 1876 das Vereinslokal für die Freiwillige Feuerwehr. Und von uns war immer einer dabei: Mein Urgroßvater als Kommandant, mein Großvater als Vorstand, mein Vater als Löschmeister. Bei mir hat es nur noch zum Feuerwehrmann gereicht.

Was halten Sie als Wirt eigentlich von der aktuellen Debatte um den Verzicht auf Fleischkonsum?

Bei uns gibt es Sonntagmittag die fränkischen Klassiker Schäufele, Schweinebraten, Sauerbraten und Kalbshaxe. Vegetarisches und Veganes haben wir nicht auf der Speisekarte.

Sie trotzen also dem Zeitgeist. Was sehen Sie für sich und Ihre Gastwirtschaft als größte Herausforderung in der Zukunft?

Ich hänge an dem historischen Haus. Wobei das auch Herausforderungen mit sich bringt, beispielsweise beim Thema Sanierungen. Uns fehlt hier im Zentrum der Platz, außerdem ist da der Denkmalschutz und die Nachfolgefrage. Man überlegt: Lohnt das, sich in Schulden zu stürzen? Meine Eltern mussten noch einen Umsatz von drei Seidli machen, um einen Vorarbeiter zu bezahlen, bei mir sind es 28 Seidli. Wenn ich dann etwa in Ihrer Zeitung lese, wo überall Gastronomie eröffnet, wundere ich mich schon. Etwas Neues aufzumachen und dem Hype nachzulaufen, das ist kein Problem – aber durchzuhalten, das ist schwer.

Mehr Informationen über das "Weiße Lamm" in unserer Rubrik Essen und Trinken!

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