Ein Rathaus im Doppelpack

17.11.2010, 13:00 Uhr
Ein Rathaus im Doppelpack

© FN

Bekanntlich gibt es das Fürther Theater ja irgendwie doppelt. Ein nahezu identischer Zwillingsbau steht im ukrainischen Czernowitz, wenngleich er dort und heute nicht annähernd so perfekt herausgeputzt und renoviert ist wie hier. Schuld an dieser Duplizität sind die beiden Wiener Architekten Fellner & Helmer, ein beispielslos erfolgreiches Unternehmer-Team des ausgehenden 19. Jahrhunderts, das innerhalb von 40 Jahren insgesamt 48 Theater in 39 Städten plante und verwirklichte, wobei der Großteil davon in Gegenden der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie lag. Und streng genommen beginnt auch dort die Geschichte des Fürther Hauses.

Ungenierte Architekten

Zwar wurde den beiden Baukünstlern schon zu ihrer Zeit vorgeworfen, eher fließbandartig Architektur von der Stange zu liefern, in diesem einen speziellen Fall aber wurde es augenscheinlicher denn je, wie ungeniert sich die Herren Ferdinand Fellner und Hermann Helmer aus ihrem Baukasten bedienten. Im Jahr 1900 gaben sie in Czernowitz fertige Pläne für ein neues Theater ab, die der dortige Magistrat bestellt hatte. Die wurden zunächst auch angenommen, doch dann hatte die Stadt auf einmal kein Geld mehr und musste das ehrgeizige Vorhaben auf Eis legen.

Ein Rathaus im Doppelpack

© Hans-Joachim Winckler


Da kam den Planern der Ruf nach einer neuen Bühne aus Fürth gerade recht: Sie nahmen also die fertigen Czernowitzer Zeichnungen und realisierten das Haus erst einmal in Mittelfranken. 1902 wurde es in Fürth eröffnet; zwei Jahre später aber hatte man am östlichsten Zipfel des österreichischen Riesenreiches auf einmal wieder genügend Kronen — und kam auf den alten Auftrag zurück: Mit, gelinde gesagt, nur leichten Variationen stellten Fellner & Helmer völlig skrupellos den Czernowitzern ihr lang ersehntes Kulturhaus hin, das es fortan also zweimal gab.

Wie sich nun herausstellt, muss Fürth nicht nur sein Theater mit einer anderen Stadt „teilen“. Denn auch das Rathaus, jenen Pracht-Palazzo in florentinischem Stil, gibt es (abgesehen von Florenz selbst natürlich) in ähnlicher Form noch einmal auf der Welt: Im polnischen Opole (130000 Einwohner), dem ehemaligen Oppeln im einstigen Oberschlesien, nämlich steht ein Repräsentationsbau, der aus einigen Perspektiven heraus betrachtet dem Fürther Gebäude zum Verwechseln ähnlich sieht.

Wie in Fürth wurde auch in Opole der ursprüngliche Baukörper mehrmals erweitert. In Mittelfranken war man mit dem Gebäude in seiner wesentlichen Form 1850 fertig, 14 Jahre später dann auch in Schlesien. Fortan zeigten in beiden Orten die markanten Türme als Wahrzeichen in die jeweiligen Himmel. Architekturhistorisch freilich passten sie weder in diese noch in jene mitteleuropäische Stadt.

Der Fürther Bau blieb über Jahrzehnte hinweg unzerstört, wohingegen das Oppelner Pendant 1934 in Folge von Bauarbeiten, die zu einer Schwächung der Statik führten, einstürzte. Beim letzten großen Umbau wurden ab 1933 Kramläden entfernt, die über Jahrhunderte am Rathaus angebaut waren. Der Wiederaufbau war 1936 abgeschlossen. Die heutige Gebäudeform geht auf einen Umbau zwischen 1818 und 1821 zurück. Damals erhielt das Rathaus einen Nordflügel, eine schwalbenschwanzförmige Attika sowie Arkaden im Erdgeschoss.

Mag der Turm in Opole etwas imposanter erscheinen, reicher und verspielter gegliedert, so gleichen sich doch die beiden eigentlichen Baukörper in ihrer mächtigen, langgestreckten Form verblüffend. Umrahmt werden sie hier wie dort von schönen Altbauten — und ragen doch in ihrer steinernen Wucht ehrfurchtsheischend, wie es sich für einen Regierungssitz nun einmal gehört, aus dem Stadtbild heraus.

Im Unterschied zu den identischen Theatern allerdings stammen die Rathäuser nicht von den selben Architekten. Gemeinsam war den Baukünstlern mit dem Hang zum Plagiat lediglich die Liebe zur italienischen Architektur. Und den Auftraggebern die Überzeugung, dass der Rückgriff auf florentinische Pracht wohl auch ein wenig die eigene Macht (und Autorität) zu untermauern imstande sein könnte.

Das sind aber wahrscheinlich auch schon die einzigen Berührungspunkte zwischen den beiden 670 Kilometer auseinander liegenden Städten. Denn nicht ermittelt werden konnte von hier aus, ob auch Opole die Konturen seines Rathauses mittels unzähliger Glühbirnchen regelmäßig zum Erstrahlen zwingt.

„Geisterschiff von Ohio“

Kaum vorstellbar jedoch, dass es irgendwo auf der Welt außerhalb von Volksfesten nochmal ein ähnlich illuminiertes weltliches Gebäude gibt wie das in Fürth, das der ehemalige städtische Wirtschaftsreferent Peter Iblher übrigens in seiner leuchtenden Herrlichkeit einst garstig mit einem „Geisterschiff von Ohio“ verglich.

Das war in den 1980er Jahren, und der Referent setzte damals alles daran, den Lichtschalter am Rathaus umzulegen. Beinahe wäre ihm das auch gelungen, denn die Abschaltung der einzigartigen Beleuchtung stand bereits auf der Tagesordnung einer Stadtratssitzung.

Da initiierten die Fürther Nachrichten eine Leserumfrage – und eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung sprach sich für die Beibehaltung der Birnen-Variante (anstatt einer dezenteren Anstrahlung) aus. Ein furioses Plebiszit, das seitdem sichtbar ins Land blinkt. Vielleicht nicht bis nach Oppeln, aber bis weit hinter Poppenreuth immerhin...