Ein Stück Urwald in jeder Stadt

29.1.2014, 19:30 Uhr
Ein Stück Urwald in jeder Stadt

© Hans Winckler

"Der Volksfeind? - bin ich!“ erkennt die eine. Oder ist es doch der Mann mit „Vollbart, dunklem Haar, düsterem Blick“, der eine große Tasche auf dem Bahnsteig abstellt und sich davon macht? Andererseits könnte sich freilich auch der als „Volksfeind“ enttarnen, der sich „ein Stück Urwald in jeder Stadt wünscht und Fußwege breiter als Straßen. . .“

Viele Einfälle, spannende Texte. Der erste Schreibwettbewerb am Stadttheater, den Theaterpädagoge Johannes Beissel organisierte, stieß auf ein breitgefächertes Echo. Gedichte, Prosa, sogar der Entwurf eines Stücks wurden eingesandt. Vorgegeben waren lediglich das Thema und die Begrenzung auf eine maximale Zahl von 4500 Zeichen. Eine Jury, zu der der Schriftsteller Ewald Arenz, Werner Müller, Intendant und Regisseur der aktuellen „Volksfeind“-Inszenierung, und ein Vertreter der FN gehörten, wählte aus und entschied sich einstimmig für die Arbeit von Brigitte Stenzhorn.

Bei der Lesung im Nachtschwärmer-Foyer direkt unter dem Dach des Stadttheaters machte Stadttheater-Dramaturg Matthias Heilmann die Zuhörer mit der Gewinnerin bekannt und berichtete, dass sie sich 2010 an der Schreibwerkstatt im Rahmen des Brückbau-Projekts des Theaters beteiligt hat. Ihr Text „Die Angst vor Volksfeinden“ wird in den Fürther Nachrichten im Rahmen der literarischen Serie „Fürther Freiheit“ am 18. Februar gedruckt werden. Was sie auf die Idee zu ihrer Auseinandersetzung mit dem brisanten Thema brachte, verriet die 53-Jährige, bevor sie ihre Arbeit vortrug: „Mein Mann hat mir eine Statistik vorgelesen, wonach mehr Menschen vom Blitz erschlagen, als von Terroristen ermordet werden.“

Die Autoren der acht weiteren Beiträge, die ebenfalls nach intensiver Auseinandersetzung aus den Einsendungen ausgesucht worden waren, bewiesen mit ihren Gedanken nicht zuletzt eines deutlich: Henrik Ibsens Schauspiel hat in den 130 Jahren seit seiner Entstehung nichts von seiner Brisanz verloren. Das Stichwort „Volksfeind“ setzt nach wie vor Assoziationen frei, die ohne Umwege am Tenor des Stückes anknüpfen.

Freund und Feind

In den Tagen der Enthüllungen eines Edward Snowden reichen allerdings schon einmal drei Buchstaben aus, um ein weites Feld abzustecken: „NSA“ überschreibt Norbert Autenrieth sein Gedicht, in dem er folgerichtig um die „Freiheit der Gedanken“ fürchtet. Ruth Lenz-Tichai setzt in ihrer poetischen Auseinandersetzung mit dem Titel „in mir“ dem Feind den Volksfreund gegenüber und erkennt: „Wir sind EIN Volk auf dieser einen Erde“. „Politiker, Banker und Manager“ rücken bei Margit Begiebing in den Fokus. Sie schließt die Frage an: „Und wir, das Volk von Individualisten, können wir uns selbst zum Feind werden?“ Vera C. Koin setzt sich mit feinsinniger Ironie mit der Frage auseinander und lässt Hintergründiges aufleuchten. Durch die Jahrhunderte folgt Felizitas Handschuch („Der Volksfeind? – bin ich!“) dem Phänomen und erkennt verwandte Seelen in jeder Zeit. Einen ähnlichen Ansatz wählt Petra Jacoby („Damals wie heute“), die eine einfühlsame Geschichte von der Mobilmachung vor dem Ersten Weltkrieg erzählt.

Mit 17 Jahren ist Enes Cakirgöz der Jüngste unter den Teilnehmern. Respekt allein schon dafür, wie der Schüler seine Aufgabe vor dem Publikum meistert. Sein Text ist kurz und gewitzt: „...wie es weiter geht, weiß keiner. Angie sims du mal heiter weiter.“

Dank Ernst Ludwig Vogel bekommt der „Volksfeind“ schließlich noch fränkisches Format. Sein Gedicht „Bedenken“ sinniert über den täglichen „Handkandnschlooch middnai“ auf die „Soofakissli“. Vogel schließt seine Zeilen furchtlos: „von an echdn vollgsfeind binni obbä wooscheins meilnweid wech. Moui nu droo ärrbän. Wädd scho wänn.“

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