Experte: "Demenzkranken kann es gut gehen"

17.9.2019, 11:00 Uhr
Experte:

© Sebastian Bozon/AFP

Herr Professor Lang, was ist Demenz eigentlich?

Demenz ist vor allem ein sehr weites Feld. Eine einfache Antwort auf die Frage gibt es nicht, weil die Demenz viele, auch verschiedene Krankheiten umfasst. Gemeinsam haben sie, dass es sich um neuro-degenerative Erkrankungen des Gehirns handelt.

Experte:

© Karen Köhler

Das heißt, dass sich das Gehirn abbaut?

Es ist eher so, dass zentrale Leit-Funktionen des Gehirns beeinträchtigt werden. Das wirkt sich auf viele Aspekte des Alltagsverhaltens aus. Zunächst besonders auf die geistigen Fähigkeiten. Zum Beispiel haben Betroffene eine schlechte Orientierung bezüglich Zeit und Ort. Und sie können sich Neues nicht gut merken. Die bekannteste Demenzform ist die Alzheimer-Erkrankung. Sie gilt am bedrohlichsten, weil ihre Ursachen unbekannt sind und sie daher nicht geheilt werden kann.

Was weiß man denn über Alzheimer?

Was man sehen kann, ist, dass das Gehirn nach dem Tod meist stark geschrumpft ist. Die graue Substanz nimmt ab. Die Hohlräume, die bei allen Menschen vorhanden sind, wachsen deutlich und es kommt zu einer Ablagerung schädlicher Eiweiße. Dennoch gibt es in der Medizin aber kein präzises Krankheitsbild von Alzheimer. Die Forschung befindet sich in einer Sackgasse. Einige Pharmafirmen haben in diesem Jahr sogar ihre Studien eingestellt. Es darf aber nicht sein, dass die Grundlagenforschung nicht mehr weitergeht.

Wie wahrscheinlich ist es, an Demenz zu erkranken?

Auch hier haben wir bislang keine genauen Zahlen. Aufgrund von Schätzungen nehmen wir an, dass rund sieben von hundert Menschen über 60 Jahre an einer Demenz erkranken. Das sind in Deutschland etwa 1,7 Millionen Menschen. Für Bayern geht man von rund 250.000 Erkrankten aus.

Sie beschäftigen sich mit der sogenannten "Demenz-Angst". Was ist das?

Wenn wir nicht wissen, wie eine Krankheit entsteht und wie wir das verhindern können, müssen wir zumindest lernen, damit umzugehen. Dazu forschen auch wir an der FAU. Wir fragen uns: Wie können wir dafür sorgen, dass die Menschen eine realistische Einschätzung der Krankheit entwickeln? Wenn die Angst vor Demenz groß ist, könnte schon der erste Verdacht, selbst betroffen zu sein, entmutigen und Depressionen hervorrufen. Manchmal bringen sich Menschen deswegen sogar um, wie etwa Gunter Sachs vor einigen Jahren.

Wieso haben wir so viel Angst vor Demenz?

Das hat vermutlich auch mit der ausweglosen Darstellung in den Medien zu tun. Und auch mit den eigenen Erfahrungen bei Angehörigen. Ein Problem ist aber die schlechte Versorgung. Eine bekannte Studie aus Heidelberg, die sogenannte HILDE-Studie zur Lebensqualität bei Demenz-Erkrankungen, konnte zeigen: Demenzkranken kann es bei optimaler Versorgung gut gehen.

Wie sieht die optimale Betreuung aus?

Die zentralen Faktoren sind Zeit, Zuwendung, Nähe und eine gute pflegerische Versorgung. Es hat sehr viel mit der Qualität der Betreuung auf Beziehungsebene zu tun. Ein neues Konzept sind Demenz-Dörfer, in denen Erkrankten eine hohe Lebensqualität ermöglicht wird. Erste Studien zeigen, dass das funktioniert.

Gibt es bei uns in Bayern Einrichtungen mit sehr hohen Standards?

Es gibt Einrichtungen mit guten spezifischen Angeboten für Demenzkranke. Beispielsweise von der Diakonie. Optimal ist das alles aber noch nicht, da man unter den gesetzlichen Rahmenbedingungen nur Leistungen bereitstellt, die die Krankenkassen übernehmen, und das ist oft zu wenig.

Was kann ich tun, wenn ich vermute, dass ein Angehöriger Demenz hat?

Bei einem Verdacht ist es ganz wichtig, Mut zu machen und auf eine Abklärung durch Fachärzte zu drängen. Ein großes Problem ist leider, dass die Diagnose oft erst spät kommt. Manche Demenzformen könnte man aber sogar behandeln oder zumindest aufhalten. Die Diagnose ermöglicht es, sich frühzeitig auf ein Leben mit Demenz einzustellen.

Und wie gehe ich emotional am besten mit der Diagnose um?

Das ist die große Frage. Es ist ja nicht die Demenz alleine, sondern das Alter insgesamt, das Angst macht. Viele Menschen wehren den Gedanken ans Altwerden ab. Wir halten das für falsch. Es ist gut, sich damit auseinanderzusetzen, um eine positive Haltung zu gewinnen.

Ich kann sicher auch vorbeugend etwas tun, oder?

Klar. Abwechslungsreiche Bewegung, gute Ernährung und viele gute soziale Kontakte.

Inwiefern helfen soziale Kontakte?

Sie sind im Grunde das Wichtigste. Gute Beziehungen und ein aktives soziales Leben unterstützen einen gesunden Lebensstil. Außerdem regen sie das Gehirn zur neuronalen Aktivität an. Wir konnten beispielsweise in unseren Studien zeigen, dass Malen, Musik-Machen und andere kreative Tätigkeiten helfen - vor allem dann, wenn man sie mit anderen zusammen macht. Soziales Beisammensein fördert das Hirn und die Synchronisierung neuronaler Aktivitäten.

Was bedeutet das?

Wenn beispielsweise zwei Menschen miteinander musizieren, kann man beobachten, dass sich ihre Hirnaktivitäten angleichen. Das passiert im Kleinen sogar schon, wenn sich zwei Menschen in die Augen sehen. In beiden Hirnen kann man dann eine spiegelartige Aktivität finden. Diese Synchronisierung verbessert wiederum die neuronale Aktivität.

Dann stimmt das Sprichwort, dass man auf einer Welle mit jemandem ist. Wie funktioniert das Gehirn generell im Alter?

Das Gehirn kann sich noch bis ins höchste Alter verändern. Es verliert nie völlig die Fähigkeit, sich zu regenerieren. Das beobachten wir zum Beispiel bei Schlaganfall-Patienten, wenn Teile des Gehirns abgestorben sind. Nach einiger Zeit sind die Funktionen wiederhergestellt.

Wichtig sind also zwei Dinge: gesund leben und die Hoffnung nicht aufgeben?

Man kann sich um positive Deutungen bemühen. In dem, was uns widerfährt, können wir oft etwas finden, das ermutigt und uns Kraft gibt, weiterzumachen. Es ist aber wichtig, sich dafür Zeit zu nehmen und auch Hilfe von anderen anzunehmen.

Klingt aber anstrengend.

Furchtbar anstrengend sogar. Aber es gibt eben nichts Gutes, außer man tut es, wie Erich Kästner schon sagte.

1 Kommentar