Familienkonflikte: Die Nöte werden jetzt am Telefon gelindert

26.4.2020, 16:00 Uhr
Familienkonflikte: Die Nöte werden jetzt am Telefon gelindert

© Foto: Julian Stratenschulte/dpa

In der Fürther Erziehungsberatungsstelle ist momentan die Zeit der leisen Töne. Ihnen gilt es, vor allem am Telefon nachzuspüren. Die unausgesprochenen Worte aufzudecken, ein Schweigen richtig zu deuten. Denn dort, wo sich Beraterinnen und Hilfesuchende sonst gegenübersitzen, bleibt gerade nur der Griff zum Hörer. Dabei haben die Ausgangsbeschränkungen wegen der Corona-Pandemie vor allem in Familien einiges durcheinandergewirbelt.


Seelische Krisen in Zeiten von Corona: Wer hilft?


Das erfährt auch Agnes Mehl. Bei der Leiterin der städtischen Erziehungsberatung haben sich allein vergangene Woche vier neue Klienten gemeldet – mehr als normalerweise üblich. Die Probleme, mit denen sie kämpfen, sind vielschichtig.

Es gibt Eltern, die ihr Kind nun nicht mehr zu ihrem getrennt lebenden Partner lassen wollen, aus Angst vor Ansteckung. Oder die Sorge um die Großeltern, die vielleicht sogar im Heim leben und nicht besucht werden können. Für pubertierende Kinder kann die lange Zeit ohne Schule zur Herausforderung werden und manche Eltern fürchten, dass diese den Wiedereinstieg ins System nicht mehr packen.

Groß sind die Sorgen um die Existenz bei jenen, die selbstständig oder schon jetzt in Kurzarbeit sind. Auch die Kombination von Homeoffice und Kindern daheim birgt Sprengstoff. Und ganz besonders hart trifft die momentane Situation wohl jene, die schon vorher mit psychischen Problemen gekämpft haben und deren Aggressionen nun in blanke Gewalt umzuschlagen drohen.

All diese Menschen, die Unterstützung brauchen, Redebedarf haben und Lösungen suchen, sind momentan nur telefonisch oder per Videokonferenz zu erreichen. "Das ist schon eine Herausforderung", sagt Mehl. Sie selbst habe in den vergangenen Wochen aber auch viel dazugelernt – denn auch für sie und ihr neunköpfiges Team hat sich die Lage ja verändert.

Eine Runde im Südstadtpark

"Ich telefoniere jetzt viel intensiver", sagt Mehl. Während Telefonate früher nur kurz waren und hauptsächlich dazu dienten, neue Termine zu vereinbaren, frage sie nun viel häufiger nach und achte auch auf die Geräusche im Hintergrund. Wenn sie das Gefühl hat, dass es doch einen persönlichen Austausch braucht, hat sie auch schon mal Treffen im Südstadtpark vereinbart und bei einem Spaziergang mit dem gebotenen Abstand ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht geführt.

Auch das fünfköpfige Team der Erziehungs-, Jugend- und Familienberatungsstelle der Diakonie für den Landkreis Fürth hat auf Telefonberatung umgestellt. Seit dieser Woche besteht zusätzlich die Möglichkeit einer Online-Beratung. Schon länger habe man daran gearbeitet, sagt Leiterin Elisabeth Breer. Die Corona-Krise habe nun zu einer schnelleren Umsetzung geführt.

"Viele bringt die Situation an den Rand der Belastbarkeit"

Genutzt wird die Online-Kommunikation derzeit ebenso wie die telefonische Beratung. Auch wenn das den persönlichen Austausch nicht ersetze, ist Breer froh, Familien wenigstens auf diesem Weg Unterstützung zukommen lassen zu können. "Viele bringt die derzeitige Situation an den Rand der Belastbarkeit", sagt die Diplom-Psychologin. Aber auch sie und ihr Team merken, dass sie an Grenzen stoßen.

"Einer Alleinerziehenden im Homeoffice mit kleinen Kindern den Rat zu geben, Grenzen in der Erziehung zu setzen, das ist schon fast höhnisch", sagt sie. Deshalb versucht sie inzwischen ihren Klienten zu vermitteln, dass es ganz normal sei, überfordert zu sein; trotzdem müsse man sich man auch dafür loben, im Angesicht aller Widrigkeiten halbwegs zurecht zu kommen.

Ein Rückzugsort ist wichtig

Außerdem rät sie, dass jedes Familienmitglied die Möglichkeit haben sollte, sich irgendwo zurückzuziehen – und sei es nur auf die Toilette.

Noch hat die Zahl der Hilfesuchenden bei der Diakonie nicht signifikant zugenommen. Breer glaubt aber, dass sich dies noch ändern wird – zumal die Schulen nun noch länger geschlossen bleiben.

Noch gab es weder bei ihr noch bei ihrer Kollegin in der städtischen Erziehungsberatung einen solch gravierenden Fall, dass das Jugendamt zu Hilfe gerufen werden musste. Das ist etwa dann nötig, wenn das Kindeswohl gefährdet ist. Solche Familien werden vom Jugendamt bzw. den von ihm beauftragten freien Trägern engmaschig betreut – im Normalfall mit Hausbesuchen, oft mehrmals in der Woche. Auch sie sind momentan nicht möglich; höchstens in absoluten Ausnahmefällen und dann mit den entsprechenden Hygienevorschriften, sagt Gerald Karl.

Nachbarn sollten aufmerksam sein

Allerdings könnten betroffene Familien einen solchen Zugang zur Zeit sogar verweigern. Bislang, so der Leiter der Sozialen Dienste in Fürth, sei man aber mit wöchentlichen Telefonaten und Videokonferenzen ausgekommen. Gerade über Letztere könne man auch ganz gut im Blick haben, wie es den Kindern geht, so Karl.

Als besonders schwierig empfindet auch er die derzeitige Situation – nicht zuletzt, weil Kontrollmechanismen wie Kitas, Schulen oder Horte fehlen, wo Unregelmäßigkeiten sonst schnell auffallen. Nun sind es vor allem Nachbarn oder Familienangehörige, die ein besonders wachsames Auge haben sollten.

Rund 170 Familien mit etwa 350 Kindern bekommen momentan Unterstützung von der Familienhilfe des Jugendamts, darüber hinaus werden etwa 100 Kinder und Jugendliche regelmäßig beraten. Karl glaubt, dass diese Zahl wegen der Corona-Krise noch steigen wird, wenn dann die Folgen der Pandemie zum Tragen kommen, etwa in Form von Kurzarbeit oder gar Arbeitslosigkeit.


Hier gibt es Hilfe: 

Fürther Familien, die Unterstützung brauchen, können die städtische Erziehungsberatung anrufen. Sie ist unter der Rufnummer (09 11) 974 19 42 von Montag bis Donnerstag von 8.30 bis 12 und von 13.30 bis 16.30 erreichbar, am Freitag von 8.30 bis 12 Uhr.

Für den Landkreis ist die Erziehungs-, Jugend- und Familienberatungsstelle der Diakonie zuständig. Erreichbar ist sie unter der Telefonnummer (09 11) 749 33 35 von Montag bis Freitag von 9 bis 12 und 13 bis 16 Uhr (freitags nur vormittags). Unter www.diakonie-fuerth.de/beraten/erziehungsberatung/ gibt es unter dem Link Online-Beratung die Möglichkeit, eine vertrauliche Anfrage zu stellen.

Außerhalb dieser Öffnungszeiten gibt es den Krisendienst Mittelfranken. Unter (09 11) 42 48 550 ist er täglich von 9 bis 24 Uhr besetzt.

Kinder und Jugendliche können sich bei Problemen an die Nummer gegen Kummer wenden; sie lautet 116 111. Eine Online-Beratung ist unter www.nummergegenkummer.de möglich. Eltern bekommen unter der Telefonnummer (0800) 111 0 550 Hilfe.

Außerdem steht die Telefonseelsorge unter den Rufnummern (0800) 111 0 111 oder (0800) 111 0 222 bereit.

Schwangere und Familien mit Kindern bis zu drei Jahren beraten die Koki Frühen Hilfen der Stadt. Erreichbar ist die Koki von Montag bis Freitag von 8.30 bis 10 Uhr oder nach Vereinbarung unter den Rufnummern (09 11) 974 15 69 oder 974 1502 sowie über die Kinderarche/FUN- Familien-Unterstützungs-Netzwerk unter der Nummer (09 11) 23 95 66 93 oder -91.

Unterstützung als Familie, Hilfe bei Erziehungsfragen, bei Trennungen oder Scheidungen, persönlichen Notsituationen oder bei Beratungsbedarf hinsichtlich der Entwicklung von Kindern gibt das Team des Bezirkssozialdienstes der Stadt Fürth. Es ist erreichbar von Montag bis Donnerstag von 8.30 bis 16 Uhr sowie am Freitag von 8.30 bis 13 Uhr unter der Rufnummer (09 11) 974 1971 oder per Mail an sozialdienste@fuerth.de 

 

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