Farbenspiel weicht fiesem Braun

9.9.2018, 10:00 Uhr
Farbenspiel weicht fiesem Braun

© Foto: Markus Kohler

"Deutschland, Deutschland, über alles": So provokant beginnt Sarah Nürnberger ihren Text, in dem sie ihr Heimatland fragt, was eigentlich passiert sei – mit dem Bunt, den Farben, die sich mittlerweile vermischt hätten zu einem Braun. "Es war ein Farbenspiel aus Kontrasten. Farben, die sich bissen, aber dennoch zusammenpassten."

Am Ende steuert sie allerdings auch einen – den einzigen – witzigen Text zu den "Dachgeschichten" bei, die knapp 130 Zuhörer auf die Terrasse locken. Ansonsten beschränkt sich die in Fürth aufgewachsene und mittlerweile in München lebende Mittelschullehrerin ebenso wie ihre literarische Kollegin an diesem Abend auf politische Texte.

Die Gesellschaft sei von mehr oder weniger offenem Rassismus durchzogen, stellt die aus Nürnberg stammende Hamburgerin Meera Theunert in einem Text fest. Auch sie trage ein Rassismus-Erbe mit sich herum, das etwa in Assoziationen hervorbreche: "Solange ich mich in meiner halbwegs aufgeklärten, linksliberalen bis linksradikalen sozialen Blase befinde, stoße ich aber selten auf dieses Erbe."

In einer sehr persönlichen Erzählung, inspiriert von einem Studienaufenthalt in Burkina Faso, schildert sie, wie sie sich ihrer Rolle als weiße "Heilsbringerin" unter Farbigen bewusst geworden sei. Anfragen um Privatkredite bis hin zu Heiratsanträgen hätten ihre "Rolle als Superreiche" untermauert. Theunert: "Mein anfängliches Schuldgefühl wandelte sich in eine Abwehrhaltung, ich witterte hinter jeder neuen Kontaktaufnahme eine Geldforderung."

Seltsame Debatte

Verstörend glaubhaft gerät auch ihr Bericht über eine Diskussion in einem Tabakwarenladen – ob denn die farbige Figur im Schaufenster nicht entfernt gehöre? "Das ist der Mohr, der steht da schon sehr mehr als 100 Jahren", habe die Verkäuferin geantwortet. Gegenfrage: Ob man sich der Rolle der farbigen Weltbevölkerung beim Tabakanbau anno 2018 bewusst sei. Dass man "in einer komischen Zeit" lebe, bemerkt Moderator Immanuel Reinschlüssel, beeindruckt und überrascht von der politisch-gesellschaftskritischen Dimension des Abends. "Deswegen ist es gut, wenn man das mal in so einem Rahmen thematisiert." Reinschlüssel veranstaltet den Abend gemeinsam mit Schreibpartner Robert Segel, Poetry-Slammerin Lara Ermer und der Volksbücherei.

Die 24. Auflage der monatlichen Reihe markiert zugleich deren zweiten Geburtstag. Den Moderator freut’s, dass aus der einfachen Idee — junge Literatur und junge Musik aus der Region — eine etablierte Veranstaltung mit konstant hoher Besucherzahl geworden ist: "Leute, die nicht mehr kommen, werden stets durch neue ersetzt."

Musikalisch machte sich das Gitarrenduo We Brought A Penguin ans Werk. Für den nächsten Termin (4. Oktober, 19:30 Uhr) angekündigt sind die Poetry-Slammer Olivia Mruczynski und Barbara Gerlach, für Musik auf der Akustikgitarre soll Alex Boldin sorgen.

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