Früher ein eigener Staat: Was Wilhermsdorf Gästen bietet

17.8.2018, 11:00 Uhr
Früher ein eigener Staat: Was Wilhermsdorf Gästen bietet

© Foto: Hans-Joachim Winckler

Es ist gerade Urlaubszeit, Frau Marschall, habe Sie da eigentlich alle Hände voll zu tun?

Heike Marschall: Im Sommer ist zwar mehr los als im Winter, aber mit der Ferienzeit hat das nichts zu tun. Wilhermsdorf ist ja keine klassische Urlaubsregion.

 

Braucht eine Gemeinde wie Wilhermsdorf wirklich eine Gästeführerin?

Marschall: Das haben sich sicher viele gefragt, als der damalige Bürgermeister Harry Scheuenstuhl jemanden für diese Aufgabe gesucht hat. Aber ich sage Ja. In den vergangenen acht Jahren habe ich immerhin insgesamt 70 Führungen gemacht.

 

Wilhermsdorf hat aber weder eine Veste inklusive Burgerlebnismuseum noch ein Kloster oder gar ein Schloss.

Marschall: Wer mir mit so etwas kommt, dem sage ich: Wir waren immerhin bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein selbstständiger Staat mit Hoher Gerichtsbarkeit sowie den Burgmilchlingtalern als eigener Währung und gehörten weder zum Machtbereich der Nürnberger oder Ansbacher noch Heilsbronner. Wären Napoleon und die Franzosen nicht gewesen, wären wir heute vielleicht so etwas wie Monaco. Erst 1806 ist Wilhermsdorf mit dem Ansbacher Land Bayern zugeschlagen worden.

 

Immerhin gab es einmal ein Schloss.

Marschall: Von dem zeige ich alte Fotos, denn es wurde Ende des 19. Jahrhunderts abgebrochen. Der Schlosshof ist noch zu sehen und die Teichlandschaft war da, wo sich heute der gepflasterte Park & Ride-Platz und der Festplatz befinden.

 

Bei Ihnen gibt es Wilhermsdorf in 45 Minuten. Wo führen Sie die Besucher hin?

Marschall: Vom ehemaligen Schloss-Areal geht es zum Brauhaus und der evangelischen Hauptkirche, dann weiter zum Ritterhaus und der alten Schule. Ich zeige den Gästen das Rathaus, die Spitalkirche und das Spital – hier erwartet die Besucher etwas Besonderes.

 

Und das wäre?

Marschall: Das Spital wurde 1716 im Auftrag der Gräfin Franziska Barbara von Hohenlohe für Arme, Alte und Gebrechliche gebaut. Es ist eines der ältesten Gebäude in Wilhermsdorf und heute noch bewohnt. Ich darf dort den Gewölbekeller zeigen. Wenn man die Tür aufsperrt und hineingeht, fühlt man sich 300 Jahre zurückversetzt.

 

Besuchen Sie auch die Hauptkirche und den jüdischen Friedhof?

Marschall: Ich biete zwar keine spezielle Kirchenführung an, nach Absprache ist eine Besichtigung des Gotteshauses aber möglich. Der jüdische Friedhof wäre jedoch zu Fuß viel zu weit weg.

Wer kommt eigentlich und lässt sich von Ihnen die Perle Wilhermsdorf zeigen?

Marschall: Das ist total verschieden: Das sind beispielsweise Gesellschaften anlässlich eines runden Geburtstags, es kommen auch viele Familien. Gruppen von Verbänden, Vereinen oder Schulen melden sich ebenfalls an. Die Frauen-Union habe ich schon geführt, auch Delegationen aus unseren Partnergemeinden. Oft sind es aber einfach Menschen, die sich für Wilhermsdorf und seine Geschichte interessieren.

 

Wie kamen Sie überhaupt dazu, sich für diese ehrenamtliche Aufgabe zu bewerben?

Marschall: Ich war von klein auf an Geschichte interessiert. Weil ich immer so viel gefragt habe, hat mein Vater Adolf Niederhöfer schließlich zwei Chroniken über Wilhermsdorf geschrieben. Meine Mutter hatte den Aufruf im Mitteilungsblatt gelesen und gesagt, da könne ich mich doch bewerben.

 

Wurden Sie für die Aufgabe speziell geschult?

Marschall: Es gab eine Mini-Ausbildung an einem Wochenende in Rothenburg. Ansonsten habe ich mir mein Wissen selbst angeeignet, viel gelesen und recherchiert. Dabei bin ich beispielsweise darauf gestoßen, dass die Gräfin Franziska Barbara von Hohenlohe eine Vorfahrin des belgischen Königshauses ist. Viel gelernt habe ich auch von Ludwig Götz, der leider inzwischen verstorben ist. Er hat tolle Führungen in unserer Hauptkirche gemacht und mir auch einen kleinen Trick verraten.

 

Welchen?

Marschall: Er kannte sich wirklich sehr gut aus, hat mir aber mit einem Schmunzeln gesagt: "Wenn ich einmal etwas nicht weiß, dann erfinde ich was."

Anmeldungen für Gästeführungen bei Heike Marschall unter Telefon (09102) 99 63 10.

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