Fürther Ärzte befürchten "schwere Kollateralschäden"

27.4.2020, 06:00 Uhr
Fürther Ärzte befürchten

© Foto: Hans-Joachim Winckler

1992 hat er sich Sohn in einer Praxis in Fürth niedergelassen, er fungiert als stellvertretender Leiter des Ärztenetzes Fürth (ÄNF), dem in Stadt und Landkreis rund 180 Haus- und Fachärzte angehören.

 

Herr Dr. Sohn, sonst hieß es immer, dass insbesondere ältere Leute zu oft und wegen jeder Kleinigkeit zum Arzt laufen. Was ist jetzt los in den Praxen?

Es kommen kaum noch Patienten.

 

Wenn die Wartezimmer leer sind, liegt das aber auch daran, dass Termine inzwischen konsequent nach telefonischer Rücksprache vergeben werden und der übliche Stau ausbleibt . . .

Sicher, das ist ein Grund. Der andere aber ist, dass viele Patienten befürchten, sich mit dem Coronavirus anzustecken und deshalb Praxen meiden.

 

Die Leute sitzen also daheim und trauen sich nicht, zum Arzt zu gehen?

Ja.

 

Ist das eine Mutmaßung oder wissen Sie das?

Wir wissen, wer kommt und wer nicht. Und es fällt – quer durch alle medizinischen Disziplinen – auf, dass vor allem die chronisch Kranken fehlen, für die regelmäßige Untersuchungen wichtig sind. Bei Diabetikern, Lungenkranken, Bluthochdruck-, Tumor- oder Herzinfarktpatienten etwa müssen in jedem Quartal Kontrollen durchgeführt werden – von der Blutuntersuchung über das EKG bis zum Lungenfunktionstest.

 

Und wenn die ausfallen, wird es für manche dieser Menschen riskant . . .

Besonders gefährdet sind Herzpatienten. Wenn jemand mit Herzinfarkt aus Angst vor Corona nicht zum Arzt geht, wenn er etwa ein Engegefühl im Brustkorb ignoriert, kann das für ihn zur Katastrophe werden, er könnte sterben. Bei Diabetikern muss regelmäßig überprüft werden, ob die Medikamente richtig eingestellt sind. Unterbleibt das, kann das für den Betreffenden langfristig lebensbedrohlich sein.

 

Wie viele Patienten kommen an normalen Tagen in die Fürther Praxen und wie viele zurzeit?

Es gibt keine Statistiken. Aber nach Rücksprache mit meinen Kollegen kann ich sagen, dass mehr als die Hälfte der Patienten wegbleibt. Bei mir sind zuletzt sogar mehr als 80 Prozent der chronisch kranken Patienten nicht erschienen. Ich behandle üblicherweise vormittags und nachmittags je 30 Personen. Zurzeit sind es vielleicht zweimal zehn, mit denen vorab Termine vereinbart wurden. Dazu kommen telefonische Beratungen, zum Beispiel dann, wenn jemand befürchtet, sich mit dem Coronavirus infiziert zu haben. Wir besprechen dann die Symptomatik und gegebenenfalls bestelle ich den Patienten zum Abstrich ein.

 

Wie gewährleisten Sie, dass der Corona-Verdachtsfall auf niemanden trifft, der mutmaßlich nicht infiziert ist?

Wir vergeben solche Termine nur zu speziellen Tageszeiten und nehmen den Abstrich in Schutzausrüstung – momentan zumindest gibt es da in den Praxen keinen Mangel – in einem abgegrenzten Bereich der Praxis. Auch meine Kollegen trennen die Patientengruppen organisatorisch. Wie das geschieht, hängt oft von den örtlichen Gegebenheiten ab. Manche Ärzte schicken Corona-Verdachtsfälle zur Drive-Through-Teststation auf dem früheren Möbel-Höffner-Gelände, aber viele Leute aus der Innenstadt kommen dort nicht hin, weil sie kein Auto haben. Und Taxis, das habe ich mehrfach mitbekommen, lehnen Patienten mit diesem Fahrtziel ab.

 

Zurück zu den Patienten, die sich zurzeit nicht zum Arzt wagen. Wie nehmen Sie Ihnen die Angst vor dem Arztbesuch?

Ich kann chronisch Kranken, Herz- und Tumorpatienten nur dringend raten, den Haus- oder Facharzt ihres Vertrauens anzurufen und mit ihm das weitere Vorgehen zu besprechen. Dass man sich das Coronavirus beim Arzt einfängt, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Bei uns jedenfalls steht Desinfektionsmittel bereit, die Patienten können sich jederzeit die Hände waschen, und herein kommt man nur mit einem Mund-Nasen-Schutz. Weil die Corona-Pandemie länger bleiben wird, befürchten wir ansonsten schwere Kollateralschäden für die Gesundheit vieler Bürger.

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