Fürths alte Kinderklinik: 70er-Jahre-Charme und strenge Besuchsregeln

30.7.2016, 09:00 Uhr
Viele Eltern haben hier gebangt, gehofft und getröstet - von 1969 bis 1976 war das allerdings nur vom Balkon aus möglich. Die strengen Besuchsregeln der alten Fürther Kinderklinik sind vielen in Erinnerung geblieben.  Wir blicken auf die Geschichte dieses Hauses zurück.
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Viele Eltern haben hier gebangt, gehofft und getröstet - von 1969 bis 1976 war das allerdings nur vom Balkon aus möglich. Die strengen Besuchsregeln der alten Fürther Kinderklinik sind vielen in Erinnerung geblieben. Wir blicken auf die Geschichte dieses Hauses zurück. © Meyer

Generationen von Eltern und Kindern sind mit dem Haus verbunden, dessen letzte Spuren bald verschwunden sein werden: In nur einer Woche hat der Abrissbagger bereits einen Großteil des Gebäudes abgetragen. Mit dem Abbruch wird hier Platz für eine psychiatrische Klinik des Bezirks Mittelfranken geschaffen.
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Generationen von Eltern und Kindern sind mit dem Haus verbunden, dessen letzte Spuren bald verschwunden sein werden: In nur einer Woche hat der Abrissbagger bereits einen Großteil des Gebäudes abgetragen. Mit dem Abbruch wird hier Platz für eine psychiatrische Klinik des Bezirks Mittelfranken geschaffen. © Hans-Joachim Winckler

So sah die Kinderklinik einmal aus - hier nachgebaut im Mini-Format für ein Modell des Krankenhauses. Die Balkone, die rundherum führten, erfüllten eine wichtige Aufgabe. Sie ermöglichten überhaupt erst den "Besuch" der kleinen Patienten...
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So sah die Kinderklinik einmal aus - hier nachgebaut im Mini-Format für ein Modell des Krankenhauses. Die Balkone, die rundherum führten, erfüllten eine wichtige Aufgabe. Sie ermöglichten überhaupt erst den "Besuch" der kleinen Patienten... © Hans-Joachim Winckler

Als modern und elegant wurde der Bau bei seiner Einweihung im Januar 1969 gelobt - umstritten war er dennoch sofort.
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Als modern und elegant wurde der Bau bei seiner Einweihung im Januar 1969 gelobt - umstritten war er dennoch sofort.

Zuvor wurden Fürther Kinder im Kinderspital in der Theresienstraße behandelt, das längst nicht mehr zeitgemäß war. Frisch operierte Kinder etwa mussten dort mangels Aufzug von Schwestern in den ersten oder zweiten Stock getragen wurden. Es war also Zeit für eine neue Kinderklinik - und zwar auf dem Gelände des städtischen Krankenhauses.
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Zuvor wurden Fürther Kinder im Kinderspital in der Theresienstraße behandelt, das längst nicht mehr zeitgemäß war. Frisch operierte Kinder etwa mussten dort mangels Aufzug von Schwestern in den ersten oder zweiten Stock getragen wurden. Es war also Zeit für eine neue Kinderklinik - und zwar auf dem Gelände des städtischen Krankenhauses. © privat

Drei Jahre lang wurde die Kinderklinik gebaut.
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Drei Jahre lang wurde die Kinderklinik gebaut. © privat

Es entstand ein für die damalige Zeit topmoderner Bau mit sieben Obergeschossen und den markanten Balkonen. Dass die Kosten auf 12,5 Millionen Mark stiegen, sorgte für Schlagzeilen und Kritik. Aber dabei blieb es nicht.
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Es entstand ein für die damalige Zeit topmoderner Bau mit sieben Obergeschossen und den markanten Balkonen. Dass die Kosten auf 12,5 Millionen Mark stiegen, sorgte für Schlagzeilen und Kritik. Aber dabei blieb es nicht. © privat

Der damalige Chefarzt Professor Dr. Reinhard Damerow hatte bei der Konzeption mitgewirkt. Mit strengen Besuchsregeln wollte er Keime von den Kindern fernhalten... Rasch prasselte heftige Kritik auf ihn ein, im März 1969 titelte die Abendzeitung: "Musterbeispiel oder ,Mord an Kinderseelen'?"...
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Der damalige Chefarzt Professor Dr. Reinhard Damerow hatte bei der Konzeption mitgewirkt. Mit strengen Besuchsregeln wollte er Keime von den Kindern fernhalten... Rasch prasselte heftige Kritik auf ihn ein, im März 1969 titelte die Abendzeitung: "Musterbeispiel oder ,Mord an Kinderseelen'?"...

Der AZ-Bericht: Die Trennung von den Eltern werde den Kindern lange seelische Qualen bescheren, befürchtete der Münchner Psychiater Dr. Gerd Biermann. Er sprach von einem "Musterbeispiel überholten Denkens". Chefarzt Damerow wies die Kritik zurück: Wer jemals gesehen habe, wie traurig ein Kind war, weil es wegen einer Ansteckung länger bleiben müsse, werde Verständnis haben.
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Der AZ-Bericht: Die Trennung von den Eltern werde den Kindern lange seelische Qualen bescheren, befürchtete der Münchner Psychiater Dr. Gerd Biermann. Er sprach von einem "Musterbeispiel überholten Denkens". Chefarzt Damerow wies die Kritik zurück: Wer jemals gesehen habe, wie traurig ein Kind war, weil es wegen einer Ansteckung länger bleiben müsse, werde Verständnis haben. © FN

Ende Januar 1970 berichteten die FN einmal mehr über die umstrittenen Balkone: "Wenn manche Mütter und Väter in der kalten Außenluft auch etwas frieren mussten, so erkannten sie doch einen weiteren Vorteil: Während sie auf dem Balkon von ihrem Kind nur durch eine Glasscheibe getrennt waren, hätten sie im Innenflur zwei Gläser und wegen der sanitären Vorräume eine Drei-Meter-Distanz in Kauf nehmen müssen." Für die frierenden Besucher wurden schließlich Heizstrahler montiert. Der Chefarzt war damals immer noch überzeugt von dem Konzept.
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Ende Januar 1970 berichteten die FN einmal mehr über die umstrittenen Balkone: "Wenn manche Mütter und Väter in der kalten Außenluft auch etwas frieren mussten, so erkannten sie doch einen weiteren Vorteil: Während sie auf dem Balkon von ihrem Kind nur durch eine Glasscheibe getrennt waren, hätten sie im Innenflur zwei Gläser und wegen der sanitären Vorräume eine Drei-Meter-Distanz in Kauf nehmen müssen." Für die frierenden Besucher wurden schließlich Heizstrahler montiert. Der Chefarzt war damals immer noch überzeugt von dem Konzept. © FN

1970 war nur an zwei Tagen pro Woche, Donnerstag und Sonntag, Besuch erlaubt, von 16 bis 17 Uhr (und natürlich vom Balkon aus).  Zu viele Besuche könnten starkes Heimweh auslösen, argumentierte der Chefarzt. Über eine Außensprechanlage konnten die Eltern immerhin mit ihren Kindern kommunizieren - wenn diese alt genug waren, das zu verstehen. Eine Leserin erzählt: Nachdem ihre einjährige Tochter ganz aufgeregt im Bett rumlief und nicht verstand, warum die Mutter nicht ins Zimmer kam, habe sie stets versucht, so nach dem Kind zu sehen, dass es sie nicht bemerkt.
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1970 war nur an zwei Tagen pro Woche, Donnerstag und Sonntag, Besuch erlaubt, von 16 bis 17 Uhr (und natürlich vom Balkon aus). Zu viele Besuche könnten starkes Heimweh auslösen, argumentierte der Chefarzt. Über eine Außensprechanlage konnten die Eltern immerhin mit ihren Kindern kommunizieren - wenn diese alt genug waren, das zu verstehen. Eine Leserin erzählt: Nachdem ihre einjährige Tochter ganz aufgeregt im Bett rumlief und nicht verstand, warum die Mutter nicht ins Zimmer kam, habe sie stets versucht, so nach dem Kind zu sehen, dass es sie nicht bemerkt.

Eine Mutter spricht über das Außentelefon mit ihrem Kind. Die strikten Maßnahmen sollten helfen, die Aufenthaltsdauer so kurz wie möglich zu halten. 1970 betrug sie im Schnitt 20,9 Tage - allerdings waren dabei "Langlieger" wie Frühgeborene und Tbc-Kranke eingeschlossen.
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Eine Mutter spricht über das Außentelefon mit ihrem Kind. Die strikten Maßnahmen sollten helfen, die Aufenthaltsdauer so kurz wie möglich zu halten. 1970 betrug sie im Schnitt 20,9 Tage - allerdings waren dabei "Langlieger" wie Frühgeborene und Tbc-Kranke eingeschlossen. © FN

Durch die Glasscheibe sahen die Eltern ihre Kinder in den Gitterbettchen. Strenge Hygieneregeln waren in jener Zeit übrigens auch an anderen Krankenhäusern üblich. Damit sich Windpocken etwa nicht verbreiteten, mussten auch die Ärzte die Zimmer von Windpocken-Patienten über den Balkon verlassen und dort erst mal fünf Minuten "auslüften". Nach anhaltender Kritik wurden die Besuchsregeln 1976 gelockert, Eltern durften nun ans Bett der Kinder. Die Besuchszeiten wurden allmählich ausgeweitet, ab 1984 übernachteten Eltern auch mit den Kindern im Krankenhaus.
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Durch die Glasscheibe sahen die Eltern ihre Kinder in den Gitterbettchen. Strenge Hygieneregeln waren in jener Zeit übrigens auch an anderen Krankenhäusern üblich. Damit sich Windpocken etwa nicht verbreiteten, mussten auch die Ärzte die Zimmer von Windpocken-Patienten über den Balkon verlassen und dort erst mal fünf Minuten "auslüften". Nach anhaltender Kritik wurden die Besuchsregeln 1976 gelockert, Eltern durften nun ans Bett der Kinder. Die Besuchszeiten wurden allmählich ausgeweitet, ab 1984 übernachteten Eltern auch mit den Kindern im Krankenhaus.

Sprung ins Jahr 2003: Nun war die einst so moderne Kinderklinik selbst in die Jahre gekommen. Im März 2003 zogen Ärzte, Schwestern und Patienten in den Neubau, der auf dem Krankenhaus-Areal entstanden war.
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Sprung ins Jahr 2003: Nun war die einst so moderne Kinderklinik selbst in die Jahre gekommen. Im März 2003 zogen Ärzte, Schwestern und Patienten in den Neubau, der auf dem Krankenhaus-Areal entstanden war. © Hans-Joachim Winckler

Schwestern bereiten die Frühchen für den Umzug vor.
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Schwestern bereiten die Frühchen für den Umzug vor. © Hans-Joachim Winckler

Ein Frühchen kommt in seinen neuen Brutkasten mit für die damalige Zeit hochmoderner Überwachungsmedizin.
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Ein Frühchen kommt in seinen neuen Brutkasten mit für die damalige Zeit hochmoderner Überwachungsmedizin. © Hans-Joachim Winckler

Über den unterirdischen Gang wurden die kleinen Patienten in den neuen Trakt gerollt.
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Über den unterirdischen Gang wurden die kleinen Patienten in den neuen Trakt gerollt. © Hans-Joachim Winckler

Einige Jahre war die alte Kinderklinik nun verwaist. Das änderte sich, als 2011 das Kunstprojekt "Clinc" die Räume nutzte.
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Einige Jahre war die alte Kinderklinik nun verwaist. Das änderte sich, als 2011 das Kunstprojekt "Clinc" die Räume nutzte. © Hans-Joachim Winckler

Die Künstler fanden Gefallen an den Räumlichkeiten, einige richteten daraufhin hier Ateliers ein.
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Die Künstler fanden Gefallen an den Räumlichkeiten, einige richteten daraufhin hier Ateliers ein. © Hans-Joachim Winckler

Das Klinikgebäude wurde nun auch für Übungen der Rettungshundestaffel oder des SEK genutzt.
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Das Klinikgebäude wurde nun auch für Übungen der Rettungshundestaffel oder des SEK genutzt. © Athina Tsimplostefanaki

2015 zogen die Künstler aus - der Abriss nahte. Monatelang wurde das Haus entkernt.
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2015 zogen die Künstler aus - der Abriss nahte. Monatelang wurde das Haus entkernt. © Thomas Scherer

Startsignal für den Abriss: Verantwortliche von Klinikum und Bezirk sowie Fürther Politiker zeigen sich bereit dafür, dass hier Neues entsteht.
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Startsignal für den Abriss: Verantwortliche von Klinikum und Bezirk sowie Fürther Politiker zeigen sich bereit dafür, dass hier Neues entsteht. © Thomas Scherer

Die Balkone werden als erstes abgenommen. Der Abriss schreitet überraschend schnell voran. Hier eine Aufnahme vom 13. Juli 2016.
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Die Balkone werden als erstes abgenommen. Der Abriss schreitet überraschend schnell voran. Hier eine Aufnahme vom 13. Juli 2016. © Horst Linke

Der Abriss ermöglicht noch einmal den Blick ins Innere: in leere Zimmer mit pastellfarbenen Wänden.
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Der Abriss ermöglicht noch einmal den Blick ins Innere: in leere Zimmer mit pastellfarbenen Wänden. © Horst Linke

Aufnahme aus der Luft: die verschwindende Kinderklinik und dahinter das Hauptgebäude des Klinikums.
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Aufnahme aus der Luft: die verschwindende Kinderklinik und dahinter das Hauptgebäude des Klinikums. © Richard Linz

Am 29. Juli ist nicht mehr viel übrig von der ehemaligen Kinderklinik, mit der so viele Fürther gute oder schlechte Erinnerungen verbinden.
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Am 29. Juli ist nicht mehr viel übrig von der ehemaligen Kinderklinik, mit der so viele Fürther gute oder schlechte Erinnerungen verbinden. © Hans-Joachim Winckler

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