Geh' in die große Stadt

30.11.2018, 16:00 Uhr
Geh' in die große Stadt

© Hans-Joachim Winckler

Der Heizstrahler auf der Empore wärmt tapfer gegen die Kälte an, die sich im Inneren der Auferstehungskirche noch um ein paar Grad unsympathischer anfühlt als draußen im grauen Nieselregen. Yulim Kim lässt sich von solchen Nebensächlichkeiten nicht beeindrucken. Die 28-Jährige beantwortet alle Fragen strahlend und so selbstverständlich, dass man nicken möchte und sagen "Ja, logisch, warum denn auch nicht?" Bis einem plötzlich die Erkenntnis dämmert, dass die Geschichte der jungen Koreanerin vieles ist – außer selbstverständlich.

Yulim Kim stammt aus einem kleinen Dorf im Landkreis Muan, ihre Eltern arbeiten in der Landwirtschaft. "Meine Mutter hat immer gesagt, geh‘ in die große Stadt und studiere", erinnert sie sich. In Südkorea, das sich innerhalb kurzer Zeit zu einer führenden Industrienation entwickelte, sei ein Studium für Schulabgänger fast schon selbstverständlich. Als sie zunächst nicht wusste, für welches Fach sie sich entscheiden soll, habe ihr Musiklehrer gesagt: "Schreib‘ dich doch für Komposition ein."

Für die damals 18-Jährige war das offensichtlich genau der richtige Tipp. "Ich wollte etwas lernen, was ich liebe." Wie aber war sie überhaupt in Kontakt mit Musik gekommen? Da waren zum einen die Klavierstunden, die sie als Kind bekam und zum anderen der Schulunterricht: "Dort haben wir sowohl traditionelle koreanische Musik kennengelernt, als auch Bach oder Mozart." Gesungen wurde auch. "O Tannenbaum", zum Beispiel, auf Koreanisch.

Trotzdem hörte Yulim Kim zunächst vor allem koreanische Pop-Musik – hierzulande hat der Musiker Psy vor ein Jahren mit seinem "Gangnam Style" den K-Pop bekannt gemacht. Das änderte sich, als sie auf einen Komponisten stieß, der für sie zum Idol wurde: "Beethoven hat mich sofort begeistert." Und dann folgt wieder einer dieser Sätze, die so ganz und gar nicht selbstverständlich sind: "Als Studentin dachte ich mir, wenn ich Beethoven so gerne mag, dann will ich auch seine Sprache und Kultur kennen lernen."

Beides hat die junge Frau längst verwirklicht. Sie spricht hervorragend Deutsch, gelernt hat sie das unter anderem bei einer Familie in Erlangen. Nach ihrem Bachelor-Abschluss an der Universität von Chonnam ging sie als Au-Pair-Mädchen nach Deutschland. Ihr erster Eindruck? "Es war wirklich so, wie ich es in Filmen gesehen hatte, ein bisschen wie im Märchen", gesteht sie lachend. In einer Klinik absolviert sie ein Freiwilliges Soziales Jahr, 2014 kann sie dann an der Musikhochschule in Nürnberg bei Vivienne Olive ihr Kompositionsstudium fortsetzen, das sie vor zwei Jahren mit dem Master abschloss.

In Nürnberg erfüllte sich für die junge Musikerin auch eine Vorstellung, von der sie in Korea bloß gehört hatte: "Ich kannte es nicht, dass man als Student dem Professor auch einmal widersprechen und über seine Meinung diskutieren kann", erklärt sie. In ihrer Heimat ginge es streng hierarchisch zu. Nicht nur den Dozenten, sondern auch den Studenten aus höheren Semestern müsse man fraglos folgen. Ein "echter Schock" sei für sie die Vorbereitung auf einen erster Konzertabend in Nürnberg gewesen: "Der Professor hat mit uns die Stühle zurecht gerückt – so etwas ist in Korea undenkbar." Fast ein bisschen peinlich sei ihr diese Hilfe im ersten Moment gewesen.

Mittlerweile lebt Yulim Kim als freischaffende Komponistin seit drei Jahren in Fürth. Am Samstag werden in der Auferstehungskirche zwei Werke von ihr zum ersten Mal aufgeführt. Die Texte stammen jeweils von Michael Herrschel: "Siebenmeilenstiefel & ein Saltarello" ist eine musikalische Zeitmaschine, die vor 1200 Jahren anno 818 startet. "Atalja", die einzige allein regierende Frau im Verzeichnis hebräischer Könige, von deren Schicksal in der Bibel zu lesen ist, steht mit einer glühenden Verteidigungsrede im Mittelpunkt des zweiten Stücks.

Heimweh ist kein Stichwort für Yulim Kim, das Leben in Fürth gefällt ihr. Und fränkisches Essen? "Schäuferla und Fürther Bier, also Grüner, das schmeckt mir", bekennt sie und muss wieder lachen. Genießen kann sie aber vor allem ein bislang unbekanntes Gefühl: Muße. "In Korea ist alles sehr schnell und du musst immer arbeiten, sonst sagen alle, du bist faul." Einfach in Ruhe nachdenken oder durch den Park spazieren, das ist ungewohnt für die 28-Jährige. Sie hat erfahren: "In Deutschland kann ich mir auch einmal Zeit für mich nehmen. Das tut gut."

55. Fürther Kirchenmusiktage: "Umbrüche: Musik der Jahrhunderte 1618-2018". Werke von Johann Hermann Schein, Johann Sebastian Bach, Franz Xaver Mozart, Darius Milhaud und Yulin Kim. Solgerd Isalv (Mezzosopran), Farrenc Orchester, Bernd Müller (Dirigent), Michael Herrschel (Rezitation), Sirka Schwartz-Uppendieck (Klavier & Leitung). Auferstehungskirche im Stadtpark, 1. Dezember, 19.30 Uhr. Karten an der Abendkasse.

 

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