Geh online, du Depp!

7.8.2012, 11:00 Uhr
Geh online, du Depp!

© Scherer

Die Gedanken sind frei. Offenbar teilen Computer diese Ansicht auch. Meiner streikt nämlich. Er will nicht akzeptieren, dass wir jetzt in Ratzeburg leben. Ständig versucht er mit unserer alten WLAN-Verbindung in Lübeck anzubandeln. Sie ist 33 km Luftlinie entfernt. Mein Rechner ist sehr nostalgisch. Er kann nicht mit der Vergangenheit abschließen.

Ich blicke in seinen Flatscreen und sage: „Lieber Laptop, zugegeben, wir sind ein wenig weiter entfernt vom Meer, doch du kannst dir ohnehin jede Meerszenerie auf deinen Bildschirm aufrufen. Dafür musst du nur einfach“, ich fühle mich als Rhetorikfuchs, „online gehen“. Mein Rechner antwortet nicht. Wieder versucht er, über Umwege ins Netz zu gelangen. Auf dem Icon, das fünf ansteigende Treppen zeigt, erscheint eine Sonne; ich habe Hoffnung. Dann tauchen zwei sich kreuzende, rote Striche auf. Meine Gedanken werden allmählich unfrei

„Geh online, du Depp!“ brülle ich. Und: „Brauchst du eine Therapie, damit du endlich in der Gegenwart ankommst?!“

Ich fasse mich — und hoffe, dass mein Laptop nicht aus einer Laune heraus meine Geschichte löscht. Diese Geschichte. Die Sie gerade lesen. In diesem Augenblick geht ein Flimmern über den Bildschirm. Als ich in leichter Panik nach der Maus greife und den Button mit der Diskette drücken will, geschieht es. Er stellte eine Verbindung zum Internet her, zeigt mir zehn Minuten lang eine Sanduhr und stürzt ab. Nachdem ich meinen Rechner wieder gestartet habe, bietet er mir an, diesen Text wiederherzustellen. Ich freue mich über den guten Vorschlag, klicke auf „O.k.“ und lese exakt einen Satz: „Die Gedanken sind frei.“

Alles andere verschwand in den Untiefen der elektronischen Müllhalden. Schon oft habe ich von Kollegen gehört, dass ihre besten Passagen aufgrund von Computerproblemen genau dort gelandet sind. Das wiederum bedeutet: Was Sie gerade lesen, ist lange nicht so gut wie das, was da vorher stand.

Was würde ich dafür geben, wenn ich in diese Müllhalden tauchen dürfte! Ich würde mir Texte zusammenklauen, die mir mindestens den Nobelpreis einbringen. Dann wäre ich Millionär und hätte nie mehr Computerstress. Ich würde mir einen IT-Sklaven halten, ihn koffein- und pizzaabhängig machen und in den Heizungskeller unserer Wohnung ketten. Leider bringt dieser Text gerade mal 65 Euro. Für 65 Euro unterbricht kein ITler seine Koffein- und Pizzaorgien.

Nicht, dass ich es nicht versucht hätte! In den Gelben Seiten — googeln geht ja nicht! — fand ich die Nummer eines Netzwerkadministrators in Ratzeburg. „Das kriegen wir hin“, antwortete er mit einer Stimme, die weiß, wie gefragt ihre Meinung ist. „Jetzt sagen Sie mir mal, was Sie zahlen wollen. Dann lachen wir beide kräftig. Und dann einigen wir uns auf ein Honorar.“ Ich sagte: „65 Euro.“ Er lachte. Ich legte auf.

Angefangen hatte alles mit einem anderen Telefonat vor drei Monaten. Ich erklärte unserem Provider, dass wir umziehen wollen. „Kein Problem“, reagierte ein echter Mensch am anderen Ende der Hotline. „Wann wollen Sie wieder online sein?“ „Spätestens am 1. August. Es wäre großartig, wenn ich wir zum 15. Juli...“, erwiderte ich vorsichtig. Seine Antwort kam eine Spur zu schnell: „Darf’s auch 15. Juni sein?“

Wir haben Dienstag, den 7. August — und ich komme nicht ins Netz.

Während die zwei sich kreuzenden, roten Striche zu einem Mahnmal auf meinem Laptop werden, denke ich darüber nach, mir eine Trillerpfeife zu kaufen. Ich weiß den Namen des Menschen, der die Lösung dieses Problems bis zum 15. Juni versprochen hat. Sie werden mich zu ihm durchstellen. Ich werde Luft holen, die Pfeife in Position bringen und... Doch wo kriege ich eine solche Pfeife her? Bei Amazon, bei Ebay, haha.

Meine Gedanken sind unfrei, wenn ich Computerprobleme habe. Ich gehe zum Werkzeugkasten und hole mir einen Hammer. „Mal sehen, ob du dich danach wiederherstellen kannst?!“, wispere ich und laufe zurück zum Schreibtisch. „Mal sehen, wie frei deine Gedanken dann sind.“

In diesem Moment komme ich ins Netz. Einfach so. Ohne Probleme. Ich habe nichts getan, was diese unglaubliche Leistung rechtfertigt.

Vor lauter Aufregung unterläuft mir ein Rechtschreibfehler. Denn eine Frage, die bleibt: Besitze ich meinen Computer oder besitzt er mich?

 

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