Gelebtes Theater: Brigitte Döring ist tot

15.12.2018, 19:00 Uhr
Gelebtes Theater: Brigitte Döring ist tot

© Foto: Hans-Joachim Winckler

"Normalerweise spiel’ ich ab fünf", pflegte sie zu sagen. Mit "fünf" war nicht die Uhrzeit gemeint. Nein, Brigitte Dörings Regietaten, ihre szenischen Collagen, Liederabende, Lesungen waren keine Straßenfeger, die den Bilanzjongleuren im prunkvollen Stadttheater jemals den Schweiß auf die Stirn hätten treiben können. Das Theaterchen in der Kofferfabrik hatte immer den Charme des Handgemachten, Improvisierten, Unfertigen — jedoch nie den des bauerntölpeligen Laientheaters zum Fremdschämen. Davor bewahrte uns alle Brigitte Döring.

"Sie war immer zu 100 Prozent bei der Sache und pflegte trotzdem einen menschlich tollen Umgang mit den Schauspielern", sagt Markus Nondorf, der langjährige Weggefährte. Etwas unberirrbar Zähes, eine stille, widerständige Beharrlichkeit ging von dieser schmalen, früh ergrauten Frau aus, die nicht nur eine leidenschaftliche Brecht-Interpretin war, sondern in Haltung und Gestus Malocherinnen vom Schlage Helene Weigel und Therese Giese in manchen Momenten sogar verblüffend ähnelte. Ältere erinnern sich — und manchmal waren es eben nur fünf. Oder noch weniger. Oft genug drückte Döring beide Augen zu und spielte dennoch.

Denn sie musste es, Theater war ihr ein und alles. Und die Gelegenheit, in der Kofferfabrik 1997 vor Anker gehen zu dürfen, ein Himmelsgeschenk für die Frau, die im Himmel ansonsten keinen lieben Bewohner vermutete. Die "Koffer" heißt: Hier probierst du dich aus; hier bedeutet Spielen vor fünf Leuten nicht Scheitern; hier darf "gehen", was andernorts gar nicht geht. In die Hunderte dürfte die Anzahl ihrer Schülerinnen und Schüler gehen. Esther Sambale, Karsten Kunde, Samantha Lerch, Kalle Zuber, um nur vier Beispiele zu nennen: Die "Döring’sche Theaterwerkstatt", so hieß das Projekt, hat sie gut und besser gemacht.

Wie das alles weitergehen wird? "Fragen Sie mich etwas Leichteres", sagt ein erschütterter "Koffer"-Chef Udo Martin, der mit Döring etwa in "Das Lächeln am Fuße der Leiter" auf der Bühne stand. Bis mindestens Ende Januar bleibt das Theater geschlossen — denn, von "6aufKraut" und diversen Gastspielen freier Ensembles abgesehen, das Theater war Döring.

1996 war die gebürtige Münchnerin hier erstmals zu Gast, mit "Brecht gefälligst" in der alten Flaschnerei — und mit Fahrensmann Markus Nondorf. Vier Jahre zuvor hatten sich die beiden im Nürnberger Theater im Altstadthof kennen und schätzen gelernt, sie damals das Mädchen für alles, er der Regisseur. Da war für Döring, die am "Kons" der Nachbarstadt klassische Querflöte und Klavier studiert hatte, die Stunde gekommen, aufs Theater-Pferd umzusatteln.

Chansonnière mit klarer politischer Kante, das war sie auch, doch der Weg sollte zu Theaterproduktionen mit klarer Kante führen. "Sie war eine engagierte, wandlungsfähige Schauspielerin und im besten Sinne des Wortes energische Theaterfrau. Gelebtes Theater mit politischem Auftrag, das war ihr Ding. Und sich dafür nicht verbiegen zu lassen, erst recht", äußerten gestern Ute und Uwe Weiherer von der Fürther Bagaasch. 1997 gründen Döring und Nondorf das "Theater im Kulturkammergut"; als Nondorf 2002 auszieht und mit dem "Theater aus dem Kulturkammergut" eigene Wege geht, macht Döring im ersten Stock der "Koffer" weiter. Unverdrossen. Und sie zieht sogar, nach Stationen in der Karolinen- und Gustavstraße, in eine WG auf dem "Koffer"-Areal.

Rund 50 Produktionen entstehen im Lauf der Jahre mit einem Budget, das nicht einmal "überschaubar" genannt werden darf — immer wieder und gern Dario Fo und Franca Rame, immer wieder die Weimarer Verfemten wie Tucholsky, Kästner, Jura Soyfer. Nicht zu vergessen die Reihe "Geschlecht weiblich", die mit biografischen Frontalkonfrontationen — Medea und Marilyn Monroe — in den Fankreisen der Off-Szene für Furore sorgen. "Die Stücke", so Döring im FN-Interview 2013, "sollen voller Poesie sein. Und sie sollen eine politisch-moralische Aussage haben. Ich habe nichts gegen Klassiker, auch nichts gegen Liebesgeschichten und Boulevard, aber das sind einfach nicht meine Themen." Dass sie erst 61-jährig am Geburtstag Heinrich Heines einer Krankheit erliegt, hätte sie als Ironie des Schicksals betrachtet. Auf die Frage, wovon sie träume, antwortete sie in jenem Interview: von Sizilien, ihrem Lieblings-Rückzugsland. "Von einem anderen Land zum Sterben als Deutschland. Ein Ort, an dem man respektvoll mit Senioren umgeht." Verwandte hinterlässt sie nicht.

Kulturpreise, Ehrennadeln, Kleeblätter hat Brigitte Döring an ihrer Wirkungsstätte Fürth nie eingesackt. Und da Behördenkram und ein dicker Draht zu denen da oben nie ihr Fall waren, kamen auch die Zuschüsse viel zu spät. Das ist die nächste Ironie des Schicksals: Vor wenigen Tagen erst hat der Stadtrat bei den Haushaltsberatungen festgelegt, erstmals die Fördermittel für Dörings Theaterarbeit zu "verstetigen". Heißt: 2200 Euro, ab sofort regelmäßig. Es geht los, jetzt, wo eine Ära endet.

Eigentlich zum Heulen.

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