Gesualdo oder: Ich mach dich Messer!

21.10.2012, 11:00 Uhr
Gesualdo oder: Ich mach dich Messer!

© Scherhaufer

Beethovens Klavierkonzerte, Wagners Siegfried-Idyll, Gesualdos Madrigale - das ist Musik, in die sich die Seele fallen lässt wie in eine warme Badewanne, umgaukelt von Schaumblasen und Entchen. Wer so etwas komponiert, kann kein schlechter Mensch sein. Oder?

Beethoven war ein Neurotiker, der seine besten Freunde vor den Kopf stieß, Wagner nutzte Fans und Gönner auf schamloseste Weise aus. Doch das alles ist nichts gegen Carlo Gesualdo (1566—1613). Der legte zwei Ehrenmorde hin, aber satt! Anno 1590 ertappte er seine Gemahlin mit einem Liebhaber im Bett, woraufhin er beide mittels Schwert und Messer, Hellebarde und Arkebuse massakrierte.

Die Tat blieb ungesühnt, in Neapel galten anno 1590 andere Maßstäbe, außerdem war Gesualdo ein Adeliger. Doch Strafe muss sein. Die Reue nagte an der Seele, den Rest seines Lebens komponierte er Madrigalbücher, die in ihrer Polyphonie ihresgleichen suchen. Mit 47 Jahren starb er, vermutlich durch Selbstgeißelung.

Kann man Gesualdos Musik — in diesem Fall das Zweite Buch der „Sacrae Cantiones“, das der Dirigent des Abends, James Wood, in dreijähriger Arbeit rekonstruiert hatte — mit diesem Wissen noch genießen? Man kann. Aber man sollte um ihren Hintergrund wissen. Der Ästhet lauscht. Regisseur Hans-Werner Kroesinger hingegen öffnet dem Zuhörer die Augen, indem er Gesualdos A-cappella-Gesang mit anderen Elementen kombiniert und kontrastiert.

Die thematischen Stationen des Abends lauten Verzweiflung, Gebete um Erlösung, Meditation, Hoffnung, schließlich Lob und Dank. Also der alte Gedanke „per aspera ad astra“, durch Widrigkeiten zu den Sternen. Doch die wunderbaren Gesänge alternieren stets mit Lesungen aus den damaligen Chroniken und Untersuchungsprotokollen. Akribisch wie ein Pathologiebericht listet ein Sprecher die Schuss- und Stichwunden der Opfer auf, ebenso die betroffenen Körperteile (neben Rumpf vor allem Gesicht, Hände und Intimeres), bemerkt auch den Zustand des Tatorts, der Mordwaffen, sogar die tiefen Einstiche ins Parkett.

Dazu untermalen Videoprojektionen die Gesänge. Doch keine drastischen Mordfantasien wabern über die Leinwand, sondern Bilder vom Schauplatz der Tat, von Kellern, finsteren Gängen und Gewölben, dazu Details aus barocken Gemälden, die sich in langen Überblendungen einander ablösen: erotischer Grabmalkitsch, entblößte Damen, Hände im Gebet und beim Klavierspiel, Messer, das Porträt des Meisters, Seelen im Höllenfeuer, der richtende Christus und dessen Wundmale, strenge Madonnen, fragende Gesichter, große Kulleraugen aus einem Frauengesicht. Zu jeder Station formieren sich die Sänger des Vocalconsort jedes Mal neu, verbarrikadieren sich hinter Schreibpulten, teilen sich in Gruppen auf, wandeln in endloser Prozession hinter der Leinwand auf und ab und werfen ihre Schattenrisse auf die Projektionen.

Schließlich ein dritter Kontrast: Kompositionen von Gesualdos Landsmann Giacinto Scelsi (1905—1988). Dieser Klang-Esoteriker glaubte an die Wiedergeburt und hatte nach eigenen Angaben bereits bei der Beisetzung Alexanders des Großen musiziert. Scelsis archaisierende Paternoster klammern den Abend ein. Ein Fern-Chor sorgt im Kufo für Kloster-Atmosphäre, die räumliche Distanz wirkt wie eine Entrückung in eine andere Zeit. Doch den wahren Kontrast bilden Scelsis Kompositionen Sauh III und Sauh IV: monotone Singstimmen über den Laut Ü, die die Sängerinnen in unterschiedlichen Valeurs, Hauchungen und konsonantischen Reibungen darbieten. Der äußerste Gegensatz zu Gesualdos hochkomplizierten Stimmverflechtungen. Ein Protest der Opfer aus dem Fegefeuer?

Beim Zuhörer wechseln sich Phasen von Interesse, Beklommenheit, Begeisterung und Grübelei ab. Welche Kraft entfesselt ein erkrankter Geist? Verändert sich unsere Wertschätzung von Kunstwerken, wenn man über ihre Entstehungsgeschichte weiß, grundsätzlich? Antworten erhalten wir vielleicht im nächsten Jahr. Da steht Carlo Gesualdos 400. Todestag auf dem Kulturkalender. Der BR sendet das Fürther Konzert am 8. November um 19.05 Uhr auf BR-Klassik.

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