Glacéhandschuhe für Glössingers

19.2.2011, 13:00 Uhr
Glacéhandschuhe für Glössingers

© privat

Im Büro neben dem Verkaufsraum blättert Ursula Galster in dem DIN-A4-Ordner. Darin ist die Geschichte des Geschäfts als Sammlung schwarz-weißer Fotografien abgeheftet. „Schauen Sie.“ Die zierliche 70-Jährige beugt sich über ein Bild, rückt an der elegant geschwungenen Brille. Zu sehen ist eine schmale Ladentür mit einem winzigen weißen Schild, darauf eine noch winzigere Aufschrift. „L-a-u-fm-a-s-c-h-e-n“, buchstabiert Ursula Galster und hält, für alle Fälle, eine Lupe zwischen Brille und Bild. Nein, beim besten Willen, mehr als dieses Wort lässt sich nicht entziffern. Auch Hermann Galster (73), der hinzugetreten ist, zuckt bedauernd die Schultern. Das Wichtigste aber wissen er und seine Frau auch so. „Früher“, sagt er, „war das Geschäft auch Annahmestelle für Laufmaschen.“ Nylonstrümpfe waren bei den Damen heiß begehrt, doch wie schnell stahl sich eine Masche davon. Und dann? „Dann“, fährt Ursula Galster fort, „kamen die Damen hierher und ließen den Strumpf repassieren“, die Masche auffangen.

Glacéhandschuhe für Glössingers

© Winckler

Das war nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Anfänge von Galster Moden aber reichen weiter zurück. Im Jahr 1908 eröffneten Wilhelm Hildebrandt, der eine Mechanische Gummibandweberei leitete, und seine Frau Babette dort, wo sich der Laden noch heute befindet, eine Kurz-, Weiß- und Wollwarenhandlung. Sie verkauften Nähgarn, Wolle, Handtücher, Bettwäsche.

Die ersten Kunden sind im Foto-Ordner verewigt, das Ehepaar Glössinger, er im feinen Zwirn, sie mit Krönchen. „Für ihre goldene Hochzeit“, erzählt Ursula Galster, „haben sie Glacéhandschuhe für die Dame gekauft“. Es muss ein guter Kauf gewesen sein, „die Tochter der Glössingers war mit über 80 noch immer Kundin“.

In den 20er Jahren, so Hermann Galster, der Zeit der Inflation, „als eine Rolle Garn einen Betrag mit zig Nullen gekostet hat“, übernahmen seine Mutter Meta, die Tochter der Firmengründer, und ihr Mann Emil Galster das Geschäft. Das Sortiment änderte sich, Konfektionsware hielt Einzug, Hemden, Krawatten und, vor allem, Kittelschürzen.

Den damaligen Alltagsdress fertigten Näherinnen in Heimarbeit. Sie nähten Schürzen mit und ohne Reißverschluss, Wickelschürzen und Schürzen in „Kätheform“. „Die waren hinten zu knöpfen und eine Vorform zum Kleid“, erklärt Hermann Galster, der mit seinem Bruder Ludwig in den 70er Jahren ins Geschäft einstieg.

Die Zeit der Kittelschürzen ist passé. Galster Moden bietet heute „Mode für die alterslose Frau, die mitten im (Berufs-)Leben steht und Wert auf praktische Kombimode mit Chic legt“. Es gibt Fleece-, Woll- und Daunenjacken, Oberteile und Kombinationen, Accessoires und jede Menge Festliches. „Oma und Opa würde das so gefallen.“ Da ist sich Ursula Galster sicher. Sie verabschiedet eine Kundin, namentlich und mit Händedruck. Das Geschäft, sagt sie, lebt von seiner Stammkundschaft und von der Mundpropaganda. Das Gute daran: Beim Einkauf auf der Fashion Week in München wissen Ursula Galster und ihre Assistentin Marion Heiße (49) genau, was welche ihrer Stammkundinnen tragen kann und sehr wahrscheinlich vom Fleck weg kaufen wird. Dabei achten sie auf Schnitte, die kaschieren und doch „aufregend, elegant und extravagant“ wirken, wie die von Joseph Ribkoff. „Ribkoff“, weiß Marion Heiße, „tragen sie alle in der TV-Serie Reich und Schön.“

Zum Hundertjährigen wurde Galster Moden als „1a-Fachhändler“ ausgezeichnet. Das Lob galt dem Service. Denn anders als beim großen Modehaus Wöhrl, dem Branchenprimus in Fürth, müssen die Kundinnen noch ein paar Stufen hochsteigen und die Ladentür selbst aufdrücken. Danach aber werden sie von der Chefin und ihrem dreiköpfigen Verkaufsteam auf eine Weise „umsorgt“, die solch kleine Hürden rasch vergessen macht. „Wer Mühe hat, die Schuhe aufzumachen, dann helfen wir selbstverständlich“, sagt Ursula Galster. Und Sybille Netsch (39) versichert: „Die Kundin wir bei uns in der Kabine auch nicht allein gelassen mit ihrer Figur.“

Die Umkleidekabine. Kamm und Handspiegel hängen hier am Haken, damit die Frisur auch nach der Anprobe sitzt. Pantoletten zum Reinschlüpfen stehen auch bereit — falls die Kundin aufwändig zu schnürende Schuhe trägt oder beim Abstecken der Hosenlänge etwas Absatz braucht.

Viel Service, und doch habe der Umsatz nachgelassen, sagt Ursula Galster. Sie erklärt es mit den Leerständen ringsum und mit der Quelle-Pleite. „Danach haben viele Kundinnen weniger Geld ausgegeben. Sie wollten ihre entlassenen Verwandten unterstützen.“ Keine Zukunft also für Fürths kleines Modehaus? Die Augen hinter der Brille blicken wehmütig. Tochter Carla lebt in Ulm, sie wird den Laden nicht übernehmen. „Die Zukunft steht in den Sternen“, sagt Ursula Galster bedauernd. Doch im nächsten Augenblick versichert sie lächelnd und mit kerzengerader Haltung: „Ich mach’ hier weiter, bis ich umfalle. Denn ich hab’ zwar meine Wehwehchen, aber wenn ich im Laden stehe, sind die alle weg.“